Deutschsprachige Juden standen in Prag an der Wiege der Biochemie
Um die grundlegenden chemischen Vorgänge in Lebewesen, den ständigen Stoffwechsel, zu erkunden, wurde der wissenschaftliche Zweig der Biochemie geschaffen. In ihr sind Chemie, Biologie und Medizin eng miteinander verzahnt. Deshalb wirken gerade Biochemiker jetzt an der Bekämpfung des Coronavirus mit. In České Budějovice / Budweis findet in diesen Tagen der XXVI. Kongress der Tschechischen und Slowakischen Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie statt.
Es ist ein Kongress, der in nicht-pandemischen Zeiten in der Öffentlichkeit wohl weit weniger Aufmerksamkeit generiert hätte, als es jetzt der Fall ist. Auch im Tschechischen Fernsehen (ČT) fand er diesmal Beachtung. Der Kongress wird von Sonntag bis Mittwoch in der südböhmischen Moldaustadt unter dem Titel „Leben ist Biochemie – Biochemie ist Leben“ veranstaltet. Da zwingt sich sofort die Frage auf, wie stark die Biochemie als Wissenschaft mit dem tagtäglichen Leben von uns Menschen verknüpft ist. Der Direktor des Biologischen Zentrums der tschechischen Akademie der Wissenschaften, Libor Grubhoffer, beantwortete diese Frage:
„Sie ist erstaunlich stark mit unserem Leben verbunden. Gerade in letzter Zeit wird sehr häufig die Phrase benutzt, ‚Chemie ist Leben‘. Wir spüren dann auch, dass etwas in dieser Richtung immer mehr in die Beziehungen zwischen den Menschen hineinprojiziert wird. Auch das ist ein Bestandteil der Biochemie, oder sagen wir es konkreter, des chemischen Zugangs beim Studium von lebenden Systemen.“
Zu solch „lebenden Systemen“ gehören auf mikrobiologischer Basis auch Viren und nicht zuletzt das seit rund anderthalb Jahren in der ganzen Welt weitverbreitete Coronavirus. Laut Grubhoffer haben die Wissenschaftler für Biochemie gerade jetzt einen grundlegenden Anteil bei der Bekämpfung der Pandemie. Und der Professor macht dies auch anhand einiger Beispiele deutlich:
„Der PCR-Test, die Antigentests sowie die gesamte Immunchemie – das alles wurde durch die Biochemie entwickelt und wird weiter erforscht. Das ist Menschen zu verdanken, die eine biochemische Ausbildung und sich zudem auf die biologischen Disziplinen spezialisiert haben.“
Neben der Nutzung von Biochemie in der Medizin nehmen auf dem Kongress aber ebenso andere Themen aus den Bereichen Pharmakologie, Biotechnologie oder auch der Erforschung von Pflanzen eine wesentliche Rolle ein. Gerade auf dem letztgenannten Spezialgebiet haben sich auch tschechische Forscher hervorgetan, bemerkt Grubhoffer:
„In diesem Fall führt die tschechische Spur zu Professor Jiří Friml, der sich intensiv mit dem Pflanzenhormon Auxin befasste, dessen Tätigkeit bis ins kleinste Detail untersuchte, und so den Mechanismus beschrieb, wie sich dieses Hormon auf den Wuchs von Pflanzen auswirkt. Dabei betrachtete er jede Blume wie ein pflanzliches Individuum.“
Nicht zuletzt wird auf dem Kongress auch auf die Herkunft der Biochemie als Wissenschaft geschaut. Und hierbei hat bereits am Sonntag ein Vortrag von Professor Radim Černý von der Prager Karlsuniversität für große Aufmerksamkeit gesorgt, berichtet Grubhoffer:
„Aus der Geschichte geht hervor, dass die grundlegenden Entdeckungen schon in der zweiten Hälfte des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, bis hin zum Zweiten Weltkrieg, von deutschen Ärzten und Biochemikern gemacht wurden. Der größte Teil von ihnen waren deutschsprachige Juden, die ebenso wie Albert Einstein im Fachgebiet Physik an der deutschen Karl-Ferdinands-Universität in Prag gewirkt haben.“