Die Spartakiade – ein Turn- und Propaganda-Feldzug im Sozialismus
In diesen Tagen vor 65 Jahren wurde die erste tschechoslowakische Spartakiade veranstaltet. In der Zeit des kommunistischen Regimes fanden insgesamt sechs dieser großen Turnfeste statt. Im Archiv des Tschechischen Rundfunks ist Tonmaterial mit einer Länge von mehreren Stunden und mit der ergreifenden Atmosphäre der Spartakiaden erhalten geblieben.
Zu den Klängen dieser Fanfare wurde die Spartakiade im Jahr 1980 durchgeführt. Es war die vorletzte, die veranstaltet wurde. Die erste fand im Jahr 1955 statt. Die kommunistische Führung der Tschechoslowakei hatte die Spartakiade zur Nachfolgerin der gesamtstaatlichen Turnertreffen der Sokol-Bewegung erkoren. Diese Bewegung war den Kommunisten ein Dorn im Auge gewesen. Deshalb haben sie diese Organisation ab 1948 Stück für Stück zerlegt, deren führende Funktionäre aus dem Weg geräumt und die Sokol-Turnertreffen durch ihre Spartakiaden ersetzt. Diese fanden dann aller fünf Jahre statt.
Mit den eben gehörten Worten (s. Audioversion) begrüßte der damalige tschechoslowakische Präsident Antonín Zápotocký die Mitbürger, die Genossinnen und Genossen der Partei und die Teilnehmer der Spartakiade zum ersten Turnfest der neuen Prägung. Und während seiner Eröffnungsrede wurde sogleich deutlich, dass die Kommunisten die Spartakiade vor allem zur Propaganda ihrer Ideologie nutzen wollten:
„Vorwärts im großen Lager des Friedens mit unserem Befreier, der Sowjetunion, an der Spitze. Für eine glückliche Zukunft unserer Menschen und unserer lieben Heimat, der Tschechoslowakischen Republik.“
Spartakiade übernimmt Bestandteile der Sokol-Turnertreffen
Im Jahr 1955 wurde dann auch die Tradition eingeführt – abgeschaut von den Sokol-Turnertreffen – die Spartakiade an den letzten vier Tagen eines Schuljahres auszurichten. Den Prager Kindern ermöglichte dies den früheren Beginn der Sommerferien, weil die Turner des ganzen Landes in ihren Schulen übernachteten. Das Programm der Veranstaltungspremiere beinhaltete nicht weniger als 30 Auftritte. Im Rundfunkarchiv ist jedoch nur noch die gemeinsame Turnübung der Soldaten mit den Kindern erhalten (s. Audioversion)
Zu dieser Übung turnten in etwa 1000 Soldaten sowie 4500 Jungen und Mädchen im Alter von 10 bis 14 Jahren im größten Stadion des Landes. Es war das Große Strahov-Stadion, benannt nach dem bergigen Prager Stadtviertel, in dem es knapp 30 Jahre zuvor für die Ausrichtung des VIII. Sokol-Turnertreffens erbaut wurde. Es wurde mehrfach um- und ausgebaut, und später galt es mit seinen riesigen Ausmaßen und einer Zuschauerkapazität von bis zu 250.000 Plätzen sogar für längere Zeit als das größte Stadion der Welt.
Die Autoren mehrerer Darbietungen von 1955 waren paradoxerweise ehemalige Sokol-Mitglieder. Es handelte sich dabei um traditionelle, synchronisierte Freiübungen. Doch es gab auch Vorführungen mit weit ausgefalleneren Bildern zu sehen wie zum Beispiel den Auftritt der Lehrlinge und Berufsschüler, die mit ihren Körpern Zahnräder und Riemenscheiben darstellten. Und bei der Übung der Soldaten tauchten im Stadion auch Panzer, Motorräder, Hunde oder Tauben auf.
Machen wir nun aber den Sprung zur zweiten Spartakiade im Jahr 1960 (s. Audioversion).
„Vielleicht war es der leuchtende Regenbogen selbst, der heute seine Farben über dem Strahov ausgebreitet hat, aber zu sehen sind ebenso gutgewachsene goldene Sonnenblumen, roter Mohn, gelbe Königskerzen, blaue Kornblumen und jauchzende Nelken“, so poetisch hat der Reporter damals den Auftritt der Volkskunstensembles beschrieben, die in verschiedenen Folkloretrachten turnten.
Unter ihnen war auch die Volkskunstgruppe „Vlajka mládí“ (auf Deutsch: Fahne der Jugend) aus Brno / Brünn. Sie sang zum Abschluss noch ein eigenes Lied über die Spartakiade (s. Audioversion).
Spartakiade 1965 schon etwas vom ideologischen Korsett befreit
Fünf Jahre später wäre ein solches Lied allerdings müde belächelt worden. Denn die Spartakiade des Jahres 1965 stand schon unter dem Geist einer gesellschaftlichen Befreiung, die drei Jahre später im Prager Frühling kulminierte. Die Teilnehmer der dritten Spartakiade wurden beim Turnen bereits nicht mehr in ein enges Korsett gezwungen. Deshalb hörten sich die Rhythmen, zu denen sie ihre Choreografien auf dem grünen Rasenteppich zeigten, auch schon viel optimistischer an (s. Audioversion):
Sie hörten einen Ausschnitt aus der Turnübung der Lehrlingsjugend aus dem Jahr 1965. Bei jener Spartakiade stand die Massenhaftigkeit schon nicht mehr so im Vordergrund wie bei den vorherigen Turnfesten, die Zahl der Teilnehmer sank auf ungefähr 350.000. Und die Struktur der Darbietungen war auch nicht mehr ideologisch überfrachtet, man bemühte sich um moderne und unterhaltsame Vorträge.
Diesen Weg hätte man gerne fünf Jahre später fortgesetzt, doch die Spartakiade des Jahres 1970 fiel ins Wasser. Aber nicht wegen schlechten Wetters, sondern wegen einer sprichwörtlich dicken Luft in der Gesellschaft. Denn nach der gewaltsamen Niederschlagung der Reformbewegung Prager Frühling im Jahr 1968 war die Stimmung im Volk noch ziemlich miserabel, es war eine Mischung aus Wut und Agonie. Daher befürchteten die von den sowjetischen Okkupanten wieder an der Regierungsspitze eingesetzten kommunistischen Hardliner, dass die Bürger die Spartakiade zu großen Protesten nutzen könnten. Deshalb setzten sie die Veranstaltung einfach ab.
Die nächste Spartakiade fand folglich erst im Jahr 1975 statt. Eine Neuheit in jenem Jahr war beispielsweise die gemeinsame Turnübung von Eltern mit ihren Kindern. Die Autorin der Übung, Jana Berdychová, hatte diese Darbietung schon früher angeboten, doch von den Organisatoren der Spartakiade wurde sie abgelehnt. Ihre Begründung war damals, dass die Kinder der sozialistischen Gesellschaft doch schließlich in ein Kollektiv gehörten. In der Zeit der Normalisierung war die Akzentuierung auf die Familie indes schon erwünscht. Wer aber zu keiner Zeit störte, das waren die Soldaten (s. Audioversion).
Laut Kommentator trugen 13.000 Soldaten ihre Übung vor, und auch damals war die perfekt synchronisierte Vorführung mit vielen schwierigen akrobatischen Elementen ein absoluter Höhepunkt. Ein Bestandteil der 75er Spartakiade war ein feierlicher Umzug durch die Prager Innenstadt. Dabei herrschte eine tolle Atmosphäre (s. Audioversion).
Während über den Prager Umzug noch mehrere Stunden an Tonmaterial im Rundfunkarchiv vorhanden sind, gibt es über die Spartakiade des Jahres 1980 nur noch ein sehr dünnes Angebot. Hier ein kleiner Auszug (s. Audioversion).
Spartakiaden waren größte Massenturnfeste ihrer Zeit
Doch was man von den Spartakiaden und insbesondere ihrem ideologischen Hintergrund auch hält, eines gilt es festzuhalten: Es waren die größten Massenturnfeste ihrer Art überhaupt. Die beiden letzten Spartakiaden wurden zwar schon nicht mehr von der ganz großen Anzahl an Teilnehmern wahrgenommen, dennoch stellten sich immer noch rund 180.000 Turnerinnen und Turner dem Publikum vor. Auf den Rängen waren zunehmend auch mehrere ausländische Zuschauer einschließlich Journalisten. Die Gespräche mit ihnen, vor allem mit Journalisten aus kapitalistischen Ländern, waren ein fester Bestandteil der eigenen Berichterstattung über die Spartakiade. Vor 40 Jahren schilderte dabei ein Mitarbeiter von CTV Television Network, dem größten englischsprachigen privaten Fernsehsender Kanadas, seine Eindrücke wie folgt:
„Es sei für mich sehr schwer, die richtigen Worte darüber zu finden. Ich kann aber sagen, dass das Ganze für mich sehr eindrucksvoll, ja phantastisch ist. Ich bin einfach verzaubert von der Schönheit des gesamten Programms. Die Musik ist wundervoll und die Choreografien sind vollgespickt mit entsprechenden Kompositionen. Ich kann daher nur mit großer Anerkennung über die Spartakiade sprechen.“
Am Schluss seiner Ausführungen fügte er jedoch an, dass er lediglich über das schwärme, was er gesehen habe. In der Zeit des Kalten Krieges wollte man halt den ideologischen Gegner nicht unbedingt bis über den grünen Klee loben. Auf die Fragen der Reporter des Tschechoslowakischen Rundfunks antworteten indes auch ganz gewöhnliche Zuschauer. Einer von ihnen war der Tscheche Jindřich Šťáhlavský. Über die Spartakiade von 1985 sagte er:
„Ich habe schon viele Spartakiaden gesehen, und ich habe bei ihnen einst auch mitgeturnt. In meinem jetzigen Alter aber traue ich mir das nicht mehr zu. Wenn ich jedoch eines sagen kann, dann dies, dass die Spartakiaden von Mal zu Mal immer besser werden. Ich bewundere vor allem die Autoren der Turnübungen, wie phantastisch sie sich alles ausdenken und welch wundervolle Bilder dadurch entstehen.“
Die Geschichte der Spartakiaden endete nach ihrer sechsten Auflage mit dem Sturz des kommunistischen Regimes im Spätherbst 1989. Auch wenn das Einüben der Darbietungen für die Spartakiade von 1990 schon in vollem Gange war und sich viele Menschen auf diese Veranstaltung freuten, im Großen Strahov Stadion wurden seitdem keine Freiluftturner mehr gesehen. Was bleibt, ist die Erinnerung…