„Die Pernsteins und ihre Zeit“ – Ausstellung in Prag veranschaulicht Leben des Adels im Spätmittelalter
„Die Welt des böhmischen Adels“ heißt ein Projekt des tschechischen Denkmalschutzamtes. Nach und nach und über mehrere Jahre hinweg soll der tschechischen Öffentlichkeit durch landesweite Programme das Schicksal von historisch bedeutenden Adelsgeschlechtern vermittelt werden. Dieser Teil der Landesgeschichte wurde in der kommunistischer Zeit ideologisch verzerrt oder gar nicht dargestellt. Im vergangenen Jahr fand das so genannte „Rosenberger Jahr“ statt, 2012 ist nun das „Jahr der Pernštejn“. Darüber haben wir unseren Sendungen bereits im Februar berichtet. Mittlerweile wurde in Prag eine Ausstellung eröffnet, die sich mit der rund drei Jahrhunderte umspannende Geschichte des Hauses Pernstein beschäftigt. Bis Ende Juli ist die Ausstellung im neu eröffneten Salm-Palais auf dem Prager Hradschin zu sehen.
In der Prager Ausstellung sind daher nur insgesamt 27 Exponate zu finden, die nachweislich aus dem Eigentum der Familie stammen. Alle anderen wurden aus über 40 Burgen und Schlössern Tschechiens sowie aus verschiedenen Kulturinstitutionen im In- und Ausland zusammengetragen. Das Resultat ist ein breitgefächertes Bild des adligen Lebens im Spätmittelalter, das Leben war – wie könnte es auch anders sein – vom Reichtum geprägt. Doch wie sind die Pernsteins zu ihrem Reichtum gekommen, der im Lauf der Zeit selbst die Finanzen ihrer größten Konkurrenten im Land – der südböhmischen Rosenberger – übertraf? Dazu ein kurzer Blick ins 15. Jahrhundert. Petr Svoboda ist Generalkommissar der Ausstellung:
„Die Pernsteins wurden während der böhmisch-ungarischen Kriege im 15. Jahrhundert reich. Die herausragenden Persönlichkeiten des Hauses waren Jan und sein Sohn Vilém, die sich damals - wie viele ihrer Landsleute - zur Religion der hussitischen Kalixtiner bekannten. Doch um seinen Bruder Sigmund aus dem ungarischen Gefängnis zu retten, trat Vilém in den Dienst des ungarischen Königs Matthias Corvinus ein, bekleidete hohe Ämter und konvertierte - wie von ihm verlangt - zum katholischen Glauben. Nach Corvinus Tod verfügte Vilém überraschend über große Summen an Bargeld.“Über die Herkunft des Reichtums schweigen allerdings die vorhandenen historischen Quellen. Fest steht nur, dass Vilém es sehr gut verstand, aus der finanziellen Notlage so manches Landesherrschers durch geschickt eingefädelte Anleihen Profit zu erzielen. Viel Geld zu besitzen war damals wie heute geschickt. Als reicher Mann und Adeliger hatte Vilém das Recht, selbst dem König Geld zu leihen. So beteiligte er sich an der Finanzierung der Kriege, die der böhmische König Vladislav Jagello führte. Dafür durfte er große Besitztümer in Pacht übernehmen, die seinen Reichtum dann weiter vermehrten. Zur Belohnung erhielt er zudem hohe Posten in der Staatsverwaltung. In den folgenden Generationen der Pernsteins ging es aber mit den Finanzen eher bergab. Das Leben in den höchsten Etagen mit allem drum und dran war äußerst kostspielig. Vor allem aber veränderte sich etwas prinzipiell. Petr Svoboda:
„Leider kam es später dazu, dass die Geldanleihen an den König nicht mehr als Recht, sondern als Pflicht galten. Weil aber Vilém seine Gelder großzügig in den Bau von Residenzen wie etwa die Schlösser in Pardubice, Prostějov und Přerov oder aber in die Gründung einiger neuer Städte investierte, verfügten seine Nachkommen nicht mehr über genug finanzielle Mittel, die sie dem König leihen konnten. Daher mussten sie sich selbst Geld leihen. Anders als früher gab ihnen dafür der Monarch keine weiteren Immobilien in Pacht, sondern er erhöhte nur den Wert der von ihnen bereits verwalteten Immobilien. Manchmal sage ich in diesem Zusammenhang, dass die Pernsteins Erfinder der globalen Kreditkrise sind. Sie haben nämlich nicht nur sich selbst verschuldet, sondern auch eine Reihe anderer.“ Petr Svoboda führt durch das Prager Salm-Palais. Die Ausstellung charakterisiert er mit folgenden Worten:„Es ist keine klassische kunstwissenschaftliche Ausstellung. Viel mehr ähnelt sie den Installationen in Burgen und Schlössern. Im Erdgeschoss wartet auf die Besucher zunächst eine Stammbaumübersicht der Pernsteins. Ein kurzer Film zeigt die Legende über die Entstehung des Geschlechts und die Grunddaten der Familiengeschichte. Bereits vor dem Ende des 13. Jahrhunderts, also vor der ersten urkundlichen Erwähnung sollen sich die Pernsteins bereits etabliert haben. Im 1. Stock des Salm-Palais darf man sich dann gewissermaßen wie in einem Renaissanceschloss mit stilvoll ausgestatteten Räumen fühlen.“
Als ersten Ausstellungsraum betritt der Besucher das Arbeitszimmer des wohl mächtigsten, wenn auch nicht mehr so reichen Pernsteins: Vratislav II. Am Beispiel des Obersten Kanzlers im Königreich Böhmen und seiner Gattin Maria Manrique de Lara zeigt die Ausstellung den Alltag in zwei Pernsteinschen Parallelwelten: in der Welt der Männer als Politiker, Militärs oder Reisende und in der Welt der Frauen als Gattinnen, Mütter und Hüterinnen des Haushalts. Das alles geschieht in mannigfaltig gestalteten Innenräumen der Renaissancezeit. Kurzum, der prunkvolle Alltag adeligen Lebens in Böhmen.Während seiner diplomatischen Mission in Spanien lernte Vratislav II. von Pernstein seine künftige Frau, Maria Manrique de Lara, kennen und kehrte nach der Hochzeit 1556 gemeinsam mit ihr nach Prag zurück. Vratislav war nicht der einzige Adlige am Prager Hof von Kaiser Maxmilian II., der durch die Heirat seine Familie mit Spanien verknüpfte. So entstand eine Adligengruppe mit politischem Einfluss: der so genannte spanische Zirkel. Ihre Zusammengehörigkeit zeigten die Mitglieder des Zirkels nach außen durch das Tragen der spanischen Herrenmode. Dazu gehörten zum Beispiel Pluderhose, Halskrause und das spanische Mäntelchen, die so genannte „casa“. Zudem brachten sie auch die Kultur des spanischen Manierismus und Frühbarock nach Böhmen. Eine große Rolle spielte dabei auch der „spanische“ Salon der Pernsteins in ihrer Residenz auf der Prager Burg. Petr Svoboda:
„Der so genannte spanische Salon im Pernstein-Palais genoss einen exzellenten Ruf. Hier trafen sich Vertreter der obersten Adelsschicht, Botschafter und Gäste des Prager Kaiserhofs. Hier wurde vor allem über Politik und Religion diskutiert. Auch die Bilder in unserer Ausstellung dokumentieren die damalige Mode, die sich damals aus Spanien nicht nur nach Prag, sondern auch in andere Teile des Landes verbreitete. Großer Beliebtheit erfreute sich aber auch der Pernsteinsche Frauensalon.“Dieser Salon war hierzulande unter der Bezeichnung „fraucimor“ bekannt. Dort trafen sich noble Damen, um sich über Musik, Stickerei oder aber über die Führung des Haushalts und die Gartengestaltung auszutauschen. Der Generalkommissar macht bei seiner Führung im Schlafzimmer halt:
„In der Renaissance mussten das Schlafzimmer der Frau und des Mannes strikt voneinander getrennt sein. An dieser Stelle betreten wir die Gemächer der Pernsteinschen Damen oder das so genannte ‚fraucimor’, in dem sich in der Regel Frauen und Kinder aufhielten. Es waren gewöhnlich mehrere Zimmer hintereinander. Zur Grundausstattung des Schlafzimmers gehörte selbstverständlich ein Himmelbett. Dieses hier haben wir aus dem Schloss im südmährischen Bučovice geholt, allerdings nur das kunstvoll geschnitzte Bettgestell aus Holz. Wir haben das Bett anhand von historischen Quellen zeitgenössisch bezogen, also ein bisschen im Stil von Andersens Prinzessin auf der Erbse. Den Quellen war zu entnehmen, in welcher Reihenfolge die einzelnen Bettdecken aufeinandergelegt werden sollten. In einer Familie des Hochadels durften die Stoffe nur vom Feinsten sein.“ Um möglichst originalgetreu zu sein, wurde der Bettüberzug in England besorgt. Die Bettvorhänge wurden nach einem Originalbild aus dem Pernstein-Haus maßgeschneidert.Große Mühe gaben sich die drei Kuratorinnen der Ausstellung mit der Präsentation einer festlichen Hochzeitstafel, wie sie einst im Haus der Pernsteins ausgesehen haben soll.
„Hochzeiten galten als ein außerordentlich bedeutendes Ereignis und wurden in der Renaissance drei Tage lang gefeiert. Manche Adelsfamilien verschuldeten sich sogar, nur um eine möglichst prachtvolle Hochzeitsfeier zu organisieren. Für den Aufbau der Festtafel haben wir Repliken von Originaltellern der Pernsteins anfertigen lassen, und zwar anhand von Porzellanscherben, die bei archäologischen Ausgrabungen am Ort des einstigen Pernstein-Palais auf der Prager Burg gefunden wurden. In Vitrinen sind historische Originalbestecke und Originalgläser der Familie zu sehen. Dazu gehört auch ein Kelch aus geschliffenem Glas, mit dem noble Gäste willkommen geheißen wurden. Angeblich wollte man ihre Fähigkeit testen, das voll gefüllte Riesenglas auf einmal auszutrinken,“ sagt Svoboda.
Dass Vratislav Pernsteins Gattin, Maria Manrique de Lara, eine alte Familienreliquie aus Spanien mit nach Prag genommen hat, wissen nur wenige: Es ist die heute weltweit bekannte kleine Wachsstatue des Jesuskindes, für die sich später der Name „Prager Jesulein“ eingebürgert hat. Sie wird bis heute von vielen Katholiken vor allem in Italien, Frankreich, Spanien und insbesondere in Lateinamerika verehrt. Mehrere hundert Gewänder gehören zum Jesulein, sie werden im Prager Karmelitenkloster aufbewahrt. Einige von ihnen wurden vor einigen Jahren zum nationalen Kulturgut erhoben. Drei der ältesten Gewänder sind auch in der Ausstellung zu sehen, sie wurden erst während der Vorbereitungsarbeiten entdeckt. Ebenso wenig bekannt ist, dass das Ehepaar 21 Kinder hatte, von denen nur sieben am Leben blieben. Das war damals indes keine Seltenheit. Auch dieses Phänomen wird in der Ausstellung mittels einmaliger Exponate aus der Renaissancezeit reflektiert: bemalte Särge sowie Gemälde, auf denen schön gekleidete Kinder, darunter auch eingemummte Babys auf dem Katafalk liegend abgebildet sind.Von der Wiege bis zur Bahre - diesen menschlichen Lebensweg veranschaulichen im letzten Ausstellungsraum auch zwei alte Bilder. Hier endet auch die mittels unzähliger Artefakte „erzählte“ Geschichte der Pernsteins. 1631 stirbt Vratislav Eusebius von Pernstein, der letzte männliche Nachkomme und Träger des Familiennamens, an Folgen einer Verwundung im Dreißigjährigen Krieg.