Der Lissabon-Vertrag im Spiegel der Tagespresse
Nach der Billigung des Lissabon-Vertrags durch den Senat steht der endgültigen Ratifizierung nur noch Staatspräsident Klaus im Weg. Die scharfe Kritik von Václav Klaus an der Entscheidung des Senats und die möglichen Szenarien, die in den nächsten Monaten zu erwarten sind, beherrschen die Titelseiten aller tschechischen Tageszeitungen. Über die Einschätzungen der Kommentatoren sprach Christian Rühmkorf mit Maria Hammerich-Maier.
„In der ‚Mladá fronta dnes’ steht der Gesichtspunkt im Vordergrund, dass der Ratifizierungsprozess noch nicht am Ende angelangt ist. Sie titelt nämlich ‚Das Lissabon-Spiel geht weiter’ und listet die europaweit noch offenen Schritte bei der Ratifizierung auf – in Deutschland, Polen, Finnland und Irland. Die ‚Lidové noviny’ wiederum geht auf Klaus’ scharfen Vorwurf des ‚Versagens der Eliten’ ein. Der tschechische Staatspräsident hat ja die Ratifizierung des Lissabonn-Vertrags umgehend als ‚tragischen Irrtum’ bezeichnet und die gestrige Abstimmung einen traurigen Beweis dafür genannt, dass die tschechische politische Elite, wie schon wiederholt in der Geschichte, wieder einmal versagt habe.“
Das sind ganz schön starke Worte …
"Ja, und Zbyněk Petráček von der Tageszeitung ‚Lidové noviny’ erinnert nun daran, dass man im tschechischen öffentlichen Diskurs das ‚Versagen’ der Politik meistens mit drei Daten in Verbindung bringt: dem Münchner Abkommen von 1938, der Kapitulation von Staatspräsident Beneš vor den Kommunisten 1948 und die resignierte Hinnahme der sowjetischen Okkupation 1968. Die Billigung des Lissabonner Vertrags mit der Kapitulation vor blutbefleckten totalitären Gewaltregimes in der Vergangenheit zu vergleichen, das kommt nach Ansicht des Autors der Kolumne – ich zitiere wörtlich – ‚einem Aussetzen des Urteilsvermögens und des gesunden Menschenverstandes’ gleich.“
Und wie ist der Tenor in den übrigen Zeitungen?
„Die linksgerichtete ‚Právo’ malt noch einmal die Schreckensgespenster an die Wand, die in der sehr emotionalen Debatte im Senat vor der Abstimmung anklangen, unter anderem, dass Tschechien im Falle einer Nichtratifizierung an den Rand Europas gedrängt und wieder in die Einflusssphäre Moskaus geraten würde. Die ‚Právo’ macht sich jedoch nicht die Mühe, diese Argumente zu kommentieren, sondern begnügt sich damit, sie in den Raum zu stellen.“
Der Ratifizierungsprozess ist erst abgeschlossen, wenn auch der Staatspräsident den Lissabon-Vertrag unterzeichnet. Wie wird es denn nun nach Ansicht der Berichterstatter in den nächsten Monaten weitergehen?
"Das Wirtschaftsblatt ‚Hospodářské noviny‘ bringt eine Stellungnahme des Verfassungsrechts-Experten Václav Pavlíček. Einige Senatoren haben ja angekündigt, dass sie erneut eine Verfassungsklage einbringen werden. Pavlíček ist der Ansicht, dass Klaus im Fall einer Entscheidung des Verfassungsgerichts zugunsten des Lissabon-Vertrags verpflichtet sei, den Vertrag zu unterschreiben, weist jedoch gleichzeitig darauf hin, dass niemand Klaus dazu zwingen könne. Einig sind sich alle Kommentatoren darin, dass Klaus auf jeden Fall die Entscheidung des Verfassungsgerichts abwarten wird.“