Die Prager U-Bahn ist 35

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Sie ist eines der wichtigsten, sichersten und beliebtesten Verkehrsmittel der Tschechischen Hauptstadt: Die Prager U-Bahn. An diesem Wochenende feiert sie einen beinahe runden Geburtstag: Seit genau 35 Jahren hören die Prager diesen Satz: „Beenden Sie bitte das Aus- und Einsteigen. Die Türen schließen sich.“ Für unzählige Besucher gehört diese für Prag und seine Untergrundbahn so typische Ansage zu den Reiseerinnerungen. Die drei Metro-Linien A, B und C befördern heute jeden Tag 450.000 Fahrgäste.

Pavel Bém  (Foto: Kristýna Maková)
„Beinahe jeder zweite Fahrgast im öffentlichen Nahverkehr fährt mit der U-Bahn. Die Metro bildet heute das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs in Prag. Das Metro-Netz misst heute nicht ganz 60 Kilometer und hat 57 Stationen“, ergänzt der Prager Oberbürgermeister Pavel Bém.

Wie gesagt, begonnen hat alles vor 35 Jahren: Am 9. Mai 1974 wurde das erste Teilstück mit neun Stationen auf der Strecke Kačerov – Sokolovska, wie die heutige Station Florenc damals hieß – eröffnet.

Doch die ersten Planungen für eine U-Bahn gab es bereits wesentlich früher: Im Jahr 1898 stellte der Prager Ingenieur Ladislav Rott sein Projket vor, das er schlicht „Unterirdische Bahn“ nannte. Doch die damaligen Elektrizitätsbetriebe der Hauptstadt Prag – gerade erst gegründet und mit der Elektrifizierung der Pferdestraßenbahnlinien beschäftigt – hatten kein Interesse daran: „So etwas brauchen wir in Prag nicht“, ließ man Ingenieur Rott ausrichten. Schon um einiges konkreter waren die Entwürfe in den 30-er und 40-er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Bereits zu dieser Zeit wurde die Grundlage für das heutige Metro-Netz gelegt. Betrachtet man die Entwürfe für Stationen und Waggons der Prager U-Bahn, erkennt man deutliche Parallelen zu den kurz zuvor eröffneten modernen S-Bahn-Systemen in Hamburg und Berlin. 1945 sollte die Prager U-Bahn in Betrieb gehen. Doch nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden die Bauarbeiten alsbald wieder eingestellt. Unmittelbar nach Kriegsende genossen der Wohnbau und der Wiederaufbau der Industrieanlagen Vorrang. So sollte es bis 1965 dauern, bis das Thema Metro in Prag wieder aktuell wurde. Am 2. Juni beschloss die tschechoslowakische Regierung den Bau eines unterirdischen Straßenbahn-Netzes. Dabei sollten die Straßenbahnen aus den engen Gassen im Stadtzentrum in den Untergrund verlegt werden. In den Außenbezirken sollten sie wie bisher oberirdischen verkeheren. Für ähnliche Systeme entschieden sich in den 1960er-Jahren auch viele deutsche Städte und auch in Wien entstanden zu dieser Zeit zwei so genannte Unterpflaster-Straßenbahnen, kurz „Ustrab“ genannt.

Am 6. Januar 1966 erfolgte in der Prager Jan-Opletal-Straße die feierliche Grundsteinlegung. Ein Jahr später begann der Bau der unterirdischen Station Hauptbahnhof Doch die Arbeiten gingen nur schleppend voran, wie das Tschechoslowakische Fernsehen 1968 berichtete:

Die anwesenden Arbeiter könne man an den Fingern einer Hand abzählen und die verwendeten Werkzeuge seien ziemlich primitiv, empörte sich der Nachrichtensprecher.

Und, die Station war noch nicht fertig gestellt, da gab es schon die nächste Änderung: Am 8. August 1968 beschloss die tschechoslowakische Regierung, an Stelle der unterirdischen Straßenbahn eine vollwertige U-Bahn zu bauen. Die bereits fertig gestellten Abschnitte mussten entsprechend angepasst werden, so auch die Haltestelle unter dem Hauptbahnhof. Daher fällt die Station heute mit ihren seitlich angeordneten Bahnsteigen aus dem Rahmen:

„Hauptbahnhof. In Fahrtrichtung rechts aussteigen!“, hören denn auch die Fahrgäste der Linie C.

Auch die blutige Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 konnte an der Entscheidung zum Bau einer Voll-U-Bahn nichts ändern. Doch eine wesentliche Änderung brachte die die so genannte kommunistische „Normalisierung“ nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen mit sich: Die Sowjetunion wurde eng in den Bau der Prager Metro eingebunden. Zu dieser Zeit fiel auch die Entscheidung, die bis zu 50 Meter unter der Prager Innenstadt gelegenen Stationen zu einem Luftschutzbunker auszubauen. Bis heute kann man daher an den Eingängen zu den Stationen massive Stahltore entdecken. Dezent hinter Blenden versteckt, sind sie stumme Zeugen des Kalten Krieges.

Auch die Besichtigung der U-Bahn-Baustellen für hohe Sowjet-Funktionäre gehörte fortan zum Pflichtprogramm:

„Der Vorsitzende des Obersten Sowjet, Nikolai Podgorny hat bei seinem Prag-Besuch aus Anlass des Geburtstags von Staatspräsident Ludvík Svoboda auch die Metro-Baustelle in Prag-Pankrác besichtigt. Die Arbeiter haben ihn mit dem Fortschritt der Bauarbeiten vertraut gemacht. Dabei bewähren sich die aus der Sowjetunion importierten Maschinen bestens und auch die Erfahrung der Moskauer U-Bahn-Bauer macht sich bezahlt“, berichteten die Fernsehnachrichten.

Bereits fertig entwickelt waren Ende der 1960er-Jahre die U-Bahn Wagen für Prag. Mit ihrem futuristischen Design sorgten sie für einiges Aufsehen, wie das staatliche Fernsehen damals berichtete:

„Hier sehen sie den ersten der beiden Prototypen für die Prager Metro, der 320 Fahrgästen Platz bietet. Hergestellt von den ČKD-Tatra-Werken in Prag-Smíchov.“

Doch ein Unfall bei einer Probefahrt setzte den Wagen aus heimischer Produktion ein jähes Ende. Auch die Fahrzeuge für die Prager Metro lieferte schließlich der „große Bruder“ aus dem Osten, genauer gesagt die Maschinenfabrik „Metrowagonmasch“ in der Nähe von Moskau. Ein TV-Reporter war dabei:

„Die silbergrauen Wagen für die Prager Metro sind das Ergebnis mehrjähriger Arbeit von sowjetischen Arbeitern und Technikern. Nun warten sie auf ihre Übergabe an den Kunden aus der Tschechoslowakei.“

85 Stück des Typs EČS wurden in den Jahren 1972 bis 1976 an die Verkehrsbetriebe der Hauptstadt Prag geliefert und auf der am 9. Mai 1974 eröffneten Linie C eingesetzt. Bis auf eine historische Garnitur wurden inzwischen alle Wagen ausgemustert und durch neue Wagen von Siemens ersetzt. Die für die 1978 beziehungsweise 1985 eröffneten Linien A und B gelieferte Nachfolgebauart ist aber immer noch im Einsatz, wie der Prager Verkehrsstadtrat Radovan Šteiner erklärt:

„Vor mehr als zehn Jahren haben wir uns entschieden, für die Linie C neue Wagen zu kaufen und gleichzeitig die auf den Linien A und B eingesetzten Wagen zu modernisieren.“

Auf der Linie A sind bereits sämtliche Garnituren im runderneuerten Design unterwegs. Auf der Linie B steht die Modernisierung der Züge kurz vor ihrem Abschluss, so Stadtrat Šteiner:

„Wir haben versprochen, dass bis zum Jahr 2010 keine alten russischen, nicht modernisierten Metro-Garnituren mehr im Einsatz sein werden. Die sind wirklich nicht mehr zeitgemäß. Weder, was den Betrieb betrifft, denn sie sind schwer und brauchen viel Strom. Noch, was den Komfort betrifft; denken sie an die langen, harten Sitzbänke. Heute sind diese Wagen auch auf der Linie B schon zu einer Rarität geworden.“

Ein weiteres Zeugnis der sowjetisch-tschechoslowakischen Völkerfreundschaft ist die U-Bahn-Station „Anděl“, zu Deutsch „Engel“, benannt nach dem gleichnamigen Gasthaus, das seinerzeit an Stelle der heutigen Einkaufszentren stand. Eröffnet wurde sie im November 1985 mit dem ersten Abschnitt der Linie B. Damals hieß sie allerdings „Moskevská“. Bis heute zieren die Tunnelwände in Bronze gegossene fröhliche Astronauten, die die sowjetische und die tschechische Fahne schwenken. Für das edle Design mit viel weißem Marmor zeichneten russische Architekten verantwortlich. Prager Architekten durften dafür eine Station der Moskauer Metro gestalten.

Neben Anděl wurden im Jahr 1990 noch zwölf weitere Stationen umbenannt: Die „Leninova“ etwa wurde in Anlehnung an den gleichnamigen Stadtteil zur „Dejvická“, die zu Ehren des ersten kommunistischen Präsidenten „Gottwaldova“ genannte Station heißt heute „Vyšehrad“ und die „Kosmonautů“ wichen der heutigen Endstation „Háje“, schlicht „Haine“.

Untrennbar mit der Prager U-Bahn verbunden sind auch die oft unendlich lang erscheinenden Rolltreppen, die vom Bahnsteig an die Oberfläche führen. Auch sie sind ein Werk sowjetischer Ingenieurskunst, wie der zuständige Abteilungsleiter bei den Verkehrsbetrieben, Jaroslav Šubrt im Tschechischen Fernsehen erläuterte:

Foto: Kristýna Maková
„Auf dem ersten Abschnitt der Linie A haben wir diese alten russischen Rolltreppen schon durch neue aus westeuropäischer Fertigung ersetzt, auf der Linie B sind sie aber noch in den meisten Stationen zu finden.“

Trotz ihres rustikalen Designs in hell- oder dunkelbraunem Holz-Imitat sind die alten Rolltreppen bei den meisten Fahrgästen nach wie vor sehr beliebt, wie Techniker Šubrt zu berichten weiß:

„Die neuen Rolltreppen müssen die strengeren europäischen Normen einhalten und fahren mit maximal 0,75 Meter pro Sekunde. Die alten russischen hingegen sind deutlich schneller und fahren bis zu 0,9 Meter pro Sekunde. Die dürfen in Betrieb bleiben, bis sie kaputt werden.“

In den vergangenen 35 Jahren hat die Prager U-Bahn Millionen von Fahrgästen unfallfrei befördert und auch technische Störungen sind höchst selten. Das verheerende Jahrhundert-Hochwasser im Jahr 2002 traf allerdings auch die Prager U-Bahn schwer: An einigen Stellen hielten die Tunnel dem enormen Wasserdruck nicht stand und barsten. 18 Stationen wurden geflutet und waren monatelang außer Betrieb. Fast sieben Milliarden Kronen kostete die Wiederherstellung der Tunnel und Stationen. Auch viele Rolltreppen wurden schwer beschädigt, erinnert sich Stadtrat Šteiner:

„Nach dem Hochwasser wurden diese russischen Rolltreppen für viel Geld erneuert, um die Stationen möglichst schnell wieder in Betrieb nehmen zu können. Daher werden sie noch einige Jahre in Betrieb bleiben.“

Gute Nachrichten also für alle Fahrgäste, die es eilig haben im Prager Untergrund. Über die zahlreichen Neuerungen, die auf die Benützer der Prager U-Bahn in den nächsten Jahren zukommen, erfahren Sie demnächst mehr in einer unserer Sendungen.