Trügerische „Goldene Zeit“ – Radio Prag während der Normalisierung

Foto: Archiv von Andreas Fessler

Bunt und grell und mit einer Portion Humor – so hat die Medienlandschaft in der Tschechoslowakei in den 1970er und 1980er ausgesehen. Vor allem eines war den Medienmachern wichtig: nicht anecken und keine kritischen Diskussionen anregen. Radio Prag hatte in dieser Zeit eine gewisse Sonderstellung als Aushängeschild der kommunistischen Tschechoslowakei im Ausland. Und das hinterließ auch seine Spuren in der redaktionellen Arbeit.

Einmarsch der Armeen des Warschauer Pakts  (Foto: ČT24)
Die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 hat einen großen Einschnitt in alle Lebensbereiche der Tschechoslowakei bedeutet. Genoss man vor dem 21. August des Jahres noch relative gesellschaftliche und künstlerische Freiheit, änderte sich dies mit dem Einmarsch der Armeen des Warschauer Pakts schlagartig. Die Angst vor einer Entfremdung der Tschechoslowaken von der Linie der Bruderstaaten war groß. Die sogenannte Normalisierung ab Herbst 1968 war gezeichnet von einer straffen Strukturierung des öffentlichen Lebens.

Kampf um das Rundfunkgebäude 1968  (Foto: Archiv von Pavel Macháček)
Auch Radio Prag bekam das in diesen Tagen zu spüren. War nach der Besetzung des Landes die Devise des Senders noch, der „Auslandsrundfunk der besetzten Tschechoslowakei“ zu sein, war in der Zeit danach von Widerstand nichts mehr zu spüren. Das Personal änderte sich schlagartig, unbequeme Stimmen mussten, mehr oder weniger freiwillig, den Sender verlassen. Das Programm wurde unter dem Leitsatz gestaltet: „die Auslandssendungen unter den neuen Bedingungen in ein effektives Instrument der kommunistischen Partei und des sozialistischen Staates bei der Propagierung im Ausland zu formen“.

Die spätere Leiterin der deutschen Redaktion, Jitka Mládková, kam Mitte der 1980er Jahre zu Radio Prag. Sie erinnert sich an die Arbeit in der Redaktion vor der politischen Wende:

„Alles hing davon ab, wie politisch fundiert der jeweilige Mitarbeiter war. Hier in der Redaktion gab es Parteimitglieder und Mitglieder des sozialistischen Jugendverbandes. Es gab hier aber auch parteilose. Je nach dem, zu welcher Gruppe dieser Struktur jemand gehörte, wurde er mit einer Aufgabe betraut. Also durften nur einige die echt politischen Beiträge machen.“

Jitka Mládková  (Foto: Archiv von Jitka Mládková)
Die Rollen waren im Sender klar verteilt. Doch genauso bei der Wahl der Inhalte war man vorsichtig. Anders als heute, waren die Redaktionen in den Schlüsselbereichen nicht unbedingt selbst für ihre Arbeit verantwortlich:

„Wir hatten hier eine Zentralredaktion. Diese hat die Beiträge zunächst auf Tschechisch produziert. Die einzelnen Redaktionen haben sie dann in die jeweilige Sprache übersetzt. Bei den Rubriken hatten wir aber alles Mögliche. Da hat man sich einigermaßen als Autor oder Autorin gefühlt, denn man hatte relativ freie Hand bei der Themenauswahl. Natürlich wirkte da aber eine gewisse Selbstzensur. Man wusste, dass man bestimmte Meinungen nicht einfach in den Äther gehen lassen durfte.“

In der deutschen Redaktion waren in den 1980er Jahren 18 festangestellte Redakteure beschäftigt  (Foto: Archiv von Andreas Fessler)
Bei allen Einschränkungen war das Programm von Radio Prag viel umfangreicher als nach der Wende von 1989. Als Schaufenster zur kommunistischen Tschechoslowakei musste der Sender den Staat repräsentieren und in ein gutes Licht stellen. Dies ließ man sich auch einiges kosten. Allein in der deutschen Redaktion waren in den 1980er Jahren 18 festangestellte Redakteure beschäftigt. Insgesamt arbeiteten rund 350 Menschen für den Auslandsdienst des Tschechoslowakischen Rundfunks. Und gesendet wurde zeitweise auch in mehr Sprachen als heute: so zum Beispiel Polnisch, Arabisch oder sogar Suaheli.

Entsprechend dem Umfang der Redaktionen, war auch das Programm um einiges breiter, als es heute noch ist:

Michal David - Tschechoslowakische Popmusik in den 1980er Jahren | Foto: Tschechisches Fernsehen
„Jedes der 18 Redaktionsmitglieder musste etwas produzieren. Soweit ich mich noch erinnere, hatten wir fünf halbstündige Sendungen am Tag, und die waren nicht alle gleich. Wir haben viel mehr aktuelle – aktuell steht hierbei in Anführungszeichen – Beiträge produziert und auch noch die Rubriken.“

Auch die Nachrichten seien viel länger gewesen als heute, da man zusätzlich über das Weltgeschehen berichtet hätte, so Jitka Mládková weiter. Zehn Minuten hätten sie gedauert, und erstellt wurden sie von zwei Redakteuren. Zudem gab es auch das sogenannte Interprogramm von Radio Prag, ein Unterhaltungsprogramm für Westeuropa mit tschechoslowakischer Popmusik am Wochenende.

Trotzdem möchte Jitka Mládková in diesem Zusammenhang nicht von einer „Goldenen Zeit“ des Senders sprechen:

„Eine ‚Goldene Zeit‘ war das in keiner Hinsicht. Wir waren eine bunt zusammengewürfelte Melange von Leuten verschiedenen Alters und unterschiedlichen Gesinnungen. Man hat es aber nie nach außen hin demonstriert, wie man innerlich eingestellt war.“