Die Geheimnisse unter der Erde – Karel Absolon
An der Wende zum 20. Jahrhundert ging der Forscher dem Mährischen Karst auf den Grund. Später wurde er Archäologe.
„Weiß Gott, ob es je gelingen wird, den Felsenwall von Macocha zu durchbrechen.“
Schon 13 Jahre später stiegen Karel Absolon und vier junge Forscher über Strickleitern auf den Grund der Macocha- Schlucht. Später schilderte Absolon die anstrengende Kletterleistung vom 23. September 1901 in der „Zeitschrift für Wanderer“ folgendermaßen, Zitat:
„Zum Teufel! Es schien, das Hinunterklettern habe kein Ende. Der Schweiß lief mir in Strömen über die Stirn. Meine Hände zitterten, und ich fühlte mich erschöpft. Dies aber nur im ersten Moment, als ich auf dem Grund der Schlucht angekommen war. Gemäß der Verabredung blies ich kräftig in meine Trillerpfeife. Die Antwort war ein großes Jauchzen, das als lautes Echo durch die ganze Schlucht hallte. Ich begann, mich voll und ganz nur auf das einmalige Bild vor meinen Augen zu konzentrieren. Das ist also Macocha von unten!“
„Sie übernachteten mehrere Nächte lang in einem speziellen wasserdichten Zelt auf dem Grund der Macocha. Mit dabei hatten sie auch die nötige Ausrüstung. Aus den Tagebüchern von Absolons Zeitgenossen ist bekannt, dass sich die Forscher dort neben der Erkundungstätigkeit auch gut amüsiert haben. Wegen des Nachhalls schossen sie zum Beispiel aus Revolvern. Es gab auch bengalisches Feuer, also Feuerwerk.Mit viel Interesse sahen junge Damen ihren Lumperein zu.“
Vom Hobby zur Lebensaufgabe
Wie sein Großvater war auch Karel Absolon kein ausgebildeter Archäologe, denn diesen Studiengang gab es damals noch nicht. Stattdessen hatte er Zoologie und Geologie an der Prager Karluniversität belegt. Ein Jahr nach seiner Habilitierung von 1907 trat er das Amt des Kustoden im Mährischen Landesmuseum in Brünn an. Dabei erweiterte Absolon seinen Wissensbereich und profilierte sich nach und nach mit fundiertem Wissen in Speläologie, Anthropologie, Paläontologie und nicht zuletzt Archäologie. Laut Kostrhun hielt er sich für einen wichtigen Entdecker und verglich sich gerne mit weltberühmten zeitgenössischen Forschungsreisenden. Während diese die letzten weißen Flecken auf der Erde entdeckten, mache er dasselbe unter der Erde, sagte Absolon.
Bei seinen Touren stieß er auch auf den längsten unterirdischen Wasserlauf unter tschechischem Boden: den Punkva-Fluss in der gleichnamigen Höhle des Mährischen Karst. Die Höhlen des Karsts wurden 1914 auf – wie es hieß – trockenem Weg zugänglich gemacht. Dies galt damals als großer Erfolg. Er wurde jedoch mit dem Einsatz von viel Technik erreicht – unter heutigen Aspekten der Ökologie sicher nicht die beste Variante.Nach 1914 setzte Absolon die Erschließung weiterer Höhlensysteme des Mährischen Karstes fort. Darunter auch einen Abschnitt „nassen“ Weges, auf dem heute die Besucher 500 Meter weit in Kähnen fahren. Das war jedoch erst ab 1933 möglich. Diese Etappe unterirdischer Arbeiten war äußerst problematisch. Um seine Ziele zu erreichen, machte Absolon aber vor keinem Hindernis halt. Engagiert wurden zum Beispiel auch Bergarbeiter, Taucher und Steinbohrer einer Militäreinheit, zudem kam viel Dynamit zum Einsatz. Die Unterwelt des Mährischen Karstes war damit aber noch längst nicht erschlossen. Absolon nannte dies eine Aufgabe für kommende Generationen.
Er selbst wandte sich schon 1924 einem neuen Fachgebiet zu: der Archäologie. Bei Ausgrabungen suchte er intensiv nach Spuren aus der Urzeit - und wieder war er erfolgreich. In einem Rundfunkvortrag von 1938 sagte er unter anderem:„In der Höhle ‚Pekárna‘ nördlich von Brünn fanden wir wunderbare Zeichnungen urzeitlicher Tiere. Auf einer Zeichnung von Weltruf sind drei kämpfende Wisente abgebildet. Es handelt sich um die weltweit größte dramatische Abbildung aus der Zeit des Pleistozäns, die bisher entdeckt wurde. Wir fanden auch viele auf verschiedene Klangfarben abgestimmte Pfeifen, die aus Vogelknochen oder Raubtierzähnen gefertigt waren. Mittlerweile ist vielen Archäologen weltweit bekannt, welche Bedeutung Mähren für die älteste Geschichte der Menschheit hat.“
Das Geheimnis der Venus von Věstonice
Absolon grub auch in der Region von Dolní Věstonice / Unterwisternitz, einer Gemeinde in der Nähe des südmährischen Mikulov / Nikolsburg. Sein Team fand dort eine 25.000 Jahre alte Frauenfigur aus feuergehärtetem Ton, sie ist heute als „Venus von Věstonice“ bekannt. Die Umgebung erwies sich im wahrsten Sinne als eine Fundgrube. Petr Kostrhun:„Außer der berühmten Venus wurde dort eine ganze Reihe anderer kleiner Figuren gefunden. Sie waren aus Ton beziehungsweise aus einem Mammutzahn oder Tierknochen geschnitzt. Sie alle gehören zu den wertvollsten Belegen der ältesten Kunst der Welt. Dasselbe gilt auch für die Kunstgegenstände aus der Karsthöhle Pekárna. Die Menschen, die dort einst ihr Lager aufschlugen, gehörten derselben Sammler- und Tierjäger-Kultur an, der man heute die hervorragenden Höhlenmalereien in Frankreich und Spanien zurechnet. Angehörige derselben Kultur kamen auch nach Mähren und besiedelten hiesige Höhlen. Leider wurden keine Zeichnungen an den Wänden dieser Höhlen gefunden. Die urzeitlichen Menschen hinterließen haben aber wunderbare Beispiele sogenannter ‚tragbarer Kunst‘ hinterlassen.“
Die Erforschung der Altsteinzeit erlebte hierzulande in der Zwischenkriegszeit eine Art Boom. Dies bildete auch einen Teil der Kulturpolitik des jungen tschechoslowakischen Staates. Nicht zuletzt zeugte davon eine große Ausstellung im Jahr 1928 unter dem Titel „Die zeitgenössische Kultur der Tschechoslowakei“. Sie fand in Brünn zum zehnten Jahrestag der Staatsgründung statt. Auf dem damals neu angelegten Messegelände wurden eben auch Gegenstände aus der ältesten Zeit der Menschheit gezeigt, und das in einem bisher unbekannten Umfang. Wer dahinterstand, liegt auf der Hand. Petr Kostrhun:„Karel Absolon. Er war bereits eine respektierte und für die Kulturpolitik des tschechoslowakischen Staates bedeutende Persönlichkeit. Deswegen entschieden die Stadtväter, dass ein Ausstellungspavillon für Absolons Entdeckungen bereitstehen sollte. Unter dem Leitmotiv ‚Der Mensch und sein Geschlecht‘ wollte man die Tschechoslowakei als eines der Länder mit den reichsten prähistorischen Fundstätten präsentiere. Dies war eine Sache des Prestiges. Sogar Staatspräsident Masaryk besuchte den Pavillon, der zum Besuchermagneten wurde. Unter anderem lag das wohl an der originellen Idee Absolons, das Modell eines Mammuts in Originalgröße auszustellen. Vor dem Start der Ausstellung war dies aber bei den Organisatoren nicht gut angekommen. Sie fanden dies einer seriösen Veranstaltung nicht würdig. Absolon fühlte sich beleidigt, gab aber nicht auf. Er wandte sich an den bekannten Schuhfabrikanten Tomáš Baťa mit der Bitte um eine finanzielle Unterstützung. Er präsentierte dies als Baťas Chance, sich auch als Mäzen der Wissenschaft von Weltrang in der Öffentlichkeit vorzustellen.“
Vorbild in der jungen Republik
Baťas Antwort war positiv. Absolon bekam von ihm 30.000 Kronen für die Finanzierung seines Vorhabens. Vier Monate lang bastelten zehn Handwerker an einem Mammutskelett. Danach wurde aus Gips, Textilstoff und Kokosfasern das Fell hervorgezaubert. Das Mammut wurde dann tatsächlich zum größten Magnet der Brünner Ausstellung. Aufgrund des Erfolges avancierte Absolons archäologische Sammlung nach dem Ende der Schau dann auch zur ersten Dauerausstellung auf dem Messegelände. Sie wurde schrittweise um neue Funde und Ankäufe aus ausländischen Sammlungen erweitert. Absolon wandelte die ursprüngliche Exposition in ein Museum um. Petr Kostrhun:„Dem Museum gab er Anfang der 1930er Jahre den aus dem Griechischen entlehnten Namen ‚Anthropos‘, also der Mensch. Es gehörte bald zu den meist besuchten Institutionen seiner Art in Mitteleuropa. Das Museum konnte sogar mit dem berühmten Pariser ‚Museum des Menschen´ (Musée de l´Homme, Anm. d. Red.) konkurrieren.“
Karel Absolon trug jedoch damals bereits noch ein anderes, ambitiöses Projekt im Kopf. Er wollte in Brünn ein Institut für urgeschichtliche Forschung aufbauen. Es sollte mit dem Museum Anthropos unter einem Dach sein. Die Umsetzung des Projektes, das auch Präsident Masaryk finanziell unterstützen wollte, verhinderte aber der Zweite Weltkrieg. Karel Absolon wurde dann pensioniert. Und bis zu seinem Tod im Jahr 1960 beschäftigte er sich damit, seine umfassenden Sammlungen zu katalogisieren.