Der Mann, der zuviel wusste

General Heliodor Píka (Foto: ČTK)
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Noch vor dem ersten öffentlichen Schauprozess begingen die Kommunisten bereits Justizmorde. Der bekannteste Fall ist jener von General Heliodor Píka. 60 Jahre ist es her, dass Píka im Gefängnis im Pilsner Stadtteil Bory hingerichtet wurde. Ihm wurde ausgerechnet zum Verhängnis, dass er zuviel über Russland wusste.

General Heliodor Píka  (Foto: ČTK)
Heliodor Píka war seit jungen Jahren an Gefahren gewöhnt. Er war 17, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Er kämpfte in Russland und ließ sich gefangen nehmen, um in den neu entstandenen tschechoslowakischen Legionen für einen eigenständigen Staat zu kämpfen. Später kam er nach Frankreich und nach dem Ersten Weltkrieg musste er noch einen Waffengang dranhängen – im Militärstreit mit Polen um das Gebiet Teschener Land.

Doch seinen gefährlichsten Auftrag übernahm Píka mitten im Zweiten Weltkrieg. Heliodor Píka war vor den Nazis aus seiner Heimat geflohen und hatte sich der Exilregierung von Edvard Beneš in London zur Verfügung gestellt. 1941 schickte ihn der Exil-Präsident nach Sowjetrussland, um dort die tschechoslowakische Militärmission zu leiten. Píka half unter anderem seinen Landsleuten, die auf Seiten der Roten Armee kämpften.

„General Píka war ein wahnsinnig lieber Mensch und er sprach perfekt Russisch“, so erinnerte sich vor einiger Zeit beispielsweise eine ehemalige leitende Militärkrankenschwester an eine Begegnung mit Píka während des Krieges.

Auch andere schilderten ihn als sehr umgänglichen Menschen, auf diese Weise erfuhr er viele Details über die Sowjetunion unter Stalin – auch solche, die er besser nicht gewusst hätte.

„Er verfügte über umfangreiches Wissen über die Arbeitsstraflager des Gulag. Denn die Militärmission nahm tschechoslowakische Bürger, die aus dem Gulag frei gelassen wurden, in Empfang. Und die erzählten von ihren Erlebnissen, das gab ihm Einblick in die Dinge“, so der Brünner Militärhistoriker František Hanzlík.

Zudem war Píka auch gut informiert über die Arbeit und die Struktur des sowjetischen Geheimdienstes NKWD. Das Problem dabei: Heliodor Píka war nicht kommunistisch eingestellt.


Nach dem Krieg kehrt Píka nach Prag zurück. Doch die Kommunisten lassen ihn nicht aus den Augen; zu gefährlich scheint das Wissen des verdienten Generals, der nun stellvertretender Leiter des Generalstabs wird. Auf Anweisung aus Moskau bespitzeln tschechoslowakische kommunistische Geheimdienstmitarbeiter Píka ab 1945 auf Schritt und Tritt. Sie zapfen Dienst- und Privattelefon an, nicht einmal im Tresor sind Dokumente vor ihnen sicher. Moskau hat eminentes Interesse daran, dass Píkas Wissen über die Sowjetunion nicht in den Westen gelangt. Als im Februar 1948 die Kommunisten an die Macht kommen, wird ein Plan ausgeheckt: Píka soll mit Chloroform betäubt und über die Grenze geschafft werden. Historiker Hanzlík:

„Die Idee war, sich seiner zu entledigen, indem man ihn nach Österreich entführte. Dort sollte er dem sowjetischen Geheimdienst übergeben werden.“

Doch diese Räuberpistole schien letztlich den Kommunisten zu abenteuerlich – und Píka wurde stattdessen festgenommen:

„Man befürchtete, dass die Entführung verraten würde und dass es zu einem Skandal kommen könnte. Deswegen wurde gegen Píka ein Prozess konstruiert“, sagt František Hanzlík.

Der Prozess im Januar 1949 dauerte nur wenige Tage und wurde geheim gehalten. Zu einem öffentlichen Schauprozess wie in den 50er Jahren fühlten sich die kommunistischen Machthaber noch nicht stark genug, außerdem konnte Píka auch nicht Widerstand gegen das kommunistische Regime nachgewiesen werden, wie man heute weiß. Er wurde dennoch des Hochverrats schuldig befunden. Man lastete ihm an, sicherheitsrelevantes Wissen an die Briten verraten haben. Er wurde zum Tod am Strang verurteilt. In seinem Abschiedsbrief vor der Hinrichtung schreibt Heliodor Píka:

„Meine Lieben, meine Teuersten, dem fürchterlichen und entsetzlich tragischen Augenblick trete ich ruhig, ausgeglichen und mit reinem Gewissen entgegen. Trotz meiner Fehler habe ich meine Pflicht aufs Gewissenhafteste erfüllt. Ich bin überzeugt, dass es sich nicht um einen Justizfehler handelt, wo es doch so durchsichtig ist: Es handelt sich um einen politischen Mord.“


Am 21. Juni 1949 wurde das Urteil in den frühen Morgenstunden vollstreckt. Píka wurde auf dem Hof des Gefängnisses Bory ims westböhmischen Plzeň / Pilsen erhängt. Der Leichnam wurde den Familienangehörigen nicht einmal zurückgegeben. Umso mehr bemühte sich Heliodor Píkas Sohn nach dem Ende des Stalinismus nicht etwa um eine Rehabilitierung seines Vaters, sondern sogar um eine Wiederaufnahme des Prozesses. Dies wurde während des Prager Frühlings 1968 möglich:

Heliodor Píkas Sohn Milan  (Foto: ČTK)
„Ich wollte für die Geschichte erreichen, dass der Prozess von damals und der neue mit einander verglichen werden können. Ich wollte dieselben Zeugen haben wie damals und ein erneutes Verfahren, das aber öffentlich ablaufen sollte“, so Milan Píka.

Im Mai 1968 wurde das Verfahren aufgenommen und im Dezember desselben Jahres kam es zum Urteil. Es lautete auf Freispruch für Milan Píkas Vater. Der damals zuständige Staatsanwalt schrieb danach in einem Zeitungsbeitrag ein vernichtendes Urteil über die Prozessführung 19 Jahr zuvor:

„Im Prozess gegen General Píka vor dem Staatsgericht im Jahr 1949 überrascht jeden Juristen der grobe Verstoß gegen die Grundsätze eines Strafprozesses. Das betrifft vor allem die Beweisführung.“

Vor allem sei kein einziger Zeuge angehört worden, warf der Staatsanwalt in seinem Zeitungsbeitrag der damaligen Prozessführung vor. Zur Rechenschaft gezogen wurde in diesem Moment niemand. Die Beteiligten am ersten Prozess gegen Píka waren bereits parteiinternen Säuberungen während der stalinistischen Ära zum Opfer gefallen. Einige kamen ins Gefängnis. Und Geheimdienstleiter Bedřich Reicin wurde sogar nach einem Schauprozess hingerichtet. Doch einer derer, die sich die Hände besonders schmutzig gemacht haben sollen, hat überlebt: Staatsanwalt Karel Vaš. Er lehnt es bis heute ab, einen Fehler einzugestehen:

„Píka war schuldig, daran zweifle ich nicht. Er hat sich zwar um den Aufbau der Armee verdient gemacht, aber auf der anderen Seite hat er Verrat begangen. Und das war gesetzlich verboten. Die Höhe der Strafe, die hat dann das Gericht bestimmt, nicht ich.“

Nach der Wende in der Tschechoslowakei wurde Karel Vaš aber vor Gericht gestellt. Dieses befand ihn schuldig, am Justizmord gegen Heliodor Píka beteiligt gewesen zu sein. Vaš soll unter anderem wissentlich gefälschtes Beweismaterial benutzt haben. Doch ins Gefängnis musste Vaš dennoch nicht – das Urteil kam zu spät, denn die Tat war zu dem Zeitpunkt bereits verjährt.

Autor: Till Janzer
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