„Die politische Rechte wird schwächer“ – Publizist Hvížďala zum Abtritt Schwarzenbergs

Karel Schwarzenberg (Foto: US Department of State, Public Domain)

Karel Schwarzenberg, der langjährige Außenminister und Parteivorsitzender der größten konservativen Oppositionspartei Top 09, zieht sich allmählich aus der Politik zurück. Er wird nicht mehr für den Parteivorsitz der von ihm 2009 gegründeten Top 09 kandidieren. Wie kaum ein anderer tschechischer Politiker steht Karel Schwarzenberg, einer der engsten Freunde von Václav Havel und dessen erster Kanzleichef, für politische Integrität. Er ist überzeugter Europäer und engagierter Fürsprecher der tschechisch-deutschen Beziehungen. Was sein Rückzug vom Vorsitz der Top 09 für die politische Landschaft in Tschechien bedeutet, welche Spuren Schwarzenberg hinterlässt und mit welchem politischen Selbstverständnis er die Entwicklung des Landes nach 1989 mitgelenkt hat – darüber hat Silja Schultheis mit dem Publizisten Karel Hvížďala gesprochen. Hvížďala hat Anfang Dezember in Prag seinen dreiteiligen Interview-Sammelband „Das fürstliche Buch“ („Knizeci kniha“) über Karel Schwarzenberg vorgestellt. Darin sind Interviews mit dem Politiker adliger Abkunft aus den Jahren 1989 bis 2015 veröffentlicht.

Karel Hvížďala  (Foto: Michal Klajban,  CC BY-SA 3.0)
Herr Hvížďala, Sie begleiten Karel Schwarzenberg seit mehreren Jahrzehnten, haben ihn in vielen verschiedenen Situationen erlebt, mehrere Bücher über ihn veröffentlicht. Was ist für Sie persönlich die bemerkenswerteste Eigenschaft von Karel Schwarzenberg – als Mensch und als Politiker?

„Als Mensch bestimmt die Bereitschaft zu helfen – immer, wenn es geht. Und in der Politik war es sicherlich die Unabhängigkeit, mit der er über alles sprechen konnte.“

Sie meinen, seine finanzielle Unabhängigkeit?

„Ganz genau. Aber nicht nur: Hier spielt bestimmt auch die Tradition seiner Familie eine große Rolle.“

Karel Schwarzenberg  (Foto: US Department of State,  Public Domain)
Karel Schwarzenberg hat selbst gesagt, dass er mit Politik aufgewachsen sei, dass es für ihn immer selbstverständlich gewesen sei, politisch zu denken und zu handeln...

„Ja, bestimmt. Als kleines Kind erlebte er die Jahre 1945 und 1948 (Kriegsende und Beginn des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei, Anm. d. Red.), dann musste er emigrieren. Und später hat seine Mutter in Wien einen Salon geführt wie im 19. Jahrhundert. Durch diesen Salon sind alle wichtigen Persönlichkeiten Europas gegangen.“

Welche Spuren hat Karel Schwarzenberg in erster Linie hinterlassen?

„Ich glaube, vor allem hat er gezeigt, dass er nicht zu lügen braucht und keine schmutzigen Sachen machen muss, um ein bisschen mehr Geld zu haben. Denn er ist reich genug. Und auf der anderen Seite hat er auch der Öffentlichkeit gezeigt, dass Kompromisse zur Politik gehören. Dass es keine teuflische Sache ist, wenn man Kompromisse schließt. Und das sind meiner Meinung nach zwei sehr wichtige Sachen.“

„Schwarzenberg hat gezeigt, dass Kompromisse zur Politik gehören.“

Ist Schwarzenbergs Rückzug vom Parteivorsitz der Top 09 ein wichtiger Einschnitt in der politischen Entwicklung Tschechiens nach 1989?

„Ich bin ein bisschen pessimistisch hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Partei. Denn die Ikone, an der alles hängt, ist weg. Er hat zwar versucht, alles Mögliche zu tun, um das Prestige der Partei aufrecht zu erhalten. Aber ich fürchte, das kann kaum funktionieren. Leider.“

Foto: Offizielle Facebook-Seite der Partei Top 09
Was bedeutet das für die Partei Top 09?

„Den Anfang vom Ende.“

Und für die politische Szene in Tschechien insgesamt?

„Die rechte Seite des politischen Spektrums wird schwächer. Die Bürgerdemokraten haben sich selbst marginalisiert. Und wenn jetzt auch noch Top 09 schwächer wird, dann hat die linke Seite die Mehrheit.“

Interview-Sammelband „Das fürstliche Buch“  (Foto: Verlag Galen)
Karel Schwarzenberg hat in Interviews immer wieder gesagt, er fühle sich als Diener des Staates und Diener der Wahrheit. Die Losung Václav Havels lautete: Ein Leben in Wahrheit. Verlässt mit Karel Schwarzenberg eine der letzten Stimmen aus dem Havel-Kreis die Politik?

„Zumindest aus meiner Sicht ist das so. Denn die anderen, wie etwa Petr Pithart, kann man zwar noch hören, aber sie sind nicht authentisch in der Politik. Sie haben kaum einen Schüler, der mit derselben sozialen Kompetenz in die Politik kommen könnte.“

Karel Schwarzenberg hat sich Zeit seines Lebens nicht nur politisch engagiert, sondern auch für eine offene Gesellschaft eingesetzt. Aus dem Exil in Österreich hat er, als Vorsitzender des Internationalen Helsinki-Komitees, die Dissidenten in der Tschechoslowakei unterstützt. 2012 hat er in Prag die Plattform Karlovoforum gegründet, um engagierte Bürger zu vernetzen. Hat er damit etwas bewirkt in der tschechischen Gesellschaft?

Karlovoforum
„Ich glaube, nicht so sehr mit diesen Aktivitäten, sondern eher dadurch, dass er am Anfang zwei wichtige Zeitschriften unterstützt hat – zuerst Týden und dann Respekt. Respekt ist als Nachrichtenmagazin sehr wichtig und beeinflusst die Öffentlichkeit. Und ohne Karel Schwarzenberg würde die Zeitschrift bestimmt nicht existieren.“

Sie haben Karel Schwarzenberg in einem Interview für die Zeitung Lidové noviny im Juni 2001 gefragt, was er hätte besser machen können. Und er hat geantwortet, er hätte nicht so lange schweigen sollen, als er Ende 1989 aus dem österreichischen Exil in die Tschechoslowakei zurückgekommen ist. Er hätte damals, so sagte er, einen Emigrantenkomplex gehabt. Sie selbst waren auch lange Jahre im Exil, in Deutschland, und sind 1990 zurückgekommen. Ging Ihnen das ähnlich mit diesem Emigrantenkomplex?

„Man muss als Emigrant mehr aufpassen als die Anderen.“

„Jein (lacht). Also teilweise haben Sie Recht. Man muss als Emigrant ein bisschen mehr aufpassen als die Anderen, dass man nicht wie ein Schullehrer wirkt. Das ist immer gefährlich. Aber im Grunde hatte ich in meiner Funktion als Chefredakteur verschiedener Zeitungen und Zeitschriften immer so viel Arbeit, dass ich nicht sehr viel Zeit hatte, über Komplexe nachzudenken.“

Foto: Public Domain
Glauben Sie dennoch, die tschechische Gesellschaft und Politik hätten gut daran getan, nach 1989 mehr auf die Stimmen von Emigranten zu hören?

„Das weiß ich nicht. Das wäre Spekulation, wenn ich das so einfach beantworten würde. Bestimmt gab es kluge Leute, die mehr geschwiegen haben. Und die, die man ab und zu hören konnte, haben auch Blödsinn gesagt.“

Karel Schwarzenberg steht auch für Europäertum, er hat sich selbst immer als Europäer bezeichnet, hat ein hohes soziales Verantwortungsgefühl. Wie aktuell sind seine Ideen von Europa heute, wo der Kontinent immer mehr zu zerfallen scheint?

Syrische Flüchtlinge  (Foto: Europäische Kommission,  CC BY-NC-ND 2.0)
„Als ich das letzte Mal ausführlicher mit ihm gesprochen habe, hatte er Angst, dass Europa seine Haltung zu den wichtigsten Fragen verliert. Man sieht hier nicht genügend Wille, sich selbst zu verteidigen und das Risiko als einen Teil des Lebens zu nehmen.“

Wie schätzen Sie Karel Schwarzenbergs Stimme in der jetzigen Flüchtlingsdebatte ein? Er hat in einem Interview vor vielen Jahren gesagt, dass es die Aufgabe des reicheren Teils der Welt sei, zu dem auch Tschechien gehöre, sich um Arme und Heimatlose zu kümmern. Man hat nicht den Eindruck, dass solche Stimmen heute in Tschechien gehört werden?

„Leider. Da haben Sie Recht. Nach 1989 wollten wir nach Westen. Jetzt sieht es umgekehrt aus, dass wir nach Osten rücken. Wir möchten nicht die Werte akzeptieren, auf denen Europa basiert, weil das unbequem ist. Das ist leider die schlechte Diagnose dieses Landes.“

Karel Schwarzenberg  (Foto: Tomáš Adamec,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Gibt es niemanden, der in Schwarzenbergs Spuren tritt, ist er ein einsamer Rufer auf weiter Flur?

„Ja. Leider.“

Wie sehen Sie die weitere Entwicklung der politischen Szene? Besteht die Gefahr, dass sie sich in eine nationalistische Richtung entwickelt?

„Nicht nur in eine nationalistische, sondern auch in eine populistische. Und das ist wirklich eine sehr gefährliche Kombination. Wenn das nur bei uns so wäre. Aber es ist auch so in Polen, über Ungarn muss man gar nicht mehr sprechen. Diese Kombination ist gefährlich.“