Die deutsche Emigration in Prag 1933-1939
Nachdem Hitler im Januar 1933 die Macht ergriffen hatte, strömten tausende von Flüchtlingen aus Deutschland. Schätzungsweise 10.000 bis 20.000 von ihnen fanden zwischen 1933 und 1938 ein vorübergehendes Zuhause in der Tschechoslowakei. Damit gehörte das Land zu den großzügigsten seiner Zeit, was die Asyl- und Flüchtlingspolitik betraf. Vor kurzem fand im Prager Goethe-Institut eine Konferenz statt, die sich mit diesem Phänomen befasste.
"Im Schutz und unter der wohlwollendsten Förderung der Tschechoslowakischen Republik und ihrer Führer hat dieses deutsche Bildungsinstitut sich mit Klugheit und Loyalität einzufügen gewusst in das Kulturleben eines Staates, in dem noch Demokratie eines edlen und echten Sinnes herrscht nach dem Willen und dem Geist seines Schöpfers, des Altpräsidenten Masaryk und seines Nachfolgers Eduard Benes."
Der Schriftsteller Thomas Mann gehört zu den bekanntesten Emigranten, die in der Tschechoslowakei eine vorübergehende Heimat gefunden hatten. In seinem Vortrag aus dem Jahre 1936 lobte er die Arbeit des deutschen Volksbildungsvereines Urania, bei dem viele Emigranten aus dem Deutschen Reich tätig waren. Die Politik der Prager Regierung gegenüber den Flüchtlingen war großzügig. Bei der insgesamt 1500 km gemeinsamen Grenze war es nicht überraschend, dass viele politisch oder rassisch Verfolgte ausgerechnet in die demokratische Tschechoslowakei flohen. Ein weiterer Grund war die deutsch sprechende Umgebung in den Grenzgebieten und Prag, die das Einleben erleichterte. Auch die Aufnahmeprozeduren waren in der Regel einfach, wie Dr. Werner Röder vom Münchner Institut für Zeitgeschichte erläutert:
"Die Leute kamen und waren da. Wenn sie deutsche Reisepässe hatten, konnten sie sich hier aufhalten, so lange diese Pässe Gültigkeit besaßen. Wer illegal über die Grenze kam oder mit einem Passierschein im kleinen Grenzverkehr, konnte bei den Bezirksbehörden eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen, die in der Regel problemlos gewährt wurde. Kommunisten hatten es dabei etwas schwieriger, weil die Regierung zunächst einmal diese Gruppe der Emigration nicht im Lande haben wollte."
Die Tschechoslowakei verfügte damals über eine Reihe liberaler Ausländerverordnungen, die politisch, rassisch oder religiös Verfolgte vor der Abschiebung nach Deutschland bewahrte. Der deutschen Botschaft in Prag passte dieser vorbildliche Schutz von Asylsuchenden nicht. In einem Bericht vom August 1933 hieß es unter anderem:
"Von Seiten der Tschechoslowakischen Regierung werden deutsche Emigranten bisher mit ausgesprochenem Wohlwollen behandelt. Die hiesige tschechische und deutsche Sozialdemokratische Partei, die ja beide in der Regierung vertreten sind, ebnen der Emigration alle Wege und sorgen für eine large Auslegung des Asylrechts. Gewisse Anzeichen sprechen dafür, dass hinter den Kulissen auch die Präsidentschaftskanzlei und Außenminister Benes ihre Hände segnend über die deutsche Emigration halten."
Doch nicht nur der deutschen Botschaft in Prag war die großzügige Politik der Prager Regierung ein Dorn im Auge. Auch von tschechischer Seite wurde diese kritisiert, wie ein Artikel aus dem konservativen Vecer zeigt:
"Die Flut von Ausländern, die uns kein Geld bringen, sondern die hohle Hand hinhalten, wächst. Asyl ist ein schönes Wort. Asyl kann man ohne Zögern unter normalen Umständen gewähren. Heute müssen aber auch wir das Gebot berücksichtigen, dass uns die Haut näher ist als das Hemd."
Die genaue Zahl der Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich ist heute nicht mehr feststellbar. Es wird geschätzt, dass zwischen 10.000 und 20.000 Menschen in die Tschechoslowakei kamen. Neben Frankreich nahm somit die Tschechoslowakei die meisten Flüchtlinge auf. Die Prager Regierung duldete im Gegensatz zu vielen anderen Regierungen auch die politische Tätigkeit der zumeist dem linken politischen Spektrum angehörenden Flüchtlinge. In Prag ließen sich eine Zeitlang der Parteivorstand der SPD nieder sowie eine Gruppe des Politbüros der KPD. Es erschienen bis zu 60 Zeitungstitel, die zum Grossteil für das Deutsche Reich bestimmt waren. Vor allem Kommunisten überschritten illegal die Grenze zum Reich, um den dortigen Widerstand zu unterstützten. Über die Struktur der Flüchtlinge erklärt Dr. Röder:
"Die größte Gruppe innerhalb der Politischen waren zweifellos die Angehörigen der Kommunistischen Partei, die teilweise illegal gelebt haben, um für den Widerstandskampf in Deutschland wieder eingesetzt zu werden. Soweit dies nicht möglich war, waren sie Unterstützungsfälle, die von der tschechischen Partei betreut wurden. An zweiter Stelle dann Sozialdemokraten und eine kleinere Gruppe von verschiedenen deutschen Oppositionsbewegungen, die sich hier aufhielten. Und dann kamen natürlich noch einige 100 zumindest Emigranten auch aus dem kulturellen Bereich hinzu, die vor allem dann das Prager deutsche Kulturleben mit beeinflussten, die aber in ihrer Mehrzahl auch der Linken zuneigten."
Ein Problem war die Versorgung der Flüchtlinge, wie Dr. Werner Röder vom Münchner Institut für Zeitgeschichte erläutert:
"Das war eine gemeinsame Anstrengung. Die deutschen Exilparteien haben sich bemüht, für ihre eigenen Leute zu sorgen, konnten dies mangels eigener finanzieller Mittel aber nicht tun, da sprangen die tschechoslowakischen Bruderparteien ein. Bei den Sozialdemokraten vor allem die deutsche Sozialdemokratische Partei der Sudetengebiete für die Kommunisten die übernational organisierte KPTsch. Dann gab es gewisse bürgerliche Unterstützungsvereinigungen, die sich um die Parteilosen oder nicht eindeutig als Partei auftretende Emigranten vor allem im kulturellen Bereich bemühten und diese verschiedenen Unterstützungskomitees bekamen auch von genannter und ungenannter Seite Zuschüsse, auch von der Prager Regierung. Das lief aber unter allgemeinen Ausgaben - wahrscheinlich und ist nicht in dieser Weise publik gemacht worden."
Für die meisten Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich war die Tschechoslowakei nur eine Transitstation. Im Mai 1938 verließ auch der Parteivorstand der SPD Prag. In einem zum Abschied veröffentlichten Kommunique lobten die deutschen Sozialdemokraten die Prager Regierung:
"Es muss hervorgehoben werden, dass sich das Verhalten der Tschechoslowakischen Republik von dem Verhalten der Regierungen anderer Nachbarländer Deutschlands vorteilhaft unterschied. Das gilt vor allem für die Schweiz und die Niederlande, die sich auf den Standpunkt stellten, dass jede politische Tätigkeit der Emigranten zu unterbinden sei, weil sie die Beziehungen zu dem großen und mächtigen Nachbarn störe."
Mit dem Einmarsch deutscher Truppen in die so genannte Resttschechei endete am 15. März 1939 dieses Kapitel der tschechisch-deutschen Geschichte.