Auf den Spuren der Brüder Masin

Die Brüder Ctirad und Josef Masin
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Die Tätigkeit der Brüder Masin, die Anfang der 1950er Jahre bewaffneten Widerstand gegen das kommunistische Regime leisteten und nachfolgend in den Westen flohen, sorgt seit Jahren für kontroverse Diskussionen in Tschechien. Alljährlich kehrt um den Staatsfeiertag am 28. Oktober die Frage wieder, ob der tschechische Präsident diesmal den Brüdern Masin eine Auszeichnung verleihen wird. In Kanada erhielten sie in diesem Jahr von der dortigen Vereinigung der Tschechen und Slowaken den prestigeträchtigen Masaryk-Preis. In Tschechien hingegen tauchten sie trotz eines entsprechenden Antrags der oberen Parlamentskammer erneut nicht auf der Liste der Ausgezeichneten auf.

Als nach dem Machtantritt der Kommunisten in der Tschechoslowakei die ersten Schauprozesse stattfanden, gab es für Josef und Ctirad Masin keinen Zweifel mehr: Gegen die "Diktatur des Proletariats" galt es nach allen Kräften anzukämpfen. Insbesondere die Hinrichtung von General Pika, mit dem ihr Vater während des Kriegs Seite an Seite gegen die Nazis gekämpft hatte und von Milada Horakova, einer Freundin ihrer Mutter, gaben den Impuls für die Gründung einer Widerstandsgruppe. Schon früh hatten Ctirad und Josef Masin beschlossen, an das Vermächtnis ihres Vaters, anzuknüpfen, der einer der führenden Widerstandskämpfer gegen die Nazis war. 1942 wurde er hingerichtet. Seinen damals zehn bzw. zwölfjährigen Söhnen hinterließ er in einem letzten Brief die Botschaft, stets dafür zu kämpfen, freie Bürger zu bleiben. Für die Masin-Söhne stand von Anfang an fest, dass gegen das kommunistische Regime wenn überhaupt bewaffneter Widerstand Erfolg haben kann.Milan Paumer, langjähriger Freund der Masin-Brüder und Mitglied der kleinen Widerstandsgruppe, erinnert sich:

"Das war uns absolut klar! Als wir mit unserem Widerstand begonnen haben, waren schon an die 100 Menschen erhängt worden. So genannte Justizmorde. Und hinter all dem standen die Kommunisten. Das ist eine völlig unbestrittene Tatsache. Mich regt das wahnsinnig auf, dass die Menschen ein so kurzes Gedächtnis haben."

Stalin und Gottwald
Die tschechische Öffentlichkeit ist bis heute in ihrem Urteil über die Masin-Brüder gespalten. Heftig umstritten ist vor allem, inwiefern in Zusammenhang mit dem Widerstand Menschenopfer nötig waren. Bei den Sabotageakten und schließlich auf ihrer Flucht in den Westen töteten die Brüder Masin und ihre Mitstreiter Anfang der 1950er Jahre sechs Menschen.

"Wir müssen diese Aktivitäten im historischen Kontext sehen. Und sie waren nur die Antwort auf den von den Kommunisten erklärten Klassenkampf - auf Hinrichtungen und die Verhaftung von Repräsentanten der Demokratie. Die Brüder Masin und die anderen Leute in der Gruppe waren nicht die Initiatoren des Terrors, sondern das war die Antwort"

Ondrej Karas vom Tschechischen Zentrum hat sich Ende Oktober mit einigen Freunden auf die Spuren der Brüder Masin begeben: von der tschechisch-deutschen Grenze aus sind sie ihre Fluchtstrecke bis nach Berlin überwiegend zu Fuß nachgegangen. Ondrej Karas:

"Unser Ziel ist es, der tschechischen Öffentlichkeit die Geschichte dieser Gruppe in Erinnerung zu rufen und eine Diskussion zu starten. Für uns sind die Brüder Masin nur ein Teil des Widerstands. Es gab auch andere Widerstandsgruppen, die nach dem 2. Weltkrieg gegen den Kommunismus gekämpft haben. Die Gebrüder Masin sind nur ein Symbol, aber es geht um den ganzen Widerstand."

Sein Freund Tomas Skrivanek bemerkt: "Ich glaube, dass typisch ist, dass die Mehrheit der Tschechen denkt, aktiver Widerstand gegen das NS-Regime war richtig, gegen den Kommunismus aber nicht."

Milan Paumer  (links),  Ctirad und Josef Masin mit dem Masaryk-Preis
Aus der Sicht der damaligen Akteure ist es eine absurde Vorstellung, sich dem kommunistischen Regime unbewaffnet zu widersetzen. Milan Paumer:

"Natürlich haben wir Menschen erschossen. Aber das war Selbstverteidigung. Ich weiß nicht, was die Leute sich vorstellen, wie man sich anders vom Kommunismus hätte befreien sollen. Wissen Sie, das ist diese tschechische Mentalität: irgendjemand wird das schon für mich machen."

Seit zehn Jahren kehrt in Tschechien jedes Mal um den Staatsfeiertag am 28. Oktober die Frage wieder, ob der tschechische Präsident diesmal den Brüdern Masin eine Auszeichnung verleihen wird. In Kanada erhielten Ctirad und Josef Masin sowie Milan Paumer in diesem Jahr von der dortigen Vereinigung der Tschechen und Slowaken den prestigeträchtigen Masaryk-Preis. In Tschechien hingegen tauchten sie trotz eines entsprechenden Antrags der oberen Parlamentskammer erneut nicht auf der Liste der von Präsident Klaus Ausgezeichneten auf. Viel wichtiger als eine Medaille sei ihnen ohnehin etwas anderes, erklärt Milan Paumer:

"Uns geht es vor allem um eine Sache: dass wir uns hier von den Kommunisten befreien - und das meine ich wortwörtlich. Die waren hier 40 Jahre und die Menschen haben sich hier so daran gewöhnt, dass sie jetzt denken, sie haben den Himmel auf Erden. Das hier ist keine Demokratie - das ist ihr Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Und damit will ich mich nicht zufrieden geben."

Josef und Ctirad Masin sind heute in den USA erfolgreiche Unternehmer. Ihre tschechische Heimat haben sie seit ihrer Flucht im Jahr 1953 nie wieder besucht. Bis 1989 drohte ihnen hier die Todesstrafe, danach mussten sie mit Strafverfolgung wegen Mordes an Polizisten rechnen. Im Jahr 1995 betrachtete die Staatsanwaltschaft die Sache als verjährt. Milan Paumer ist 2001 nach Tschechien zurückgekehrt. Aufgaben, findet er, gibt es hier genug für ihn:

"Ich sage mir immer wieder, dass es hier noch soviel zu tun gibt, damit wir aus diesem sozialistischen Gedümpel herauskommen. Und ich bemühe mich wirklich, dabei zu helfen, auch wenn das eine Ameisenarbeit ist. Ich fahre in die Gymnasien und erkläre den jungen Menschen, was die 50er Jahre waren, wie die Situation heute ist, was man tun muss. Ich bin damit insgesamt zufrieden. Denn wenn sich 60 Augen auf Sie richten, die noch nicht einmal mit den Wimpern zucken, dann wissen Sie, dass die jungen Menschen darüber nachdenken."

In seinem Roman "Zatim dobry" ("Bislang gut") hat der in Amerika lebende tschechische Autor Jan Novak auf 800 Seiten die Geschichte der Brüder Masin, ihres Vaters Josef Masin sowie die Atmosphäre der damaligen Zeit nachgezeichnet. Das Buch wurde in diesem Jahr mit dem renommierten tschechischen Literaturpreis Magnesia Litera als "Buch des Jahres" ausgzeichnet.

Es ist nicht die erste Publikation über die Familie Masin. Jetzt sei es an der tschechischen Öffentlichkeit, diese Quellen auch zu studieren, meint Tomas Skrivanek:

"Ich glaube, jeder muss allein die Geschichte kennen. Jeder muss allein lesen und sich allein eine Meinung machen. Es geht nicht anders."