Der heiße Senioren-Draht hilft in der Not
Das Älterwerden bedeutet auch immer, dass der Bewegungsradius kleiner wird. Freunde werden weniger, der Tod spielt eine immer größere Rolle und mit ihm die Einsamkeit. Ein Draht zur Außenwelt kann das so genannte Telefon des Vertrauens sein, ein Senioren-Telefon, das es seit einigen Jahren auch in Tschechien gibt. Christian Rühmkorf hat es sich für das Forum Gesellschaft angeschaut.
Petra K. sitzt vor einem Computer in einem Prager Hochhaus. Auf dem Kopf trägt sie ein Headset. „Fangen Sie einfach an“, sagt sie ihrem Gesprächspartner am anderen Ende der Telefonleitung. „Was Ihnen gerade durch den Kopf geht.“ Petra ist eine von zwölf Mitarbeitern, die den „Anschluss des Vertrauens“, ein Senioren-Telefon, betreuen. Von montags bis freitags, jeweils 12 Stunden, ist diese besondere Leitung der gemeinnützigen Organisation Elpida frei geschaltet und zwar für die Sorgen und kleinen Nöte der älteren Menschen – selbstverständlich anonym.
„Wichtig ist vor allem, dass wir uns auf den Menschen einlassen. Dass er merkt, er wird angenommen, mit allem drum und dran. Auch wenn er gerade das Gefühl hat, nicht mehr bis fünf zählen zu können, weil er schon eine Woche lang mit niemandem mehr gesprochen hat.“
erklärt Michal Horažďovský, Leiter des Senioren-Telefons in Prag. Rund 30 ernst zu nehmende Anrufe gehen täglich ein. Die Hilfesuchenden stammen aus dem ganzen Land. Vereinsamung, der Eintritt in den Ruhestand, die schwindenden Kräfte im Alter: Darum geht es in den Gesprächen. Und dann natürlich immer wieder über das eine, große Thema:
„Das häufigste Thema ist der Tod. Darüber spricht man in Tschechien nicht gern. Die Gesellschaft ist überwiegend atheistisch. Hier hat kaum einer ein offenes Ohr für das Thema Sterben. Und da ist das Senioren-Telefon natürlich wichtig.“
Seit sieben Jahren gibt es das Senioren-Telefon. Initiiert und finanziert hatte es anfangs ein Pharmakonzern. Inzwischen gibt es hauptsächlich Geld vom Staat und einigen privaten Sponsoren. Die Telefon-Nummer steht in allen Telefonbüchern und hängt in jeder Telefonzelle aus. Die Mitarbeiter können auf eine umfangreiche Datenbank mit sozialen Anlaufstellen zurückgreifen. So können sie einem Anrufer zum Beispiel die Adresse und Telefonnummer eines psychosozialen Dienstes in seiner Nähe nennen, wenn dies nötig ist. Für die zum Teil sehr anstrengende Betreuung am Telefon sind alle Mitarbeiter geschult, wie Petra erklärt.
„Wir als Mitarbeiter haben alle einen Grundkurs für telefonische Krisenintervention absolviert. Das ist vorgeschrieben. Aber dazu hat jeder Mitarbeiter meistens noch eine ganz eigene Ausbildung oder ein Studium abgeschlossen. Oft sind die Leute vom Fach. Ich habe zum Beispiel Psychologie studiert.“
Dennoch gibt es Telefongespräche, die auch für die erfahrenen Mitarbeiter des Senioren-Telefons besonders belastend sind. Es sind die Gespräche, bei denen deutlich wird, dass der Anrufer darüber nachdenkt, sich umzubringen. Unter den alten Menschen sei dies gar keine so seltene Überlegung, berichtet Michal Horažďovský. Im Schnitt einmal pro Woche gebe es einen solchen Anruf.
„Wenn ein Mensch von 90 Jahren krank ist, sich nicht mehr richtig bewegen kann und niemanden hat, der ihm nahe steht – wenn sich so jemand umbringen möchte: Dann sind die Telefongespräche auch für uns richtig schwer. Wir versuchen dann, im Gespräch besonders viel zu geben. So etwas schleppen wir dann natürlich auch nach Dienstschluss noch mit uns herum.“Für die Mitarbeiter des Senioren-Telefons gibt es regelmäßig Supervisionen, damit sie das Gehörte selber besser verarbeiten können. Aber zum Glück sind die Anrufe nicht immer nur traurig:
„Eine Zeit lang hat uns ein Mann immer wieder angerufen. Er war in einem Kinderheim aufgewachsen und war immer davon ausgegangen, dass er keine Geschwister hätte. Plötzlich aber bekam er eine Einladung zu einem Geschwister-Treffen! Er war völlig verunsichert und fragte uns immer wieder, ob er dorthin fahren sollte. Wir haben ihn ermuntert. Und er musste feststellen, dass er elf Geschwister hat, die alle in Kinderheimen aufgewachsen waren. Dieser Mann war 75 Jahre alt und hat sein ganzes Leben nichts von seinen Geschwistern gewusst.“
Auffallend ist – und das ist in gewisser Weise ein tschechisches Spezifikum – dass es den älteren Menschen ab 80 Jahren und aufwärts oft besser geht als den etwas jüngeren, erzählt Michal Horažďovský:
„Problematisch ist es mit Senioren, die als Kinder und Jugendliche nur den Zweiten Weltkrieg und danach die kommunistisch-stalinistischen 50er Jahre erlebt haben. Ihnen fehlen positive Grunderfahrungen, aus denen sie im Alter schöpfen können. Sie haben nie eine gesunde Gesellschaft erlebt. Immer war da das Gefühl von Bedrohung; sie konnten sich nie jemandem anvertrauen. Immer wieder rufen also Leute so um die 60 Jahre an und die wirken häufig viel verzweifelter als Senioren, die vielleicht 80 Jahre und älter sind. Der 80-Jährige hat Kindheitserinnerungen an die erste demokratische Tschechoslowakei und kann noch heute vielleicht davon zehren.“Seit ihrem Bestehen haben Zehntausende von Menschen die Senioren-Hotline angerufen, um Freude zu teilen oder Trost zu erhalten. Die Nachfrage ist weiterhin groß. In der heutigen schnelllebigen Gesellschaft komme persönliche Zuwendung oft zu kurz, sagt Michal Horažďovský. Das gilt besonders für Weihnachten, das nun wieder vor der Tür steht.
„Über die Weihnachtsfeiertage sind wir im Dienst. Weihnachten ist eindeutig eine Krisenzeit. Viele ältere Menschen sind alleine oder denken an ihre Angehörigen oder Freunde, die in diesem Jahr verstorben sind. Das sind dann meistens sehr heftige Zeiten für diese Menschen.“
Michal Horažďovský ist jedenfalls davon überzeugt, dass seinen Mitarbeitern auch in Zukunft die Arbeit nicht ausgehen wird:
„Das Vertrauenstelefon wird immer seinen Platz in der Gesellschaft haben.“
Information:
Für kostenlose Anrufe aus Tschechien: 800 200 007