Die tschechischen Familien im Visier der wahlkämpfenden Politiker

Noch nie zuvor widmeten die Politiker den tschechischen Familien eine so große Aufmerksamkeit, wie in diesen Wochen und Tagen. Am 2. und 3. Juni wird in Tschechien ein neues Parlament gewählt. Die Parteien versuchen nun mit einer Reihe von Vorschlägen die Lage der Familien zu verbessern und auf Stimmenfang zu gehen. Handelt es dabei um pure Wahlkampfrhetorik, oder werden sie auch den Tag nach den Wahlen überleben?

Die Überschwemmungen, die weite Teile des Landes vor einigen Tagen heimgesucht haben, sind zwar gegenwärtig immer noch das Hauptthema in Tschechien, dennoch vergessen die Politiker auch den laufenden Wahlkampf nicht.

Man erkennt das auch daran, dass je näher der Wahltermin rückt - und gewählt wird am ersten Juni-Wochenende - desto stärker versuchen Parteien und deren Kandidaten mit konkreten Vorschlägen auf sich aufmerksam zu machen.

Seit geraumer Zeit sind dabei insbesondere die Familien im Visier der wahlkämpfenden Politiker, was aus mindestens zwei Gründen eine interessante Entwicklung darstellt. Zum einen waren die Familien bei Wahlen in den vergangenen Jahren noch nie so umworben, wie diesmal. Zum anderen führen die Vorschläge der einzelnen Parteien zur Familienpolitik zur Aufhebung aller gängigen und oft auch sorgfältig gepflegten Unterschiede zwischen linken und rechten Parteien. Während die Sozialdemokraten, stark vereinfacht ausgedrückt, vor allem auf direkte finanzielle Zuwendungen an die Familien setzen, und mit ihren Vorschlägen zu einer dramatischen Anhebung der einmalig ausbezahlten Geburtenbeihilfe aufhorchen ließen, wollen die oppositionellen rechtsliberalen Bürgerdemokraten mittels Steuersenkungen und Maßnahmen bei der Sozialversicherung eine Besserstellung vor allem von kinderreichen Familien erzielen.

Handelt es sich dabei nur um pure Wahlkampfrhetorik? Wollen die Parteien und deren Spitzenvertreter ein Wettrennen veranstalten, wer den Familien die größeren Summen an Förderungen verspricht? Oder ist man wirklich bemüht die tschechische Gesellschaft familienfreundlicher zu gestalten? Das fragten wir Daniel Munich vom Wirtschaftsinstitut CERGE, einer Forschungseinrichtung im Rahmen der Tschechischen Akademie der Wissenschaften:

"Ich würde sagen, dass es sich um Wahlkampfrhetorik handelt, obwohl vielleicht nach diesen Wahlen die Aufmerksamkeit diesem Thema gegenüber größer sein wird, als in früheren Zeiten. Der Familienbezug findet sich im Programm aller Parteien. Ich würde aber nicht sagen, dass hier ein Wettkampf stattfinden würde, bei dem sich die Parteien gegenseitig überholen wollen. Bei einigen Vorschlägen zur Familienpolitik lässt sich aber schon sagen, dass sie völlig überspannt sind. Aber man darf sich nicht wundern. Familien mit Kindern sind eine sehr große Wählergruppe und vor allem auch eine sehr disziplinierte, so dass man annehmen kann, dass sie auch wirklich zu den Wahlen kommen werden. Für die Parteien ist so etwas natürlich entscheidend. Auch deshalb kann sich wohl keine Partei leisten den Bereich der Familien völlig unberücksichtigt zu lassen."

Die Palette der Ideen zur einer Besserstellung der Familien, die in den vergangenen Wochen präsentiert wurde, ist sehr breit. Die Sozialdemokraten versprechen etwa jenen Familien, die sich entscheiden ein drittes Kind zu haben, eine einmalige Zuwendung in der Höhe von 120 000 Kronen (umgerechnet 4200 Euro) zu gewähren. Die Christdemokraten können sich wiederum auf die Fahnen schreiben eine Verdoppelung des monatlich ausbezahlten Elterngeldes erreicht zu haben, die ab Januar nächsten Jahres in Kraft treten soll.

Sind aber alle diese ins Auge gefassten Maßnahmen gleich gut und sinnvoll? Dazu meint der Wirtschaftsforscher Daniel Munich:

"Es gibt eine Reihe von Vorschlägen - beginnend mit den primitivsten, die einfach nur zusätzliches Geld bar auf die Hand auszahlen wollen und zwar für jedes zusätzlich geborene Kind. Damit meine ich den Vorschlag der regierenden Sozialdemokraten. Hier muss man aber noch abwarten, ob sich das nicht noch ändern wird. Dann gibt es aber noch andere Ideen, die - wenn auch indirekt - in eine ähnliche Richtung gehen. Hier ist vor allem der jüngste Vorschlag der oppositionellen Demokratischen Bürgerpartei (ODS) im Bezug auf mögliche Änderungen bei den Ansprüchen an die Sozialversicherung zu erwähnen. Demnach soll bei einem Ehepaar, wo der eine Partner einem Beruf nachgeht, der andere aber nicht, weil er zum Beispiel daheim für die Kinder sorgt, auch der nicht berufstätige Ehepartner auf den gleichem Umfang an Leistungen Anspruch haben dürfen."

Die Vorschläge der Parteien zur Familienpolitik sind in den vergangenen Tagen auf unterschiedliches Echo gestoßen. Während die Familienverbände gejubelt haben angesichts der großen Aufmerksamkeit, die den Familien nun von Seiten der Politiker zu gute kam, haben die meisten Wirtschaftsforscher ihre Bedenken kundgetan und die Vorschläge kritisiert. Das Argument der Letzteren war, dass es sich Tschechien angesichts der stark defizitären öffentlichen Haushalte zusätzliche Ausgaben in Milliardenhöhe einfach nicht leisten kann.

Auch aus diesem Grund bleibt abzuwarten, zu welchen ihrer früheren Vorschläge die Politiker nach Wahlen noch stehen und deren praktische Umsetzung in Angriff nehmen. Auch Daniel Munich gehört in dieser Hinsicht zu den Skeptikern und neigt eher zur Annahmen, dass nach den Wahlen wieder haushaltspolitische Vernunft einkehren wird. Wir fragten ihn deshalb, welche der jüngst vorgestellten Ideen wohl am ehesten die Aussicht haben auch nach den kommenden Wahlen zu überleben?

"Ganz bestimmt ist es die Gewährleistung der Vorschulbildung, weil das auch die Eingliederung der Eltern in den Arbeitsmarkt fördert. Das ist vor allem für Frauen nach der Mutterschaftspause wichtig, die ja hierzulande immer noch ausschließlich für die Kinder sorgen. Auf der einen Seite ist in Tschechien die Beschäftigungsrate bei Frauen im Vergleich mit den anderen europäischen Ländern relativ hoch, gleichzeitig bedeutet aber für einen Großteil der beschäftigten Frauen die Entscheidung Kinder zu haben und somit den Beruf für einige Jahre auszusetzen, einen Karriere-Knick. Oft passiert es auch, dass die Frauen dann der Wiederaufnahme der Berufstätigkeit bei Berufen landen, die karrieremäßig eigentlich eine Sackgasse bilden. Maßnahmen, die diese Tendenz in eine andere, in die richtige Richtung leiten können, sind sicherlich etwas, was einen längerfristigen Wert hätte. Die berufstätigen Frauen könnten auf diese Weise mehr verdienen und somit auch stärker zum Familienhaushalt beitragen. Auch ihre Stellung innerhalb der Familien wäre dann stärker."

Daniel Munich zufolge wird sich nach den Wahlen vor allem eine grundsätzliche Frage wieder in den Vordergrund drängen: Soll der Staat bei der Unterstützung der Familien überhaupt eine Rolle spielen? Soll er sich auf die Schaffung von guten Rahmenbedingungen beschränken, oder auf konkrete finanzielle Leistungen?

Hören Sie dazu abschließend noch einmal den Wirtschaftsforscher Daniel Munich von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften:

"Der Staat sollte den Familien in erster Linie keine Schwierigkeiten bereiten und ihnen das Leben nicht unnötig komplizieren. Wenn wir von finanziellen Leistungen sprechen, dann sollte der Staat insbesondere jenen Familien unter die Arme greifen, die seine Hilfe auch wirklich brauchen, weil sie sich in einer momentanen - nicht selbstverschuldeten - Notlage befinden. Ansonsten glaube ich, dass es die Familien schon selber ganz gut schaffen für sich zu sorgen. Dem Staat würden dann jene Aufgabenbereiche bleiben, wo ihn niemand anderer ersetzen kann, nämlich im exekutiven Bereich. Dazu gehört etwa die Verbesserung der Infrastruktur, des Schulwesens, eine größere Effizienz bei der Arbeit der Gerichte. Das sind alles Felder, die auch wiederum den Familien zu gute kommen können, wo aber die Familien selber nichts bewegen können."