Die Medien als Wahrer der "nationalen Interessen"?
Verehrte Hörerinnen und Hörer, bei Radio Prag ist nun wieder einmal Zeit für den Medienspiegel. Zu einer weiteren Folge begrüßen Sie recht herzlich Silja Schultheis und Robert Schuster.
Das Thema, dem sich die tschechischen Zeitungen in der vergangenen Wochen gewidmet haben, wird Ihnen, sofern Sie unsere letzten Sendungen verfolgen konnten, bereits gut bekannt sein. In Tschechien wird nämlich auch weiterhin sehr lebhaft über die s.g. Bene-Dekrete gesprochen, bzw. die Frage diskutiert, in wieweit diese Rechtsnormen, welche nach 1945 zur Enteignung der Sudetendeutschen führten, auch heute noch gelten und mit dem angestrebten EU-Beitritt Tschechiens im Einklang stehen. Der auf vollen Touren laufende Wahlkampf hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass dieses Thema gegenwärtig mit besonders vielen Emotionen verbunden ist.
Während sich also die tschechischen Politiker nun gegenseitig vor den Augen der Wähler überbieten wollen, wer am besten und rasantesten die s.g. "nationalen Interessen" des Landes wahrt und die Beibehaltung der Dekrete fordern, bringen vor allem die tschechischen Intellektuellen zunehmend ihren Unmut über diese nationalen Töne zum Ausdruck. So haben zu Beginn der Woche 250 tschechische Intellektuelle aller gesellschaftlichen Strömungen einen Aufruf an die Politiker verfasst, den Nationalismus im Wahlkampf bei Seite zu legen.
Im Geiste dieses Appells wurden deshalb auch einige Kommentare in den tschechischen Zeitungen verfasst, so etwa am Mittwoch in der auflagenstärksten Tageszeitung, der Mladá fronta Dnes. Der besagte Kommentar ist umso bemerkenswerter, als das einer seiner Autoren der Chefredakteur des Blattes, Pavel afr ist. In Tschechien ist es nämlich nicht allzu häufig, dass die Chefredakteure persönlich zur Feder greifen. Zusammen mit dem Chefkommentator der Zeitung, Martin Komárek, verfasste afr einen Leitartikel mit dem bemerkenswerten Titel: "Die Politiker warnen: Die Nilpferde nähern sich", aus dem wir Ihnen nun einige Passagen zitieren möchten:
"Stellen Sie sich einen Politiker vor, der vor den Wahlen folgendes verspricht: Liebe Mitbürger, ich will eure Gärten und Felder vor der Invasion wilder Nilpferde schützen. "Ist es dann überhaupt wichtig, dass keine Nilpferde unsere Felder bedrohen? Offensichtlich nicht. Wenn aber ein tschechischer Politiker, egal ob Klaus, Zeman oder Svoboda das Land vor gefährlichen Ausländern schützen will, ist es das gleich, wie wenn er das Land vor den besagten Nilpferden schützen wollte. Unsere europäischen Nachbarn bedrohen unsere nationalen Interessen ähnlich, wie eine Herde von Nilpferden unsere Ernte bedroht. Also gar nicht."
Zu jenen Intellektuellen, welche zu Beginn der vergangenen Woche den Appell an die Politiker verfassten, gehört auch der Kommentator der Tageszeitung Právo, Petr Uhl. In seinem Artikel, der den Titel trägt "Rückwärtsgang im Aufruhr um die Dekrete", schreibt er u.a.:
"Die Frage nach der Gültigkeit und Anwendbarkeit jener Gesetze, die aus den Dekreten hervorgingen, sind immer noch nicht befriedigend beantwortet. Experten und die Regierung stehen vor der Aufgabe hier für Klarheit zu sorgen und sowohl die tschechische, als auch die europäische Öffentlichkeit anders darüber zu informieren, als mit der Hilfe eines "offiziellen" Buches. Es macht ebenso wenig Sinn, einander überzeugen zu wollen, wer die Emotionalisierung im Wahlkampf auf dem Gewissen hat - ob Zeman, Klaus, oder Haider. Wichtig ist aber, dass mit der Ausnahme Haiders, niemand, auch Bernd Posselt von der Sudetendeutschen Landsmannschaft nicht, fordert, dass die Aufhebung der Dekrete eine Grundvoraussetzung für den EU-Beitritt Tschechiens sein sollte."
Petr Uhl hat es in seinem Beitrag bereits kurz angesprochen: Die tschechische Regierung will noch im Frühjahr ein Buch herausgeben, in welchem die letzten 150 Jahre des Zusammenlebens zwischen Deutschen und Tschechen dokumentiert werden soll. Wie wir bereits in unserem letzten Medienspiegel berichtet haben, nutzte die Regierung die Ankündigung zur Herausgabe dieses Buches zu einem Frontalangriff gegen die wichtigsten tschechische Zeitungen, die angeblich bei ihrer Berichterstattung über die Vertreibung der Sudetendeutschen oder die s.g. Bene-Dekrete zu wenig die "nationalen Interessen" des tschechischen Volkes wahren würden. In einem Gastkommentar für die Tageszeitung Lidové noviny kommt der Publizist Milo Èermák noch einmal auf den Vorwurf zu sprechen, dass die besagten Printmedien von ihren deutschen Eigentümern in ihrer Berichterstattung zum deutsch-tschechischen Verhältnis beeinflusst werden. Sein Kommentar zu diesem Thema trägt den Titel "Die Medien sollen sich nicht an die nationalen Interessen halten."
"Die unabhängigen Medien sollten sich von der Regierung nicht diese Rolle aufzwingen lassen. Denn das wäre der Anfang vom Ende ihrer Unabhängigkeit. In einer demokratischen Gesellschaft haben die Medien viele Funktionen, aber das Wahren von nationalen Interessen und der Kampf dafür gehören bestimmt nicht dazu."
Im folgenden führte Radio Prag mit Milo Èermák ein kurzes Gespräch über einige weitere Aspekte der gegenwärtigen Hysterie rund um die Bene-Dekrete und die Rolle der Medien dabei. Wir fragten ihn, ob im Zusammenhang mit dem Vorwurf von Seiten der Regierung, dass die Zeitungen nicht ausreichend die nationalen Interessen berücksichtigen, die angegriffenen Printmedien, also vor allem die Lidové noviny und die Mladá fronta Dnes, darauf nicht entschiedener hätten reagieren sollen?
"Der Angriff war bestimmt sehr rasant und sehr scharf, aber es ist die Frage, ob die Medien hätten resoluter reagieren sollen. Denn würden die Zeitungen das auf ihren eigenen Seiten zum Thema machen, würden sie in eine heikle Situation geraten, denn sie würden sich der Gefahr aussetzen , dass sie in eigener Sache tätig sind. Deshalb meine ich, dass diese Zurückhaltung durchaus am Platz war. Die Chefredakteure haben ja reagiert und zwar in Form einer Stellungnahme für die Agenturen."
In der Vergangenheit hat die Regierung schon mehrmals versucht, durch Attacken vor allem gegen kritische Zeitungen diese einzuschüchtern und so indirekt auf Linie zu bringen. Selten hat aber die Regierung so offen agiert, indem sie die Behauptung aufstellte, dass die Zeitungen dem Land und dessen Interessen schaden würden. Müssen sich die Medien in Tschechien also künftig im Verhältnis zur Regierung wärmer anziehen? Werden in Zukunft die Attacken gegen die Unabhängigkeit der Zeitungen so dreist geführt, wie es jetzt der Fall war? Milo Èermák meint dazu im folgenden:
"Das hängt schon stark mit den Wahlen zusammen und mit der Aufregung rund um die Bene-Dekrete. Ich denke also nicht, dass dies das Signal für eine neue Etappe im Kampf gegen die Medien ist. Diese Regierung hat schon oft die Medien angegriffen, aber dennoch würde ich nicht sagen, dass eine gezielte Strategie dahinter steckt, sondern das ist ganz einfach der Ausdruck eines schlechten Stils eben dieser Regierungsmannschaft.
Wäre z.B. bei einer anderen Regierung das Verhältnis zu den Medien besser, dass man vielleicht sogar von einer Art sachlichen Kooperation sprechen könnte?, war unsere abschließende Frage an Milo Èermák.
"Ich glaube, dass es sich im Falle Zemans schon um eine formale Angelegenheit handelt. Ähnlich hat ja auch Klaus paar mal gesagt, dass die Medien die größten Feinde der Menschheit seien. Zeman sagt eigentlich das gleiche nur offener und ab und zu gebraucht er auch in vulgäres Wort. Weitaus gefährlicher scheinen mir aber Leute wie Vizepremier Rychetský zu sein, die zwar nach außen den Stil Zemans ablehnen, aber kürzlich gefordert haben, die Medien sollten von einer staatlichen Institution kontrolliert werden."
Liebe Hörerinnen und Hörer, damit sind wir wieder am Ende unseres heutigen Medienspiegels angelangt. Vom Mikrophon aus Prag verabschieden sich von Ihnen Silja Schultheis und Robert Schuster.