Die Geschichte des tschechischen Bethlehem
Tschechien hat sein eigenes Bethlehem. Dabei weiß niemand so genau, wie es zu seinem biblischen Namen kam. Allerdings handelt es sich nicht um eine Stadt, sondern nur um einen Ortsteil im ostböhmischen Städtchen Hlinsko. Geprägt ist dieses Bethlehem von einzigartigen Fachwerkhäusern aus Holz, die 200 Jahre alt sind. Hier siedelten damals vor allem Töpfer und Weber. Heute ist das Stadtviertel Teil eines Freilichtmuseums, das unter der Obhut des staatlichen Denkmalschutzamtes steht. Kurz vor Weihnachten hat der Tschechische Rundfunk das Museum besucht.
Bescheidenes Leben und harte Arbeit in Region Hlinsko
Ilona Vojancová ist die Direktorin des Freilichtmuseums auf der Böhmisch-Mährischen Höhe. Sie begleitet uns beim Spaziergang durch die wunderschön sanierten Bauernhäuser im Ortsteil Bethlehem von Hlinsko. Das Leben in diesem Winkel des Landes an der Grenze zwischen dem Eisengebirge (Železné hory) und dem Saarer Bergland (Žďárské vrchy) war nie ein Zuckerschlecken. Bescheidenheit und harte Arbeit waren eine Selbstverständlichkeit, und dies spiegelt sich auch in einigen Ortsnamen wider:
„Hlinsko soll nach der hier vorkommenden Töpfererde benannt worden sein, die vielen Familien den Lebensunterhalt gesichert hat. Die ersten Bewohner der Hütten hier in Bethlehem waren also Töpfer. Als die Erde erschöpft war, schwand auch die Vorliebe für Steingut, das nun durch Zinnwaren ersetzt wurde. Als neue Lebensgrundlage der Bewohner etablierte sich indes die Weberei. Es war das zweite große Gewerbe, dem sich die Menschen hier zuwandten, denn die steinigen Felder im Umfeld reichten nicht zum Überleben. Ton und Steine sind folglich das Symbol dieser Region, in der sich die Menschen ihren Lebensunterhalt sehr hart verdienen mussten.“
Ilona Vojancová ist die beste Stadtführerin, die sich der Besucher von Hlinsko wünschen kann. Und das nicht nur, weil sie ausgebildete Ethnologin ist. Sie stammt auch von hier und hat in Bethlehem einen Großteil ihrer Kindheit verbracht.
„Gehen wir weiter durch Bethlehem. Die Häuschen hier auf der linken Seite standen schon damals. Es waren drei dicht nebeneinanderliegende Bauten, und die Gassen zwischen ihnen waren äußerst eng. Wir haben hier viel Verstecken oder Fangen gespielt. Und damit sich die Zuhörer das auch vorstellen können: Wenn wir mit unseren Ranzen auf dem Rücken von der Schule kamen, mussten wir seitlich durch einige Gassen gehen, weil die breiten Ranzen sonst an den Hauswänden entlanggeschabt wären. An einigen Stellen mussten selbst wir Kinder uns ganz dünn machen, das war immer ein großer Spaß. Und an der Stelle, an der wir jetzt stehen, befand sich eine Pumpe, hier haben die Bewohner Wasser geholt. Denn zu einigen Hütten gab es keine Trinkwasserleitungen. Für die Leute war die Pumpe zudem ein Treffpunkt, an dem sie viel miteinander redeten. Wir Kinder hatten viel Spaß, wenn wir mit dem Wasser spielten und uns bespritzten.“
Kommunistische Pläne stoßen auf Widerstand
Ilona Vojancová ist hier in den 1960er und 70er Jahren aufgewachsen, als im Land die Kommunisten herrschten. Sie versuchten, die ganze Gesellschaft umzukrempeln. Die Wohnungsfrage lösten sie mit der Errichtung von Plattenbausiedlungen. Für einen traditionellen Stadtteil mit Holzhäusern, wie es Bethlehem ist, war dafür kein Platz. Die kommunistischen Führer vor Ort machten daher den Vorschlag, Bagger nach Bethlehem zu schicken und die Häuser abzureißen. Die Einheimischen, die sich dagegen wehrten, wurden als Rückständige und Ewiggestrige bezeichnet. Nach den Erfahrungen von Vojancová war das Wohnen in diesem Ortsteil aber keine Schande:
„Das Stigma Bethlehems als Armenviertel oder Ort der Aussätzigen traf keineswegs zu. Schließlich lebten hier im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch viele angesehene Bürger von Hlinsko. Darunter waren ein Bürgermeister, mehrere Stadträte und Menschen, die wir heute als Unternehmer bezeichnen würden, wie Kürschner oder Weber. Es waren Leute, denen es gut ging. Das Stigma wurde künstlich geschaffen, und zwar Ende der 1970er und in den 1980er Jahren, als dieser Ort mit mehreren verlassenen Häusern als eine Schande für die Stadt betrachtet wurde. Damals kamen Pläne für den Bau einer Wohnsiedlung oder eines Geschäftsviertels auf. Als weitere Variante wurde überlegt, hier eine Tiefgarage zu bauen. Und genau gegen diese Pläne und Ideen mussten wir ankämpfen, um zumindest einen Teil von Bethlehem zu retten.“
Zum Glück für Bethlehem und seine Bewohner erhielt ihr Stadtviertel während des Kommunismus wenigstens einen kleinen Rechtsschutz. Das war, als der damalige Präsident Ludvík Svoboda zum nahe gelegenen Gipfel Žákova hora kam und dort oben feierlich ein neues Landschaftsschutzgebiet ausrief:
„Als das Saarer Bergland zum Schutzgebiet erklärt wurde, wurde zudem Bethlehem in der entsprechenden Urkunde als wertvolles Gebiet erwähnt. Aus rechtlicher Sicht hatte dies kein Gewicht, und für Bethlehem ließ sich daraus auch kein Rechtsschutz ableiten. Es half aber, dass die damaligen Funktionäre nun ein wenig Angst davor hatten, die Bulldozer hierher zu schicken.“
Eine andere Sache, die zur Rettung von Bethlehem beitrug, war das Engagement von landesweit anerkannten Künstlern, die aus Hlinsko kamen. So machten beispielsweise die Maler Bohumír Komínek und Mirka Zychová in Prag auf den Charme und Zauber des Ortsteils Bethlehem aufmerksam. Sie schafften es, eine informelle Gruppe gleichgesinnter Künstler und Kunsthistoriker zu formieren. Heute würde man sagen, dass sie damals eine PR-Kampagne gestartet haben:
„In den 1980er Jahren erschien dann sogar ein Artikel in der Wochenzeitung ‚Mladý svět‘ (Junge Welt, Anm. d. Red.). Darin unterstrich Redakteur Velek, wie wichtig es sei, zumindest einen Teil von Bethlehem zu erhalten. Ein weiterer Artikel erschien in der Zeitschrift ‚Úmění a řemesla‘ (Kunst und Handwerk, Anm. d. Red.). Das hinterließ Spuren bei den örtlichen Funktionären, die beschlossen hatten, Bethlehem zu liquidieren. So entstand der Eindruck, dass der Bausubstanz des Ortsteils große Aufmerksamkeit von außerhalb geschenkt würde, insbesondere von Naturschützern, Künstlern und Journalisten. Die Kommunisten waren beeindruckt und ließen von ihren Plänen ab.“
Altes Bethlehem soll revitalisiert werden
Bethlehem wurde daher zunächst zu einem Denkmalschutzgebiet und später zum Teil des Freilichtmuseums erklärt. Stadtführerin Ilona Vojancová verwendet das Wort „Freilichtmuseum“, mit dem immer noch solche Institutionen bezeichnet werden, aber nicht gern. Sie würde Bethlehem lieber als lebhaften Teil der Stadt sehen, in dem Menschen leben und arbeiten, und nicht als Viertel für Touristen:
„Ich könnte mir vorstellen, dass Bethlehem zumindest teilweise wieder so auflebt, wie ich den Ort aus meiner Kindheit kenne. Als wir das Konzept zu seiner Revitalisierung in Angriff nahmen, haben wir Raum für private und andere Investoren gelassen, nicht nur für uns als Museum. Und es ist auch etwas geschehen. Auf den früheren Baugrundstücken hier darf man in einem solchen Stil bauen, der zum ursprünglichen Haus passt. Heute gibt es hier zum Beispiel zwei Repliken von ehemaligen Bauten. Sie sollen als Gästehäuser dienen, nicht zum dauerhaften Wohnen. Wenn aber jemand hier leben will, sind wir einfach nur glücklich. Und tatsächlich sind auch schon Menschen zurückgekehrt. Zunächst kamen sie nur zur Erholung, doch heute leben sie dauerhaft hier.“
Ilona Vojancová lebt für ihre Vision. Eines ist sicher: Das tschechische Bethlehem in Hlinsko hat die Pläne für seinen Abriss überlebt. Heute ist es ein Ort, an dem man viele Dinge über die Geschichte dieser Region, über ihre Eigenheiten und die hiesigen Menschen lernen kann.