Der Zivildienst ist tot – es lebe der Bürgerdienst!
Mit Beginn des Jahres 2005 verschwand er, der Zivildienst in Tschechien. 15 Jahre ist er alt geworden. Dann wurde er abgeschafft. Eigentlich nicht er, sondern die Wehrpflicht. Die Berufsarmee kam, der Zivildienst mit seinem sozialen Engagement ging. Und die freie Gesellschaft entfaltet frei auch ihre unangenehmeren Seite. Ein Bürgerdienst könnte Abhilfe leisten. Im akademischen Elfenbeinturm der Prager Karlsuniversität denkt man – recht geerdet – darüber nach.
Das Zentrum für soziale und wirtschaftliche Strategien gehört zur sozialwissenschaftlichen Fakultät der Karsluniversität. Dort befasst sich Libor Stejskal mit gesellschaftlichen Problemen im weitesten Sinne des Wortes. Eines der Formate, dass das Zentrum entwickelt und in die Debatte um die gesellschaftliche Entwicklung einbringen will, das sind die so genannten strategischen Innovationen. Das hat nichts mit militärischen Neuheiten zu tun. Diese Innovationen sind Ideen, die zur Verbesserung des gesellschaftlichen Lebens beitragen sollen. Eine von ihnen, die langsam Form animmt, ist gerade die Einführung von Bürgerdiensten für junge Menschen zwische 18 und 30 Jahren. Das klingt alles ein wenig sperrig und ist bisher ein rein akademisches Gedankenspiel. Allerdings hervorgegangen aus dem Gefühl eines gesellschaftlichen Mangels, wie Libor Stejskal erklärt:
„Wir haben eigentlich angefangen, an solch einem Entwurf zu arbeiten, weil wir sehen, dass der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft schwindet, die Solidarität zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Gruppen. Das belegen auch soziologische Studien. Für uns birgt das gerade bei der Jugend das größte Risiko. Die jungen Leute werden die künftigen Geschicke dieser Gesellschaft bestimmen und bei ihnen kann man noch einen Sinneswandel herbeiführen. Das hat uns bewogen, über einen breiten Rahmen nachzudenken, wie junge Menschen sich in die Gesellschaft einbringen können und damit ihre Fähigkeiten erhöhen, die Gesellschaft zu begreifen, anderen zu helfen, solidarisch zu sein und die Gesellschaft zu bereichern.“
Junge Menschen sollen die Möglichkeit haben, sich ungefähr ein Jahr gesellschaftlich sinnvollen und nützlichen Tätigkeiten zu widmen und zwar als Teil ihrer Bildung, als Teil ihrer Entwicklung, als Teil ihrer künftigen Karriere, meint Libor Stejskal, der an der Idee federführend mitarbeitet. Sinnvolle und nützliche Tätigkeit für die Gesellschaft, das sind zum Beispiel die Klassiker: Arbeit in Kinder- und Altenheimen, im Krankenhaus, bei der Hauspflege, der Feuerwehr, beim Roten Kreuz, in Jugendzentren, im Umweltschutz, aber auch unkonventionelle Bereiche, wie Armee oder Polizei. Pate stand unter anderem Deutschland mit seinem freiwilligen sozialen und ökologischen Jahr:
„Das deutsche Modell eines freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres war eine große Inspiration, ein Ausgangspunkt für unsere Überlegungen. Nicht so sehr, wie es konkret durchgeführt werden könnte, sondern vielmehr, was das Ethos betrifft.“Das soziale Ethos sei gerade das Problem in Tschechien, meint Libor Stejskal.
„Der vorherrschende Geist in der heutigen Gesellschaft unterstützt eher individualistische und egoistische Tendenzen und fördert das Bemühen, selber so viel wie möglich zu genießen. Alle stehen auch unter dem Druck, sich um ihren persönlichen Erfolg zu kümmern. Der zeigt sich vor allem darin, dass jemand viel Geld hat. Das sind die Hürden und Hindernisse, die diesem Entwurf sicherlich im Wege stehen.“
In Tschechien gibt es schon ein Gesetz über Freiwilligendienste. Aber das werde kaum genutzt, sagt Libor Stejskal. Im Prinzip gebe es da kein funktionierendes System. Das Interesse an Freiwilligendiensten sei hier sehr gering. Und außerdem herrscht hier etwas vor, was Stejskal als eine Art Kult des Professionellen beschreibt. Ein Defizit für Stejskal:
„Alle Leistungen im sozialen Bereich, im schulischen Bereich oder auf dem Sicherheitssektor, werden absolut einseitig vom Geist des Professionellen bzw. dem Kult des Professionellen beherrscht. Überall neigen wir dazu, dass jede Arbeit von Leuten durchgeführt wird, die das professionell machen und dafür bezahlt werden.“
Das sei nicht nur ein Grund dafür, dass es in vielen Bereichen an Leuten mangele. Es fühle sich auch niemand mehr verantwortlich, meint Stejskal. Aber wie kann man junge Menschen zum Bürgerdienst motivieren, wenn sie zur selben Zeit mit einer beruflichen Tätigkeit viel mehr Geld verdienen könnten?
„Die Motivation könnte sein dass der Bürgerdienst zu einem guten Karriereverlauf gehört, dass es zu einer guten Ausbildung eines jungen Menschen gehört, wenn er einen Teil seines Lebens einer freiwilligen Tätigkeit widmet.“So etwas wie eine soziale Visitenkarte also?
„Das ist sehr schön gesagt. Danke! Wenn es in Tschechien gelingen sollte, so etwas wie eine gute soziale Visitenkarte als wichtiges Element im Lebenslauf einzuführen, dann wäre das sehr sehr gut.“
Ob das wirklich so eine gute Idee ist, hat unsere Reporterin die Menschen auf der Straße gefragt: Sollten junge Leute einen Teil ihrer Zeit und Energie gesellschaftlich nützlichen Aufgaben widmen?
„Das wäre sinnvoll, aber ich weiß nicht, wie man sie dazu bringen könnte. Wir sind schon Mitglied beim Roten Kreuz, meine elfjährige Tochter und ich. Wir haben da also schon einiges gemacht“, meint eine Frau um die 40. Zwei ältere Damen sind sich auch sofort einig:„Ich meine schon, dass das eine gute Idee ist. Aber vor allem die Eltern sollten sie dahin führen, das ist gut für die Erziehung.“
Auch ein Herr im eleganten Anzug nickt: „Das wäre bestimmt gut. Ich glaube für junge Leute ist es wichtig, dass sie von etwas eingenommen werden, sich für etwas interessieren, damit sie auf andere Gedanken kommen. Und wenn sie nach der Schule nicht gleich einen Job bekommen, dann ist das für sie eine gute Erfahrung.“
„Das würde niemandem schaden. Wenn Sie sich hier umschauen und sehen, wie das hier aussieht, dann wäre das nur gut. Ich habe selber keine Kinder, aber eine gute Idee wäre das. Die Hände würden ihnen davon nicht abfallen“, meint diese Frau Mitte 30 pragmatisch. Ein Mann ungefähr gleichen Alters räumt einem Bürgerdienst nicht allzugroße Chancen ein.„Eigentlich ja, aber es werden immer weniger, die das tun. Sie wollen sich damit nicht abgeben. Aber ich würde das meinen Kindern auch raten.“
Die Motivation, der Anreiz wird für junge Leute nicht groß genug sein. Auch das Hauptargument einiger Experten gegen einen Bürgerdienst. Da gebe es in der Tat noch einiges auszuarbeiten, meint Libor Stejskal. Denn junge Leute sollen sich nicht ein Jahr lang für den Nächsten opfern und dabei finanziell zugrunde gehen. Also, Finanzierung und Wirtschaftlichkeit sind wichtige Probleme, die noch zu lösen sind. Ob die Idee eines Bürgerdienstes dann im Sande verläuft oder nicht, das wird nicht zuletzt von der Stimmung in der tschechischen Gesellschaft abhängen.