Der Tschechische Rundfunk feiert 85. Geburtstag: Am 18. Mai 1923 begann die regelmäßige Sendung

Primitive Technik, Mangel an Erfahrungen und Finanzen, Improvisation, jede Menge Komplikationen und nicht zuletzt auch unzureichendes Interesse auf der einen und großer Enthusiasmus auf der anderen Seite begleiteten die Einführung der regelmässigen Rundfunksendungen hierzulande. Als Stichtag, an dem sich zum ersten Mal die Station mit dem Namen Radiojournal im Äther melden sollte, wurde der 18. Mai 1923 gewählt. Kaum jemand konnte damals aber ahnen, welch ein mächtiges Medium der Massenkommunikation aus der Taufe gehoben wurde. Das hat sich aber schnell verändert. Dem 85. Jubiläum des historischen Ereignisses haben wir das folgende Sonderprogramm gewidmet.

Vieles davon, wie es damals war, kann man heute nur noch anhand von Erinnerungen einstiger Zeitzeugen rekonstruieren, denn die Aufzeichnungstechnik stand damals noch nicht zur Verfügung. Eine der ersten tschechischen Fachzeitschriften, die sich mit der Popularisierung der Rundfunkamateursendungen befasste, die Monatszeitschrift „Radioamatér“, berichtete über den Beginn der regelmässigen Radiosendungen:

„Seit Mitte Mai haben wir eine regelmäßige tschechische Sendung von Wort und Musik - tschechisches Broadcasting. Es geht vorläufig um Probesendungen, die aber regelmäßig zustande kommen. Hauptsache, dass endlich etwas passiert, das von außen wahrgemommen wird und gewöhnliche Sterbliche als Zeugen haben kann.“

Der Beginn der Rundfunksendungen war in der Tat außerordentlich kompliziert. Aus heutiger Sicht betrachtet auch sehr primitiv. Die Sendestation hat man in der Nähe von Prag, in Kbely, in einem kleinen Holzhäuschen situiert, in dem es eigentlich nur für zwei technische Mitarbeiter Platz gab. In unmittelbarer Nähe musste wegen Raumnot ein Pfadfinderzelt aufgestellt werden, das als provisorisches Studio diente, ausgestattet nur mit einem Teppich und einem Klavier.

Am 18. Mai 1923 erklang zum ersten Mal im Äther die tschechische Hymne, gespielt auf einem Horn, und dann gab es zu hören:

„Hallo – hallo – hier ist die Radiostation O.K.P. Kbely bei Prag, die provisorische Station von Radiojournal, die auf der Welle 1025 Nachrichten und ein Programm ausstrahlt.“

Anschließend wurden auch die Titel der folgenden Musikproben bekannt bekannt gegeben. Im Programm erklang die Siciliana aus Pietro Mascagnis Oper „Cavalleria Rusticana“ in der Darbietung von vier Orchestermitgliedern aus dem Prager Kino Sanssouci. An dem Tag herrschte schlechtes regnerisches Wetter mit starkem Wind, der das Zeltstudio wegzublasen drohte. Wie später von Zeitzeugen erzählt wurde, soll ein Hund während der Sendung unbemerkt unter der Zeltwand in den Innenraum gekrochen zu sein und beim Gesang der Solistin Růžena Topinková gebellt haben. Das Mikrophon war aber damals noch nicht so sensibel, so dass das Gebell nicht zu den Hörern gedrungen ist. Dennoch - erst als der Eindringling gefasst und aus dem Zelt weggebracht worden war, konnten alle Anwesenden durchatmen.

Der Radioempfang war eine Zeitlang keine Massenangelegenheit. Sich dafür eine Konzession und einen Radioempfänger mit Zubehör zu kaufen, war keineswegs billig. Wesentlich schneller als in der Privatsphäre fasste das neue Medium im Schulbereich festen Fuss. Bereits am 1. September 1925 begann man mit der Ausstrahlung von regelmäßigen Sendungen für Kinder. Bald danach kamen die ersten Versuche, Rundfunksendungen direkt in den Schulunterrricht zu integrieren.

Im November 1926 nahm sich dieser Aufgabe der so genannte „Školský rozhlas“ an – der Schulfunk. Man hatte bald erkannt, welche Möglichkeiten sich da mit dem Rundfunk im Bereich der Bildung und Erziehung erschließen und über welches Potential das moderne Medium verfügt, auf die jüngste Generation zu wirken. Es wurde zur Tradition, dass auch Politiker besonders gerne im Schulfunk auftraten.

„Jedes Jahr wird für uns das Fest der Befreiung zum Anlass, daran zu erinnern, dass alle Kinder der Republik, alle ihre Mütter und Väter eine große tschechoslowakische Familie bilden. Über den Köpfen dieser Familie mit 15 Millionen freien Bürgern und Bürgerinnen weht schon heute ein Meer von Fahnen und Flaggen. Und wenn sich dann morgen die Umzüge bei Musik auf den Weg machen, werdet ihr alle eine riesengroße Freude verspüren, eine Freude, die eure Herzen auffüllt und jeden Muskel in eurem Gesicht ein glückliches Lächeln formen lässt.“

So Bildungsminister Emil Franke in einer Ansprache für den Schulfunk am 27. Oktober 1937. Der Anlass war der bevorstehende Staatsfeiertag der Tschechoslowakei. Ähnliche Rhetorik gab es in den nachfolgenden Jahrzehnten noch oft zu hören, in verschiedenen Modifikationen, je nach Anlass und Couleur des Politikers. Im Archiv des Tschechischen Rundfunks sind unzählige Perlen des politischen Pathos zu finden:

Am 28. August 1946 berichtet der Tschechoslowakische Rundfunk in einer Live-Übertragung über den feierlichen Empfang von rund tausend Schülerinnen und Schülern aus der ganzen Tschechoslowakei beim kommunistischen Bildungsminister Zdeněk Nejedlý. Voller Enthusiasmus priesen Kinder und Mitarbeiter des Schulwesens ihren Minister.

Sechs Jahre später, am 3. Juli 1952, zeichnet der 78-jährige Bildungsminister vor den Delegierten der traditionellen Lehrerkonferenz zum Schuljahresende das Bild der durch den Eisernen Vorhang geteilten Welt:

„Wir leben in einer Zeit voller Kämpfe – in einer Zeit des verschärften Kamfpes zwischen der kapitalistischen Welt auf der einen und der sozialistischen Welt auf der anderen Seite. Die Verhältnisse und Beziehungen spitzen sich offensichtlich zu und wir müssen uns gerade dieser Tatsache bewusst werden. Wie hier bereits richtig gesagt wurde, spitzen sie sich gerade an der ideologischen Front zu, an der in der Tat ein Gefecht auf Leben und Tod ausgetragen wird.“

Der Kampf der zwei Welten, diesseits des Eisernen Vorhangs in der Tat auf Leben und Tod geführt, hat leider allzu lange gedauert. Auch der Tschechoslowakische Rundfunk diente dabei als Instrument. Gleichzeitig aber ist es ihm und vielen seiner Mitarbeiter gelungen, auch in der Zeit der politischen Totalitätsherrschaft der Hörerschaft viel Wertvolles aus allen Bereichen des Lebens zu vermitteln.