„Den Geist des Landes übertragen“ – Ex-Chefredakteur Vaughan über Radio Prag
Seit 25 Jahren lebt David Vaughan in Prag. Der britische Autor und Hörfunk-Publizist arbeitete kurz nach der Wende zunächst in der englischen Redaktion von Radio Prag. Danach wechselte er in die Leitung und war acht Jahre lang Chefredakteur bei uns.
„Ich habe 1991 in der englischen Redaktion angefangen. Bei Radio Prag habe ich eigentlich gelernt, wie man Radio macht, damals vor 25 Jahren.“
Das war also sehr kurz nach der Wende. In welcher Lage befand sich damals Radio Prag? Warst du überrascht, was du hier vorgefunden hast?
„Es war eigentlich eine komische Zeit. Kurz davor hatte Radio Prag für ein paar Wochen oder Monate ganz aufgehört zu senden. Das war nach der Wende, es gab riesengroße Veränderungen, und man wusste nicht, wie es weiter geht. Natürlich war Radio Prag sehr kompromittiert durch das kommunistische Regime. Ich bin eigentlich kurz nach der Neugeburt von Radio Prag gekommen, und es war eine nette Zeit. In den ersten Jahren gab es immer einen Kampf ums Geld, ums Überleben, aber das Schöne war daran, dass wir alle alles mit Begeisterung gemacht haben. Das war die Euphorie nach der Wende.“
Du hast zunächst für die englische Redaktion gearbeitet und später als Chefredakteur den Sender geleitet. Was waren Deine wichtigsten Anliegen als Leiter des Senders?„Ich habe eigentlich Glück gehabt, indem mehrere Reformen schon vor mir angefangen haben. Zum Beispiel hatten wir schon seit 1994 unsere eigenen Internetseiten. Das war wirklich sehr früh, ganz allgemein in den Medien, nicht nur im ehemaligen Ostblock. Und darauf konnten wir aufbauen, was wirklich von Bedeutung war. Und sonst: Für mich war am Anfang sehr wichtig, dass wir unsere Sendung so lebendig wie möglich gestalten, so viele Interviews wie möglich führen und nicht nur übersetzen und hauptsächlich Nachrichten machen. Auch war mir wichtig, dass jede Redaktion anders ist. Was die deutschsprachigen Hörer interessiert, ist etwas ganz anderes, als das, was die Spanisch- oder Englischsprachigen hören wollen.“
Du hast das bereits erwähnt: Radio Prag hatte eigentlich eine der ersten Webseite hierzulande, aber nicht nur hierzulande. Wie wichtig war es für die Entwicklung des Senders, dass er im Internet präsent war?„Am Anfang waren wir alle oder fast alle ein bisschen skeptisch, ich auch. Aber es ist uns sehr schnell klar geworden, dass das Internet ein ganz wichtiger Teil unserer Zukunft ist. Dann kam das komplizierte Problem, mit dem alle Radiosender immer noch kämpfen, und zwar die Beziehung zwischen dem Radio an sich und dem Internet – also dem, was man alles im Internet machen kann, mit Ton, mit Fotos und mit Text. Als ich damals Chefredakteur war, habe ich versucht, diese Möglichkeiten zu entwickeln, und ich hoffe, es geht weiter.“
Es geht weiter. Radio Prag ist heute hauptsächlich im Internet präsent. Aber es ist immer noch ein Radio. Die Beiträge sind sowohl in Ton als auch in Schrift zugänglich. Glaubst du, dass das immer noch Sinn hat, auch die Audio-Version zu bieten?„Ich bin mir dessen sicher. Denn zum Beispiel in den Vereinigten Staaten spielen die sogenannten Podcasts eine riesige Rolle. Wenn man mit dem Hörer eine Konversation führt, dann entsteht etwas sehr Lebendiges. Ich denke zum Beispiel an die Interviews, die wir führen. Wir sprechen mit Menschen, die etwas Interessantes erlebt haben und machen, und da kann der Hörer das alles miterleben. Das ist eigentlich das Wunder des Rundfunks, diese Alchemie: Man sitzt da zu Hause und sitzt zusammen mit den Menschen, die sprechen. Das liebe ich, und das sollte man nicht wegschmeißen, nur weil man denkt, das Internet muss schnell sein. Ich lehnte die Vorstellung ab, dass man immer alles aktuell haben muss, aktualisieren muss. Natürlich stimmt es gewissermaßen, aber es geht um viel mehr.“
Du sagst, es geht um viel mehr: Was ist Deiner Meinung nach eigentlich die wichtigste Aufgabe eines Auslandssenders? Wir feiern jetzt 80 Jahre Radio Prag. Du hast dich mit den Anfängen, mit der Gründung des Senders gründlich beschäftigt und ein Buch darüber geschrieben. Was war damals der Grund für die Entstehung, und was ist heute die Hauptaufgabe?„Der Grund für die Entstehung damals, in den 1930er Jahren, war ganz eindeutig Nazi-Deutschland. Goebbels hatte eine hochentwickelte Vorstellung von der Radio-Propaganda, und die Tschechoslowakei war eigentlich ein Opfer dieser Propaganda und hat versucht, sich auf irgendeine Weise zu verteidigen. So ist Radio Prag entstanden, aber es war von Anfang an viel mehr als nur die Kontra-Propaganda. Wenn man in die Archive schaut, stößt man auf sehr interessante, sehr lebendige Sendungen. Man findet dort sehr viele Interviews, die etwas vom damaligen Zeitgeist noch heute zu uns, zu den Hörern bringen. Und vielleicht ist das genau die Rolle von Radio Prag auch heute: etwas vom Geist des Landes ins Ausland zu übertragen.“