Deutsche und tschechische Nachrichtendienste über den Prager Frühling 1968

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„Der Deutsche Bundesnachrichtendienst und der Prager Frühling 1968“ – so heißt eine Studie, die im September anlässlich des Jahrestages des Einmarsches der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei veröffentlicht wurde. Es geht um ein gemeinsames Werk der Forschungs- und Arbeitsgruppe „Geschichte des BND“ und des tschechischen Auslandsgeheimdienstes UZSI (Úřad pro zahraniční styky a informace).

Die Studie ist ein Novum partnerschaftlicher Zusammenarbeit zweier europäischer Nachrichtendienste. Erstmals haben Historiker von zwei Diensten gemeinsam an einem Thema gearbeitet und ihre Sicht auf den Untersuchungsgegenstand wiedergegeben. Dies wurde 2012 von den damaligen Direktoren beider Organisationen so abgesprochen. Die Studie besteht aus zwei Teilen: Der eine ergänzt die Forschungsergebnisse einer unabhängigen Historikerkommission aus dem Jahre 2014. Diese hat im Auftrag des BND die Geschichte des Dienstes bis 1968 aufgearbeitet. Wie schon in den Medien berichtet wurde, beurteilte diese Kommission die Arbeit des BND rund um den Einmarsch der Truppen des Warschau-Paktes sehr kritisch. Nun sind dazu Originaldokumente und Fotos veröffentlicht worden, die Einblicke in die Arbeitsweise des Dienstes im Krisenjahr 1968 erlauben. Diese Passagen sind auch für tschechische Historiker ganz neu, sagt Jiří Peterka von UZSI.

Bohumil Laušman  (Foto: Archiv des Regierungsamtes der Tschechischen Republik)
„Der zweite Teil der Studie, für den die tschechischen Historiker verantwortlich sind, gibt zum Beispiel einen Einblick darüber, wie der tschechische Staatssicherheitsdienst im Jahr 1968 mit dem Feindbild umgegangen ist. Ich meine, dass die Stasi damals die westlichen Nachrichtendienste dämonisierte, um dadurch die eigene privilegierte Position zu verteidigen.“

Der BND und die tschechoslowakische Staatssicherheit (StB), standen damals auf den gegenüberliegenden Seiten des „Eisernen Vorhangs“. Daher unterschieden sich auch ihre Methoden und Ziele. Vor allem in den 1950er Jahren wendete die StB Gewalt gegen politisch aktive Emigranten an. Beispielsweise 1953 entführten ihre Agenten den ehemaligen Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei, Bohumil Laušman, aus Österreich und brachten ihn zurück in die Tschechoslowakei. Hier wurde er zu 17 Jahren Haft verurteilt, 1963 starb er unter bisher unbekannten Umständen im Gefängnis. 1957 versuchte die StB den Präfekten von Straßburg, André Tremeaud, zu töten. Das Päckchen mit Sprengstoff öffnete jedoch die Ehefrau des französischen Politikers und sie kam bei der Explosion ums Leben. Vor ein paar Jahren stellte sich heraus, dass die Staatssicherheit auch die Entführung des Journalisten Pavel Tigrid aus Paris geplant hatte, was aber scheiterte. Erst in den 1960er Jahren beendete die Tschechoslowakei diese Aktivitäten, ihr Sicherheitsapparat verfolgte aber weiterhin politische Ziele.

Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes am 21. August 1968  (Foto: ČT24)
„Der Nachrichtendienst der ČSSR war auch mit Verteidigung der kommunistischen Partei beauftragt. Dazu gehörte die Beobachtung der Opposition oder die Wirtschaftsspionage, die als Gegenmaßnahme gegen das damals bestehende Embargo gesehen wurde.“

Doch zurück zum Prager Frühling 1968. Der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes am 21. August beendete das Experiment um einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Der BND sei von dem Zeitpunkt des Einmarschs „völlig überrascht“ gewesen, liest man in der Studie unabhängiger deutscher Historiker aus dem Jahr 2014. Die Lagebeurteilungen des Bundesnachrichtendienstes werden als vage beurteilt. Die Analysen seien zudem von der Überzeugung einer aggressiven Grundhaltung des Weltkommunismus getragen gewesen, so die Ergebnisse weiter. Die neuesten Untersuchungen des BND fügen noch hinzu, diese negative Leistungsdarstellung würde dem zeitgenössischen kommunistischen Lagebild entgegenstehen. Der Einmarsch sei jedoch auch für die StB eine Überraschung gewesen, meint Jiří Peterka.

Václav Prchlík  (Foto: Archiv des Militärhistorischen Instituts in Prag)
„In der ganzen tschechoslowakischen Öffentlichkeit war das Thema der Bedrohung durch die Warschau-Pakt-Staaten fast tabu. Darüber sollte man nicht sprechen. Als fast einziger wagte General Václav Prchlík, eine solche Bedrohung zu deuten. Er war später aus seinem Posten abgerufen und in den 1970er Jahren auch bestraft.“

In der Studie wird Václav Prchlík als einer der einflussreichsten Reformer innerhalb der KPTsch erwähnt. 1968 arbeitete er als Mitglied des Parteivorstands an einer neuen Verteidigungsdoktrin. Darin sollte die Tschechoslowakei im Rahmen des Warschau- Paktes eine größere Rolle spielen. Zugleich leitete er die politische Abteilung der tschechoslowakischen Armee. Am 15. Juli 1968 wagte der General einen äußerst ungewöhnlichen Schritt: auf einer Pressekonferenz kritisierte er die Tatsache, dass die sowjetische Armee ihren Abmarsch aus der ČSSR verzögerte, obwohl eine gemeinsame Truppenübung schon vorbei war. Wie Prchlík später gestand, er hätte aus glaubwürdigen Quellen gewusst, was geplant war: am 15. August wurde in Moskau über die Intervention entschieden. Ein paar Tage danach wurde Prchlík aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und 1970 wegen Verrats von Staatsgeheimnissen angeklagt. Das Urteil lautete 22 Monate Haft.

Foto: Tschechisches Fernsehen
Doch die Lage kurz vor der Intervention 1968 war im tschechoslowakischen Partei-und Staatsapparat sehr unübersichtlich. Nicht nur die Ideologie, aber auch pragmatische Überlegungen, welcher Flügel schließlich gewinnen sollte, beeinflussten das Verhalten mancher Funktionäre. Dadurch war die Leistungsfähigkeit der StB beeinträchtigt. In der Studie steht dazu (Zitat):

„Der innere Zwist in der StB schlägt sich im Frühling und Sommer 1968 auch in ihren Dokumenten nieder. Die Bewertung der Arbeit der ausländischen Nachrichtendienste klingt darum absolut widersprüchlich. Für den konservativen Teil der StB war die Bedrohung durch ausländische Geheimdienste ein konstantes Argument geworden. Aus den operativen Einheiten hingegen, die die tatsächlichen Aktivitäten der westlichen Dienste beobachteten, kamen gegensätzliche Informationen.“

BND-Dokument
In den Archivdokumenten des Jahres 1968 wird eingestanden, dass die Abwehrarbeit gegen den BND weitgehend erfolglos war und dass es nur geringe Erkenntnisse über die Arbeit des BND auf dem Gebiet der Tschechoslowakei gibt. Die Staatssicherheit stellte fest, dass es ihr nicht gelungen war, weder die Struktur noch die Einsatzweise des BND zu durchschauen. „Die Staatssicherheit hat gegenwärtig keine Kontrolle über die Tätigkeiten der Agenten der Geheimdienste, die auf unserem Territorium aktiv sind“– zitiert die Studie eine der inneren Meldungen der StB. Es ist auch interessant, dass der Sicherheitsapparat die Aufklärungstätigkeit des BND gegen die ČSSR als nachlassend befand. Das stünde im Widerspruch zu der bis dahin unbestreitbaren These von der Verschärfung des Klassenkampfes, bemerkt dazu die Studie. Sie zitiert den Bericht der StB-Analytiker:

ÚZSI-Gebäude in Prag  (Foto: Irib,  CC BY-SA 3.0)
„In der letzten Zeit, besonders in den Jahren 1966–68, spiegeln sich in der Steigerung der Qualität und wohl auch einer teilweise geringeren Aggressivität die inneren politischen Verhältnisse in der BRD. Diese haben einen großen Einfluss auf die Außenpolitik der regierenden großen Koalition. Diese bemüht sich um durchgreifend bessere Beziehungen der BRD zu den Ländern des sozialistischen Lagers.“

Die Aktivität des BND war in der betroffenen Zeit in der Tschechoslowakei wirklich niedriger, sie beschränkte sich auf die Beobachtung der Lage. Das gilt auch für die Nachrichtendienste anderer sogenannter Westländer. Die Befürchtungen einiger Parteifunktionäre, dass diese Dienste die Entwicklung im Land irgendwie beeinflussen konnten, waren absolut übertrieben. Die festgestellten Tatsachen bestätigen, der deutsche zivile Geheimdienst interessierte sich zu 90% für militärische Angelegenheiten, die dazu dienen sollten, Möglichkeiten eines eventuellen Angriffs auf Deutschland auszuwerten. Dies änderte sich auch nach der militärischen Intervention von 1968 nicht. Die gemeinsame Studie vom BND und seinem tschechischen Partner UZSI kommt zu dem eindeutigen Schluss: Die politischen Hinweise auf hochgefährliche Aktivitäten eines äußeren Feindes waren ein Argument gegen jeglichen Eingriff in die privilegierte Machtposition des Repressionsapparats des Regimes. Die Tschechoslowakei war 1968 kein Objekt von Manipulationen der westlichen Nachrichtendienste. Deutlich mehr waren damals die Nachrichtendienste der anderen sozialistischen Länder hierzulande aktiv.