Am Anfang war die Linie C: Prager Metro feiert 50. Jubiläum
Grün – Gelb – Rot, das sind die Farben der Prager Metrolinien A, B und C. Etwa anderthalb Millionen Fahrgäste werden täglich auf den gut 65 Schienenkilometern befördert. Wussten Sie, dass die Linie C die erste war, die gebaut und eröffnet wurde? Am Donnerstag ist es genau 50 Jahre her, dass sich in der Station Kačerov die erste U-Bahn Prags in Bewegung setzte. Natürlich wird dieses Jubiläum gefeiert, so etwa mit Filmen, Vorträgen, einer Ausstellung und auch einer Fahrt in einem historischen Zug. Was das für ein Fahrzeug ist, warum Prag erst mehr als 100 Jahre später als London eine Untergrundbahn bekam, und wann die ersten autonomen Züge unter der Moldaustadt fahren könnten, das alles haben wir mit Robert Mara besprochen. Er ist der Leiter des Archivs des Prager Transportunternehmens (DPP).
Herr Mara, am Donnerstag feiern wir 50 Jahre Prager Metro. Was genau ging denn am 9. Mai 1974 vor sich?
„An dem Tag wurden die langjährigen Bemühungen gekrönt, in Prag eine Untergrundbahn zu bauen. Der erste Vorschlag stammte bereits aus dem Jahr 1898, und 1926 entstand die erste seriöse technische Studie zu einer grundlegenden Projektierung. Die Bauarbeiten begannen aber leider erst 40 Jahre später, nämlich 1966. Das war der Moment, als die Straßen aufgerissen wurden, um die ersten neun U-Bahnstationen zu errichten. Am 9. Mai 1974 um neun Uhr begann in der Station Kačerov das offizielle Programm für die höchsten Vertreter des damaligen kommunistischen Regimes. Bei der feierlichen Zusammenkunft zerschnitt Gustav Husák (Generalsekretär der KPTsch, Anm. d. Red.) um 9.19 Uhr das Eröffnungsband, und um 9.24 Uhr setzte sich der erste U-Bahnzug mit der Regierungsdelegation an Bord in Bewegung.“
Die Bauarbeiten haben also acht Jahre lang gedauert. Und die Eröffnung erfolgte fast genau 100 Jahre nachdem in London die erste U-Bahn überhaupt eröffnet wurde…
„Das waren sogar fast 111 Jahre. Hierzulande kam es zu einer gewissen Verzögerung, weil auch das Bevölkerungswachstum eine andere Dynamik hatte als in London. Mit Blick auf die Geschichte muss man aber sagen, dass in Prag während der Jahre 1938 bis 1940 der Beginn der Bauarbeiten praktisch schon bevorstand. Damals gab es ein sehr genau ausgearbeitetes Projekt für eine erste Metrolinie von Dejvice nach Pankrác. Die Umsetzung wurde durch die deutsche Besatzung und den Zweiten Weltkrieg unterbrochen, weil es ein Neubauverbot für alle zivilen Anlagen und Einrichtungen gab. Nach dem Krieg wurde an dieses Projekt dann nicht mehr angeknüpft.“
Und warum nicht?
„Es gab durchaus Absichten, die Arbeiten kurz nach Kriegsende wieder aufzunehmen. Aber 1949 entschied die neu angetretene kommunistische Garnitur, dass andere Investitionen Priorität hätten und Prag noch eine Weile länger ohne Metro auskommen müsse.“
An diesem Donnerstag fährt also genau um 9.19 ein historischer Zug auf dem ersten Streckenabschnitt zwischen Kačerov und der Station Florenc, die damals noch Sokolovska hieß. Warum gab es zuerst die Linie C?
„Die Bezeichnung mit dem Buchstaben C für die zuerst gebaute Linie war ein Erbe des Projektes für die sogenannte Untergrundstraßenbahn. Denn als 1966 mit dem Bau der U-Bahn begonnen wurde, griff man auf diese Konzeption zurück. Sie sah mehrere kurze Tunnelabschnitte im Stadtzentrum vor, die an das bestehende Straßenbahnnetz anknüpfen sollten. In den Tunneln sollten dann auch klassische Straßenbahnen fahren. Erst 1967 wurde die Konzeption durch eine vollwertige autonome Metro ersetzt – mit eigenständigen Zügen und separatem Betrieb. Weil die erste Linie aber schon als ‚Abschnitt C‘ im Bau war, wurde diese Bezeichnung weiter benutzt.“
Was unterscheidet die historischen Züge, die zum Jubiläum wieder zum Einsatz kommen, von den heutigen Fahrzeugen?
„Der historische Zug, mit dem die Besucher aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums am Donnerstag fahren können, gehört zu den ältesten Fahrzeugtypen der Prager Metro. Mit ihnen wurde 1974 der Betrieb aufgenommen. Es handelt sich um Züge sowjetischer Bauart, konkret um den Typ Ečs – eine Modifikation der bereits existierenden sowjetischen Modelle. Schon damals stellten sie für Prag eine Kompromisslösung dar, denn die Züge verfügten nicht über die nötige Leistung für die weiter geplanten Linien. Damit konnten diese Fahrzeuge nur auf der ersten Linie C eingesetzt werden, von der sie erst 1997 abgezogen wurden. Bis dahin waren insgesamt 85 Wagen in Prag im Einsatz. Mit den neuesten Zügen des heutigen Modells M1 sind die historischen Fahrzeuge in den allermeisten Kriterien bezüglich Technik und Konstruktion absolut nicht mehr zu vergleichen. Der Generationsunterschied ist deutlich erkennbar, zumal die sowjetischen Fahrzeuge schon veraltet waren, als sie nach Prag geliefert wurden.“
In Prag fuhren russische U-Bahnzüge, weil zu dieser Zeit im gesamten sowjetischen Einflussbereich Metros und U-Bahnen gebaut wurden…
„So ist es. Es wurden das technologische Know-how und die Materiallieferungen aus Russland genutzt, weil die Zusammenarbeit damals ja politisch gewünscht war. Von der Metro sprach man als Bauwerk der tschechoslowakisch-sowjetischen Freundschaft, denn solche großen Bauprojekte wurden vom Regime für Propagandazwecke genutzt. Eine Menge wichtiger Technologien waren in der damaligen Tschechoslowakei zudem nicht vorhanden, also wurden sie aus der Sowjetunion geliefert. Bezüglich der Metrozüge war es noch etwas anders, denn zunächst gab es Bemühungen, sie im Inland herzustellen. Aber die Entwicklung hätte in einer unglaublich kurzen Zeit erfolgen müssen, und nach der Produktion von zwei Prototypen entschied man sich doch für die Serienmodelle aus der Sowjetunion.“
Wie viele der U-Bahnstationen wurden in den 50 Jahren schon umbenannt?
„Es waren 13 Stationen im Jahr 1990, als man die eindeutigsten ideologischen Stationsnamen beseitigte. Die meisten umbenannten Stationen gibt es auf der ältesten Linie C. Die heutige Endstation Háje hieß damals Kosmonautů (Station der Kosmonauten, Anm. d. Red.). Die schöne Station am Fuße der Nusle-Brücke wurde einst Gottwaldova getauft (nach dem KPTsch-Generalsekretär Klement Gottwald, Anm. d. Red.) und heißt heute Vyšehrad. Und der heutige Bahnhof Holešovice hieß früher Fučíkova (nach Julius Fučík, Anm. d. Red.). Die Namen stammten also aus der sozialistischen Aufbauzeit.“
Haben die Tunnel und U-Bahnstationen auch heute noch weitere Funktionen als nur für den Transport?
„Ja, nach wie vor wird das sogenannte Metro-Rettungssystem aufrechterhalten. In dessen Rahmen sollen die Bewohner Prags dort Schutz finden im Falle von Naturkatastrophen oder Unglücken anderer Art.“
Aktuell wird eine vierte Linie namens D gebaut. Wie passt sie sich in das bestehende Netz ein?
„Die Linie D soll das Metronetz vor allem im Süden von Prag verstärken. Dort sind im Verlaufe der Jahre viele große Siedlungen gewachsen, so dass eine Art Vorstadt entstand. Bisher wird dieses Gebiet von der Linie C bedient, und der am meisten ausgelastete Abschnitt der ganzen Prager Metro ist das Stück zwischen den Stationen Vyšehrad und I. P. Pavlova. Dort bewegen sich eben jene Massen an Fahrgästen, die die Metro jeden Tag von Süden her transportieren muss. Die neue Linie D soll die überbeanspruchte C-Trasse entlasten, eine parallele Verbindung anbieten und weitere Teile der Siedlungen bedienen. Aus historischer Sicht ist interessant, dass in dieses Gebiet zunächst ein Abzweig der Linie C führen sollte. An der Station Pankrác war eine solche Einmündung auch schon angelegt. Aber letztlich hat sich gezeigt, dass es angesichts der schon bestehenden Belastung verkehrspolitisch sehr problematisch wäre, noch weitere Massen an Fahrgästen aus dem Südwesten Prags auf die Linie C zu lenken.“
Wann soll die Linie D fertig sein?
„Der Eröffnungstermin wird dauernd nach hinten verlegt. Zunächst wurde von 2029 gesprochen. Hinsichtlich der Ausschreibungsprozesse und der komplizierten Auswahlverfahren für die Baufirmen hat sich das um mindestens anderthalb bis zwei Jahre verschoben. Aber auch dies ist nur ein vorübergehender Termin, der sich immer noch ändern kann.“
Und wann wird die U-Bahn in Prag ohne Fahrer fahren?
„Der fahrerlose Betrieb wird parallel mit dem Bau der Linie D vorbereitet. Neben dem Fuhrpark für die neue Trasse gibt es Planungen für die Modernisierung der Fahrzeuge auf der ältesten und am stärksten ausgelasteten Linie C. Zudem sollen nach und nach 69 neue Züge geliefert werden, die ein autonomes Fahren ermöglichen. Gleichzeitig muss dafür aber das gesamte Verkehrssystem überarbeitet werden, vor allem die Sicherheitsvorkehrungen, die Ausstattung der Metrostationen mit Trennwänden und weitere Maßnahmen, damit die automatischen Züge auf den bestehenden Linien fahren können. Nur die Trasse D wird bereits entsprechend eingerichtet sein. Mit einiger Vorsicht kann also gesagt werden, dass die ersten autonomen Metrozüge mit der Eröffnung der Linie D fahren werden.“
Die Wanderausstellung „50 let metra 1974–2024“ ist derzeit in der Metrostation Kačerov zu sehen. Ihr Inhalt und die weiteren Termine stehen auf Metroslavi.cz bereit, und das auf Tschechisch und Englisch. Zum Jubiläum gibt es etwa auch ein Quiz oder eine App mit Wissenswertem und Testfragen zu jeder Metrostation – beides allerdings nur auf Tschechisch und verfügbar unter dpp.cz/metro50. Am Donnerstag, den 9. Mai, gibt es im Prager Zentrum für Architektur und Stadtplanung (CAMP) den ganzen Nachmittag und Abend Filme und Vorträge zum Thema (https://praha.camp/program/detail/50-let-metra).