Die letzten Schrankenwärter Tschechiens
In Tschechien gibt es noch vier Eisenbahnerposten, an denen Schrankenwärter manuell die Schranken öffnen und schließen. Einer davon befindet sich in Žim / Schima in Nordböhmen. Radio Prag International hat vorbeigeschaut.
Ivana ist Eisenbahnerin mit Herz und Seele. Sie wurde sogar auf einem Bahnhof geboren. Ihr Vater war Stationsvorsteher, ihre Mutter verkaufte an der Kasse Fahrscheine. Ivana selbst ist Schrankenwärterin, und ihr Arbeitsort ist der Bahnhof von Žim, einer kleinen Gemeinde mit 241 Einwohnern in der Nähe von Ústí nad Labem / Aussig.
„Ich bin eigentlich schon seit vier Jahren im Ruhestand. Aber dann wurde hier eine Mitarbeiterin krank. Ich war vorher 45 Jahre lang Fahrdienstleiterin. Nun mache ich hier als Schrankenwärterin ein paar Schichten – damit ich die Eisenbahn nicht so sehr vermisse und das Gefühl habe, gebraucht zu werden.“
Ivana ist dabei eine der letzten Schrankenwärterinnen in Tschechien. Nela Eberl Friebová ist die Sprecherin der Eisenbahnverwaltung (SŽ) und sagt gegenüber Radio Prag International:
„Schrankenwärter gibt es derzeit noch an vier Standorten in Tschechien. Konkret handelt es sich um Pertoltice pod Ralskem, Velký Valtinov, Chotěvice und Žim. An diesen Posten arbeiten derzeit insgesamt 15 Menschen.“
Wie Eberl Friebová ausführt, gibt es in Tschechien insgesamt um die 7500 Bahnübergänge. Die manuellen Schranken würden weniger, da die Bahnsicherungsanlagen und Strecken modernisiert werden, sagt sie. Was man am Bahnhof von Žim heraushören kann: Oft sind es Meinungsunterschiede mit Grundstückseigentümern, wegen derer an den verbleibenden Standorten bisher keine automatischen Schranken gebaut wurden. Eberl Friebová betont aber, dass es mechanische Schranken in gewisser Form definitiv auch in Zukunft weiter geben werde:
„Diese Form der Sicherung eignet sich vor allem für Orte, an denen nur ein paarmal im Jahr die Schranken geöffnet werden müssen, etwa wegen des Abtransports von Holz. Von solchen Übergängen an Feldwegen gibt es in Tschechien ungefähr 200. Bei den sonstigen mechanischen Schranken, die regelmäßig bedient werden, ist zumeist eine Modernisierung und der Einbau automatischer Systeme geplant.“
Doch was soll dann aus den Schrankenwärtern werden?
„Wir bieten ihnen eine Weiterqualifizierung und eine andere Position an. Sie werden keinesfalls einfach so entlassen“, beteuert Eberl Friebová.
Das Festnetztelefon ist das modernste Arbeitsgerät
Zurück zu Ivana an den Bahnhof von Žim. Das Festnetztelefon ist im Grunde das modernste Gerät, das sie für ihren Job als Schrankenwärterin braucht – zugleich ist es vielleicht ihr wichtigstes Arbeitsgerät.
Über den Fernsprecher wird ihr mitgeteilt, wenn im Bahnhof von Radejčín / Radzein oder Úpořiny / Auperschin ein Zug in Richtung Žim losfährt, und die Eisenbahnerin muss die entsprechende Anweisung genauestens wiederholen.
Handelt es sich um einen Zug aus Richtung Osten, muss Ivana sofort nach draußen, um die Schranke herabzulassen. Kommt er hingegen aus Richtung Westen, so wie jetzt, bleiben noch zehn Minuten. Zehn Minuten, die Ivana – wie den Großteil des Arbeitstages – mit dem Lösen von Kreuzworträtseln oder der Lektüre der tagesaktuellen Presse verbringt. Ganz allein ist sie dabei nicht, denn eine Bahnhofskatze leistet den Schrankenwärtern von Žim Gesellschaft. Eigentlich sei sie das Haustier des Nachbarn, doch sie käme jeden Tag hierher, so Ivana.
Der Schrankenwärterposten ist augenscheinlich der einzige noch genutzte Raum des Bahnhofsgebäudes. Neben dem Schreibtisch mit dem Telefon und den Heften, in denen handschriftlich etwaige Vorkommnisse verzeichnet werden, findet sich dort auch ein Kohleofen, der den Raum angenehm aufheizt. In einer Ecke steht zudem ein Bett. Aber warum das?
„Die Spätschicht geht von 11 Uhr bis 20 Uhr und die Frühschicht von 3.40 Uhr bis 11 Uhr. Wenn man kein eigenes Auto hat, kommt man hier jedoch zum Dienstantritt mitten in der Nacht gar nicht hin.“
Deshalb müssen die betroffenen Schrankenwärter schon am Tag vorher anreisen und im Bahnhof übernachten. Der frühe Dienstantritt sei aber unabdingbar, sagt Ivana:
„Der erste Zug für Reisende fährt 4.31 Uhr in Radejčín los. Vorher muss der Zug aber noch leer aus Úpořiny dorthin gebracht werden, weil er dort nicht über Nacht bleibt. Die letzte Verbindung startet um 19.01 Uhr in Úpořiny und kommt 19.24 in Radejčín an. Dann fährt der Zug zurück, und um 20 Uhr beginnt die betriebliche Streckensperrung.“
Außer wenn der letzte Zug verspätet sei, denn dann verlängere sich die Schicht natürlich, sagt Ivana.
45-mal drehen
Der Kurzzeitwecker klingelt, der Zug aus Richtung Úpořiny ist nun noch ungefähr fünf Minuten entfernt. Ivana muss den gut beheizten Schrankenwärterposten verlassen und tritt vor das Bahnhofsgebäude. Unter einem Wellblechverschlag befindet sich dort die Kurbel, mit der die Schranken heruntergelassen werden können. Es sind zwei Bahnübergänge, deren Schranken Ivana von hier aus über einen unterirdisch verlegten Seilzug betätigen kann. Der eine Übergang befindet sich an einem Feldweg, der andere an einer wenig befahrenen Landstraße. Die Schranken als solche bestehen aus langen Holzpfählen, die streifenförmig mit roter und weißer Farbe angestrichen wurden.
Zunächst muss Ivana die Kurbel mit einem Schlüssel entsichern, dann beginnt sie zu drehen, was, wie sie sagt, schon ein wenig Muskelkraft erfordere. Insgesamt 45-mal muss die Schrankenwärterin drehen. Deshalb muss genauestens mitgezählt werden, zur Sicherheit markiert aber auch ein kleiner roter Faden an der Kette, wann die maximale Anzahl an Umdrehungen erreicht ist. Die Anlage ist hier schon über 50 Jahre im Einsatz, und Ivana betont deshalb:
„Die Eisenbahnsicherungstechniker, die hier die Wartung durchführen, sagen uns immer, dass wir flüssig drehen müssen. Denn gerade funktioniert alles, wie es soll. Wenn man aber zu abrupt drehen würde und dadurch etwa die zentrale Achse kaputtginge, hätten wir ein Problem, denn Ersatzteile sind mittlerweile unfassbar schwer zu bekommen.“
Am Bedarfshalt Žim kennt man sich
Fertig gedreht. Die Schranken sind unten, der Zug kann kommen. Žim ist ein Bedarfshalt. Die wenigen Reisenden, die hier ein- und aussteigen, kennt Ivana vom Sehen alle.
„Wenn der Zug wieder losgefahren ist, muss ich noch nachschauen gehen, ob der Zug auch wirklich den letzten Übergang verlassen hat. Erst dann kann ich die Schranken wieder aufmachen.“
45-mal muss Ivana dafür erneut an der Kurbel drehen – nun in die andere Richtung. Dann schließt sie die Gerätschaft wieder ab und setzt sie sich zurück an den Schreibtisch im Posten – zum Kreuzworträtsel und der Bahnhofskatze. Wie blickt die Schrankenwärterin darauf, dass ihre Berufsgruppe – wie vielleicht kaum eine andere in Tschechien – vom Aussterben bedroht ist?
„Aufhalten kann man diese Entwicklung natürlich nicht. Für den Arbeitgeber hat diese Einrichtung aus finanzieller Sicht vermutlich wenig Sinn. Aber ich bin schon ein wenig nostalgisch. Wir befinden uns hier an einer Ausflugsstrecke, und für die Reisenden finde ich diesen Trend sehr schade.“