Der Parteitag der Sozialdemokraten: Erfolge, Schlappen, Hintergründe
In Prag ist am Wochenende der Parteitag der tschechischen Sozialdemokraten (ČSSD) über die Bühne gegangen. Die Sozialdemokraten sind zwar in der Opposition – aber sie haben die Kreis- und Senatswahlen im vergangenen Herbst klar gewonnen, sie haben die konservativen Bürgerdemokraten in den Umfragen längst überholt, und sie stellen am Dienstag im Abgeordnetenhaus einen mit Spannung erwarteten Misstrauensantrag gegen die Regierung. Genug Gründe, um das Geschehen auf dem Parteitag genauer zu analysieren. Gerald Schubert hat mit dem Politikwissenschaftler Robert Schuster gesprochen.
„Ein gelungener Parteitag sieht tatsächlich ein bisschen anders aus. Jiří Paroubek hat sich gewünscht, dass er von den Delegierten ein starkes Mandat erhält. Das hat er für tschechische Verhältnisse auch bekommen, 74 Prozent sind ein relativ guter Wert. Aber was die Wahl des Vorstands betrifft, so hat er schon eine empfindliche Niederlage einstecken müssen. Das hängt auch damit zusammen, dass die lange für gelöst gehaltenen innerparteilichen Schwierigkeiten eben nicht gelöst sind. Und die sind bei dieser Wahl des Vorstands offen zutage getreten.“
Inwiefern stand der Parteitag im Zeichen des Misstrauensantrags gegen die Regierung, den die Sozialdemokraten am Dienstag im Parlament einbringen? Die politischen Zeiten in Tschechien sind ja nicht gerade ruhig.„Das stimmt. Dieser Misstrauensantrag sollte sicherlich dazu führen, dass der Parteitag eine Art Mobilisierung bringt, dass die Partei sich geschlossen um den unumstrittenen Parteichef Jiří Paroubek schart. Die 74 Prozent, die Paroubek bei der Wahl des Parteivorsitzenden erhalten hat, kann man daher auch als dezidierte Unterstützung seines Kurses betrachten, also des Kurses einer relativ starken Opposition gegenüber der jetzigen Regierung. Das hat bei vielen Delegierten sicher eine sehr große Rolle gespielt.“
Auf dem Parteitag der Sozialdemokraten ist zum ersten Mal auch der konservative Präsident Václav Klaus als Gast aufgetreten. Warum gerade jetzt? Klaus hat sich zwar jüngst von seiner ehemaligen Partei, den Bürgerdemokraten, die er Anfang der 90er Jahre gegründet hat, distanziert – aber doch nicht, weil er einen persönlichen Linksruck vollzogen hat.„Ich denke, Václav Klaus wollte zwei Botschaften senden. Die eine ist, dass er in Zeiten, in denen die Regierung eine relativ schwache Position hat und man einen Sturz der Regierung nicht ausschließen kann, auch einen Draht zur stärksten Oppositionspartei hat. Das zweite Signal, mit dem Klaus selbst sein Erscheinen auf dem Parteitag begründet hat, hängt damit zusammen, dass die Sozialdemokraten die historisch älteste tschechische Partei sind. Klaus wollte die Rolle, die die Sozialdemokraten früher gespielt haben und mittlerweile wieder spielen, gebührend anerkennen.“
Ein anderer Gastredner war Jan Švejnar, ein tschechisch-amerikanischer Wirtschaftsprofessor, den die Sozialdemokraten vergangenes Jahr gegen Klaus ins Rennen um die Präsidentschaft geschickt hatten. Švejnar hat über die prinzipielle Ausrichtung der Partei gesprochen und ihr empfohlen, sich in Zukunft Partner in der politischen Mitte zu suchen. Die Kommunisten hat er damit wohl nicht gemeint, und die Bürgerdemokraten vielleicht auch nicht. Spricht er damit nicht ein prinzipielles Dilemma an? Die ČSSD hat zwar jüngst bei den Regionalwahlen einen Erdrutschsieg eingefahren. Aber wenn sie sich linksliberal positionieren will, dann hätte sie es doch ziemlich schwer, auf gesamtstaatlicher Ebene eine mehrheitsfähige Koalition zu schmieden.„Ich denke, die Rede von Jan Švejnar war ein Plädoyer für eine breit angelegte Sozialdemokratie. Also nicht nur für eine Partei, die auf dem linken Flügel stark ist und zusammen mit den Kommunisten zum Beispiel soziale Themen forciert, sondern für eine Partei, die auch den Blick in Richtung Mitte und rechte Mitte nicht verliert. Wenn man Partner sucht, mit denen die Sozialdemokraten eventuell regieren könnten, dann sind das in erster Linie natürlich die Christdemokraten und die Grünen. Man darf nicht vergessen, dass die Sozialdemokraten, die seit Herbst vergangenen Jahres in 13 der 14 tschechischen Regionen die Regierung stellen, dieses relativ breite Spektrum tatsächlich abdecken. Es gibt Regionen wie zum Beispiel Hradec Králové / Königgrätz, wo die Sozialdemokraten mit den Christdemokraten und anderen Parteien regieren. Es gibt aber auch Regionen, in denen sich sozialdemokratische Minderheitsregierungen von den Kommunisten tolerieren lassen, oder wo die Kommunisten offen mitregieren, wie zum Beispiel in Mährisch-Schlesien, im Nordosten Tschechiens. Und es gibt auch Modelle der großen Koalition, wo die Sozialdemokraten zusammen mit den Bürgerdemokraten regieren. Das ist zum Beispiel in Südmähren der Fall, oder auch in Südböhmen. Die Koalitionsmöglichkeiten sind also relativ breit, und die Sozialdemokraten sind gut beraten, dieses Koalitionspotential auch voll auszuschöpfen und keine Möglichkeit links oder rechts liegen zu lassen.“
Kommen wir noch einmal zurück zur Wahl der stellvertretenden Parteichefs. Ziemlich erfolgreich war der erste Stellvertreter Bohuslav Sobotka, er wurde mit 84 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Sobotka ist erst 37, aber bereits sehr erfahren. In früheren sozialdemokratischen Regierungen war er schon langjähriger Finanzminister und Vizepremier. Ist er in der Partei immer noch der Mann der Zukunft?„Sicherlich ist er bei den Sozialdemokraten der potentielle Kronprinz. Das hängt aber auch damit zusammen, dass die Sozialdemokraten bislang niemand anderen als möglichen Parteichef hatten. Das wird sich nun aber sehr schnell ändern. Die Partei ist seit einigen Monaten mit einer völlig neuen Situation konfrontiert. Sie regiert in 13 der 14 tschechischen Regionen. Das heißt, dass spätestens in vier oder fünf Jahren aus diesen Regionen neue politische Köpfe kommen werden, die dann vielleicht auch ganz nach oben drängen. Die potentielle Führungsspitze wird dadurch sicher breiter werden. Bis vor kurzem war Bohuslav Sobotka fast der einzige, der das Zeug zum Parteichef hatte, und der auch über die Grenzen der Sozialdemokratie hinaus relativ anerkannt war, also auch bei den Christdemokraten und bei den Grünen. Das wird sich aber im Zuge dieses großen politischen Erfolgs im vergangenen Herbst ändern. Ich erwarte also, dass in naher Zukunft neben Bohuslav Sobotka auch weitere Politiker, die sich zum Beispiel als Kreishauptleute bewähren, zur engsten Führungscrew der Sozialdemokraten gehören werden.“