Die deutschsprachigen Sendungen in der Tschechoslowakei I.
Im Mai 1923 feierte der tschechoslowakische Rundfunk seine Geburtsstunde, als das Radiojournal, wie sich der Rundfunk damals nannte, regelmäßig zu senden begann. Mit dem heutigen Kapitel aus der tschechischen Geschichte beginnt eine Serie über die deutschsprachigen Sendungen des tschechoslowakischen Rundfunks, zu deren ersten Teil Sie nun Katrin Bock erwartet.
Als am 28. Oktober 1918 die Unabhängigkeit der Tschechoslowakei ausgerufen wurde, entstand ein Staat, in dem neben 8,7 Millionen Tschechen und Slowaken auch rund drei Millionen Deutsche lebten. Diese wollten natürlich auch über das Geschehen im Lande und in der Welt informiert sein. Zu diesem Zweck existierten in der Tschechoslowakei nicht nur tschechische und slowakische Zeitungen und Zeitschriften, sondern auch deutsche - 1919 waren es immerhin rund 60, die vor allem in den überwiegend deutsch bewohnten Grenzgebieten der Republik erschienen. Anfang der 1920er Jahre kam ein neues Medium auf - der Rundfunk. Ich fragte den Rundfunkhistoriker Dr. Frantisek Hrdlicka, der selbst für kurze Zeit bei den Sendungen für die deutsche Minderheit arbeitete, wann der tschechische Rundfunk deutsch zu sprechen begann:
"Ich sage, dass der Anfang der regelmäßigen ersten Rundfunksendungen überall vom Nebel ein bisschen bedeckt ist. Also der tschechoslowakische Rundfunk feiert Geburtstag am 18. Mai 1923, aber zuerst am 10. Oktober dieses Jahres wurden vom Innenministerium die ersten sechs Konzessionen, das heißt Rundfunkapparatbesitzerlaubnisse, erteilt. Aber zur Frage: Schon 1923 sendete das Radiojournal Börsennachrichten in deutscher Sprache, aber das war keine Sendung für einen breiten Hörerkreis. Also bald nach den regelmäßigen tschechischen Sendungen des Radiojournals kam von unseren Deutschen Interesse an Broadcasting. Zum Beispiel die Gesellschaft Reichenberger Messe forderte vom Postministerium einen Sender."
Von den Anfängen der deutschsprachigen Sendungen sind leider im Archiv des tschechischen Rundfunks keine Aufnahmen erhalten geblieben. Die ältesten stammen aus 1930er Jahren, wie auch eine Reportage aus Horni Plana - Oberplan anlässlich einer Adalbert-Stifter-Gedenkveranstaltung im Juni 1937:
Im Oktober 1925 war es soweit: das Radiojournal begann nicht nur für die deutsche Minderheit Sendungen auszustrahlen, sondern auch für die ungarische und ukrainische.
"Das Postministerium mit der Zustimmung des Innen-, Außen-, Verteidigungs- und Schulministeriums informierte das Radiojournal im April 1925, dass es keine Einsprache gegen deutschsprachige Sendungen hat. Also, am 25. Oktober 1925 um 18 Uhr 10 Minuten meldete der Ansager durch den Kbely-Sender tschechisch, deutsch und französisch, dass die erste deutschsprachige Sendung des Radiojournals beginnt. Es folgten das Einleitungswort von Dr. Frankl und nachher ein Vortrag des damaligen Rektors der deutschen Universität in Prag, Professor Dr. Karl Cori über das Thema "Leben, Schlaf, Tod". In dem Buch "Der deutsche Rundfunk in der Tschechoslowakischen Republik" schrieb man:"
"15minütige Vorträge, dreimal wöchentlich, das war das Programm der deutschen Sendungen in den ersten Wochen. Universitäts- und Technikprofessoren, hervorragende Vertreter von Kunst, Kultur und Wirtschaft haben ihrem Inhalt die besondere populärwissenschaftliche Note gegeben, die immer ein besonderer Vorzug der deutschen Sendungen war."
"Später wurden die deutschsprachigen Sendungen verlängert und vom März 1926 sendete das Radiojournal das deutsche Programm durch den Strasnitz-Sender. Arbeiterrundfunk wurde am Mittwoch, der Agrarrundfunk am Freitag gesendet. Deutschsprachige Sendungen begann ab 1927 auch der Brünner Sender zu senden, später auch Mährisch-Ostrau-Sender"
Die Erkennungsmelodie von Ostava-Ostrau klang wie folgt:
Von 1925 an sendete das Radiojournal dreimal in der Woche ein deutsches Programm, bald war es eine halbe Stunde täglich. Neben Arbeiter- und Agrarrundfunk kamen katholische Sendungen und regelmäßige Sonntagspromenadenkonzerte aus Karlsbad hinzu. 1928 erfolgte die erste Live -Übertragung aus dem Deutschen Theater in Prag. Doch die deutschsprachigen Sendungen fanden nicht nur Zuspruch, so kritisierte die Zeitung Narodni Listy:
"Wir haben nichts gegen Vorlesungen, da diese gut zum Erlernen des Deutschen geeignet sind. Wir haben gehofft, dass die Deutschen sich zuerst einen Tschechisch-Kurs im Programm wünschen, das wäre in Ordnung. Aber ein gesamtes deutsches Musikprogramm? Ich bitte Sie, dazu gibt es doch ein paar Schritte weiter über der Grenze genug deutsche Sender, die einfach zu empfangen sind."
Und genau das machten die meisten deutschen Bewohner der Tschechoslowakei auch. Denn das Programm des Radiojournals hatte zwei große Fehler: zum einen war es zu kurz. Die deutschen Hörer wollten nicht nur für ein paar Minuten am Tag das Radio einschalten, für das sie Konzessionsgebühren zahlten. Zum anderen fühlten sich die Hörer in den ländlichen Gegenden oftmals nicht angesprochen vom Prager Programm. Dies wurde seit 1925 vom deutschen Bildungsverein Urania vorbereitet.
"Hauptperson der deutschsprachigen Sendung war der Urania-Direktor, Mittelschulprofessor Dr. Frankl. Oskar Benjamin Frankl wurde Sohn eines Rabbis, und wurde am 18. Januar 1881 in Kromeriz geboren. Nach dem Germanistik-Studium lehrte er im Gymnasium, aber nach der Urania-Gründung wurde er vom k.u.k. Professorendienst freigemacht. Dr. Frankl wurde zum Urania-Direktor und Leiter der deutschsprachigen Radiojournalsendungen ernannt. Ende 1938 verabschiedete er sich von Prag und über Paris fuhr er nach New York, wo er 1955 starb."
Die Urania war 1917 als Bildungsinstitut in Prag gegründet worden, mit dem Ziel, Kunst und Wissenschaft in den breitesten Kreisen der deutschsprachigen Bevölkerung ohne politischen Untertext zu verbreiten. Zunächst geschah dies mit Hilfe von Konzerten, Theateraufführungen, Vorträgen und Exkursionen. Der Rundfunk stellte dann natürlich ein ideales Mittel für diese Arbeit dar.
Zum Abschluss des heutigen Kapitels aus der Geschichte des deutschsprachigen Rundfunks in der Tschechoslowakei hören Sie eine Neujahrsbotschaft von Dr. Frankl, dem Leiter der deutschen Sendungen, vom 1. Januar 1937.
"Der einzelne, der ins Mikrophon spricht, er redet ins Leere, wenn er nicht weiß, dass seine Gedanken, seine Sprache den Widerhall der Hörer und Zeitgenossen findet. Wir wollen aber auch von Ihnen, verehrte Hörer und Hörerinnen, Wünsche an unsere Sendung hören und sie gerne, so weit es geht, erfüllen. So in ständigem Kontakt mit Ihnen möchten wir weiter deutsche Kulturarbeit leisten an unserem Prager Sender. Wir rufen ihnen heute, verehrte Hörer und Hörerinnen, von Herzen unseren Neujahrsgruß zu. Möge Ihnen zu frohen und erhebenden Stunden ein klein wenig auch unsere deutsche Sendung des Jahres 37 mithelfen."
Soweit der Neujahrsgruß von Dr. Oskar Frankl, dem Leiter der deutschsprachigen Sendungen des Radiojournals.