Die europäische Sprachverwirrung

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25 EU-Staaten und fast so viele verschiedene Sprachen. Wenn das im EU-Parlament bloss gut geht. Dazu im heutigen Feuilleton ein paar Gedanken von Alexander Schneller.

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Zwanzig verschiedene Amtssprachen gibt es jetzt in der Europäischen Union, seit am 1. Mai zehn neue Staaten dazu gekommen sind. Zweifellos ist es begrüssenswert, dass sich das Europa-Parlament darum bemüht, all die nationalen Idiome einzubinden. Das heisst, alle Mitglieder können ihre Voten in ihrer eigenen Sprache abgeben. Die Letten auf Lettisch, die Tschechen auf Tschechisch, die Slowenen auf Slowenisch, so wie früher schon die Portugiesen auf Portugiesisch, die Holländer auf Niederländisch oder die Griechen auf Griechisch. Dazu braucht es natürlich ein Heer von Dolmetschern und Übersetzern, die dafür sorgen, dass man sich über alle Sprachgrenzen hinweg gesamteuropäisch versteht. Ein schönes Symbol für das geeinte Europa.

Allerdings hat das Ganze eine oder gar mehrere Kehrseiten. Zunächst dauerten schon bislang mit 15 Staaten die Parlamentssitzungen zum Teil sehr lange. So lange eben, bis alle Voten, Meinungen und Beschlüsse in allen Sprachen zur Kenntnis genommen und akzeptiert waren. Mit neun neuen Sprachen, steht zu befürchten, wird sich dieses Problem weiterhin verschärfen. Kommt hinzu, dass im Zusammenhang mit dem Dolmetschen hin und wieder auch echte Verstehensprobleme auftreten. Wenn etwa nicht genau genug, nicht ausführlich genug gedolmetscht wird. Was in der Hitze der Wortgefechte und unter Zeitdruck immer wieder passieren kann. Eine weitere Erschwernis kommt nach der Erweiterung hinzu, wenn es zum Beispiel keinen Dolmetscher gibt, der direkt vom Maltesischen ins Estnische übersetzen kann oder wenn es keine Dolmetscherin gibt, die vom Ungarischen direkt ins Polnische dolmetschen kann. Was also tun? Ganz klar: Zuerst wird vom Maltesischen zum Beispiel ins Englische und von dort ins Estnische übersetzt. Es kommt also zur Übersetzung der Übersetzung. Wodurch die Gefahr oben erwähnter möglicher Unklarheiten, ja Missverständnisse zunimmt. Und im politischen Umfeld kann das zuweilen gar zu diplomatischen Verstimmungen führen. Man fühlt sich ein bisschen an die biblische babylonische Sprachverwirrung erinnert. Eine europäische Sprachverwirrung gewissermassen.

Natürlich gibt es Vorschläge, wie man das Problem entschärfen könnte: Man reduziere die Sprachen auf drei: Englisch, Französisch und Deutsch. Tatsächlich bestechend einfach, nicht wahr? Und die Privatschulen und Sprachinstitute wirds freuen. Allerdings ist schwer vorstellbar, dass die stolzen Spanier, die selbstbewussten Italiener oder die geschichtsträchtigen Griechen damit einverstanden wären. Und wenn schon vereinfachen, dann richtig: Englisch genügt doch, die Weltsprache auch als Europasprache. Dann allerdings verödet die Vielfalt, gerade das, was Europa ausmacht. Guter Rat ist teuer. Ich denke, es wird zunächst nichts Anderes übrig bleiben, als weiterhin mit allen Amtssprachen zu arbeiten, Erfahrungen zu sammeln mit der Vielfalt. Dafür plädiere ich umso mehr, als das Englische, da sollten wir uns nichts vormachen, auch in Europa schon längst die Verkehrssprache Nummer eins ist. Deshalb kann etwas kreative Sprachverwirrung à la EU nichts schaden.