Deutschsprachige Autoren aus Böhmen und die Weihnachtszeit: Johannes Urzidil
Das Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren und Radio Prag haben eine literarische Serie zu Weihnachten gestaltet. So können Sie bei uns vom 24. bis zum 26. Dezember Geschichten und Gedichte von deutschsprachigen Autoren aus Böhmen, die alle etwas mit Weihnachten oder Winter zu tun haben. Die Werke wurden vom Literaturhaus ausgewählt. An jedem Sendetag lesen wir von einem anderen Autor vor. Zudem stellt die Leiterin des Prager Literaturhauses, Lucie Černohousová, die Autoren jeweils vor. Begonnen hatten wir mit Gedichten von Rainer Maria Rilke, danach kamen Sagen von Josef Virgil Grohmann. Diesmal ist Johannes Urzidil dran.
Frau Černohousová, über Urzidil haben wir im November bereits schon hier bei Radio Prag einen Beitrag in Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus gesendet. Welchen Anlass hatte es damals gegeben und mit welchem Autor haben wir es zu tun?
„Anlass war der 40. Todestag von Johannes Urzidil am 2. November. Dieser deutsch schreibende Prosaautor, Lyriker und Essayist wurde 1896 in Prag geboren. Er gehörte als jüngstes Mitglied zum Prager Kreis um Franz Kafka, Franz Werfel und Max Brod, der sich regelmäßig im Café Arco getroffen hat. Wegen seiner jüdischen Herkunft ist Urzidil 1939 nach Amerika emigriert, wo er auch seine bedeutendsten lyrischen Werke verfasst hat, die aber immer von Erinnerungen an seine Heimatstadt inspiriert sind. Da lassen sich zum Beispiel die Erzählbände ´Die verlorene Geliebte´ oder ´Prager Tryptichon´ nennen oder das bisher umfangreichste Werk über Johann Wolfgang Goethe und seine Beziehung zu den Tschechen, ´Goethe in Böhmen´. Vielleicht ist für die Hörer interessant, dass gerade durch die amerikanische Emigration und die jüdische Herkunft Urzidil lange Zeit nicht in der Tschechoslowakei veröffentlicht werden konnte. Eine erste Auswahl seiner Erzählungen wurde erst nach seinem Tod, 1985, unter dem Titel ´Hry a slzy´ (Spiele und Tränen) herausgegeben. In diesem Jahr ist eine Monographie über Urzidil entstanden, mit dem Titel ´Hinternational – Johannes Urzidil´. Er hat sich selbst sehr gern als hinternational bezeichnet. Das bedeutet, ´hinter den Nationen und nicht über- oder unterhalb´, wenn man ihn zitieren würde. Urzidil war ein großer Humanist in inhumanen Zeiten, was über ihn auch die Herausgeber Verena Schneider und Johannes Klaus sagen. Das Buch ´Hinternational´ wurde im November im Prager Literaturhaus präsentiert, und in unserer Bibliothek steht es den Interessenten zur Verfügung. Wie übrigens auch die CD-Rom mit Urzidils Stimme aus dem Rundfunkarchiv von Radio Bremen.“
Was werden wir von Urzidil heute hören?
„Die Prosa Neujahrsrummel. Sie stammt aus Urzidils wohl bekanntesten Erzählband ´Die verlorene Geliebte´. In ihr erinnert sich Urzidil in seinem amerikanischen Exil an seine Kindheit und Jugend in Prag.“
Aus der Erzählung „Neujahrsrummel“ aus dem Buch „Die verlorene Geliebte“ von Johannes Urzidil liest Ihnen Christian Rühmkorf vor:
„Der Knabe stapfte durch die Vorstadtgasse. Angestrengt arbeitete er sich weiter, denn der weiche Schnee lag fast schuhhoch, und es schneite noch immer. Es war kalt und zwei Uhr nachts. Warum mühte sich ein zwölfjähriger Knabe allein so spät in schlechtbeleuchteten und einsamen Gassen durch wirbelnden Schnee und blickte immer wieder suchend auf den Gehsteig...“