Die deutschsprachigen Sendungen in der Tschechoslowakei II.
1930 feierten die Sendungen für die deutsche Minderheit ihren 5. Geburtstag. Aus diesem Anlass erschien ein Buch, das der Volksbildungsverein Urania, der für die Sendungen verantwortlich war, herausgab. Die Programmgestaltung der deutschen Sendungen lag allein in den Händen der Urania, die niemanden Rechenschaft leisten musste. Auch über die Verteilung der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel konnte die Urania frei entscheiden. Mitgearbeitet haben am Programm vor allem Professoren der deutschen Universität in Prag, Künstler des deutschen Theaters in Prag und Journalisten. Oftmals wurden aber auch Reportagen aus den Regionen gesendet.
Mit dieser Erkennungsmelodie wurden die Hörer des Brünner Rundfunks begrüßt, der seit 1927 ein deutschsprachiges Programm sendete. 1932 begann im Prager Rundfunk der deutsche Schulfunk. In einer der ersten Sendungen wandte sich Präsident Tomas Masaryk im November 1932 persönlich an die deutschen Kinder:
"Liebe Schülerinnen und Schüler, gewiss hat man euch zu Hause und in der Schule erzählt, wie fürchterlich der Weltkrieg war. Viele Menschen sind gefallen, vielleicht trauern auch bei euch Familien über den Verlust ihres teuren Angehörigen, die aus dem Kriege nicht mehr zurückgekehrt sind. Wir leben jetzt seit 14 Jahren in Frieden. Bemühen wir uns alle, dass dieser gütige Frieden auf immer erhalten bleibt."
Neben dem Schulfunk, dem Arbeiter- und Agrarfunk wurden auch Musikprogramme, Hörspiele, Sportmeldungen und Nachrichten gesendet:
"In Frankstadt fand gestern im Rahmen des Erntedankfestes eine politische Kundgebung des Bundes der Landwirte statt, an welcher Minister Dr. Spina und Gustav Hacker das Wort ergriffen."
Das Radioprogramm des 8. Dezember 1935 sah z.B. wie folgt aus:
"14.15- 14.30 Uhr Deutscher Agrarfunk: Vortrag über die Besiedlungsgeschichte und das Aussehen der Dörfer.
18.00-18.50 Deutsche Sendungen: das Welttheater, Teil III.: Romain Rolland, Hörspiel
18.50-18.55 Uhr Deutsche Nachrichten des tschechoslowakischen Pressedienstes, Wettervorhersage
22.30-22.40 Uhr Deutsche Nachrichten des tschechoslowakischen Pressedienstes, Sportmeldungen"
Zwischen den deutschen Sendungen wurde das tschechische Programm ausgestrahlt. Mitte der 30er Jahren sendeten sowohl Brno als auch Ostrava rund anderthalb Stunden pro Tag in Deutsch. Die Hörer des Ostrauer Rundfunks wurden mit folgender Erkennungsmelodie begrüßt:
Umfragen unter Radioamateuren und Radiohörern in den deutsch besiedelten Gebieten der Tschechoslowakei ergaben, dass nur rund 20 Prozent von diesen die deutschen Sendungen des tschechischen Rundfunks hörten, über 80 Prozent hatten Sender aus dem Deutschen Reich oder deutschsprachige Programme anderer, europäischer Rundfunkanstalten in ihrem Apparat eingestellt. Dr. Frantisek Hrdlicka, der seit Jahren die Geschichte der deutschsprachigen Sendungen in der Tschechoslowakei erforscht, stellt fest:
"Die Ansicht über die Radiojournalsendungen war verschieden. Offiziell war alles in der besten Ordnung. Aber die Leitung der Deutschsendungen war in Prag und die meisten Deutschen waren in den Grenzgebieten. Im Grenzgebiet aber wurden Reichsrundfunksendungen in bester Qualität empfangen und so haben viele Deutsche Berlin, Breslau, Stuttgart, Fürth, Wien und andere gehört."
Der Grund für das geringe Interesse an den deutschen Sendungen des Radiojournals war einfach: Die deutschen Hörer in der Provinz fühlten sich nicht angesprochen. Erst viel zu spät wurde nicht nur der Rundfunkleitung, sondern auch den tschechoslowakischen Politikern bewusst, welch einen Fehler sie mit der Unterschätzung der Rundfunksendungen begannen hatten.
"Die erste Etappe der deutschsprachigen Sendungen des Radiojournals endet um 1933. Hitler kam zur Macht und der Rundfunk war für die Nazis eine der Hauptwaffen. Die Reichssender hatten immer mehr Sendestunden für Sudetendeutsche. Und unsere deutschen Mitbürger hörten. Der Nazirundfunk sprach über ihre Not, versprach ein besseres Leben. Sie machten große Propaganda für die Henleinbewegung und die tschechoslowakische Kontrapropaganda war sehr schwach."
1934-5 sendete der Reichsfunk 80 Sendungen für die Sudetendeutschen, in den folgenden zwei Jahren waren es sogar 124. Das Programm war durchdacht. So strahlten die Sender Königsberg und Stuttgart Propaganda für besser gestellte Schichten der Sudetendeutschen aus, da die sich bessere Empfänger leisten und damit diese Stationen empfangen konnten. Für Arbeiter und Bauern wiederum sendete man aus München, Leipzig, Breslau und Dresden einfach verständliche Propaganda - für einfache Rundfunkapparate.
"12.46 der Deutschlandsender gibt Meldungen des drahtlosen Dienstes.
In zahlreichen Orten ist es trotz aller Ablenkungsversuche der Prager Blätter und Rundfunks wieder zu erheblichen Zusammenstössen, Drangsalierungen, Misshandlungen und insbesondere zu Tausenden von Verhaftungen gekommen."
In Prag war noch immer der Volksbildungsverein Urania für die deutschsprachigen Sendungen verantwortlich. Die Antwort auf die Hetze aus dem Deutschen Reich war zunächst sehr bescheiden. Man argumentierte würdevoll, ruhig und sachlich und bemühte sich, die demokratischen Werte und die Idee der tschechoslowakischen Staatlichkeit zu verteidigen und zugleich versuchte man, den deutschen Hörern die tschechoslowakische Kultur näher zu bringen. Aber nur ein Teil der sowieso schon demokratisch und pro tschechoslowakisch gesinnten deutschen Bevölkerung lauschte den Minderheitensendungen aus Prag, wie z.B. dieser Kultursendung vom Dezember 1937:
"Das tschechische Drama und die tschechische Prosa bargen bei weitem nicht solche künstlerischen Aufschwünge und Eroberungen, solche kühnen Synthesen wie die Lyrik. Und was hier geschieht, ist selten Ausdruck einer nationalen Notwendigkeit, sondern entweder Gabe eines genialen einzelnen oder überraschende unerwartete Leistung, Sensation. Das erstere trifft zu für Karel Capeks Roman "Die erste Schicht - prvni parta". Die zweite Möglichkeit gilt für den sensationellen Erfolg von Marie Pujmonovas Roman, der mit dem Staatspreis ausgezeichnet wurde, "Lide na krizovatce - Menschen am Scheideweg".
Mit der Erkennungsmelodie des Prager Senders schließt das heutige Kapitel aus der Geschichte der deutschsprachigen Minderheitensendungen.