Dirigent Libor Pešek: „Wir waren Autodidakten“
Libor Pešek kann auf eine lange und erfolgreiche künstlerische Laufbahn zurückblicken: Der international anerkannte tschechische Dirigent feierte im vergangenen Jahr seinen 80. Geburtstag und ist aber weiter aktiv. Sein Name ist mit dem gerade laufenden Festival „Prager Frühling“ eng verbunden. Im Folgenden mehr über den Werdegang von Pešek.
„Wir waren eigentlich Autodidakten im Fach Dirigieren. Unsere Spitzenpädagogen hatten oft wenig Zeit für uns. Unter ihnen waren hervorragende Dirigenten, von denen jeder sein eigenes Ensemble und seine Tourneen hatte, sodass sie sich logischerweise nicht besonders um ihre Studenten kümmern konnten. Das ist auch ein Grund dafür, warum ich nie Lehrer an der AMU war. Wegen der Absenz unserer Pädagogen mussten wir oft die Proben anderer Dirigenten besuchen. Bei der Tschechischen Philharmonie war man vom Besuch junger Dirigenten nicht gerade begeistert. Uns wurde sogar der Zutritt verwehrt. Man muss sich einmal vorstellen: Wir haben uns dann unter den Bänken versteckt und verfolgten heimlich die großen Persönlichkeiten am Dirigentenpult. Dirigenten wie zum Beispiel Erich Kleiber, Charles Munch, Antonio Pedrotti oder Václav Talich gesehen zu haben, ist mir unvergesslich geblieben. Das war für uns die beste Schule.“
Im Lauf seines Lebens gründete Pešek mehrere Ensembles. 1958 war es die ‚Komorní harmonie‘ (Kammerharmonie, Anm.d.Red.) und sieben Jahre später das Kammerensemble „Sebastian Orchester“, mit dem er seine erste erfolgreiche LP mit Kompositionen von Pavel Josef Vejvanovský einspielte. Außerdem trat er auch mit anderen Orchestern hierzulande und im Ausland auf. 1969 wurde ihm eine Festanstellung als Chefdirigent eines holländischen Orchesters angeboten:„Ich bekam die Einladung vom Frysk Orkestr in Leeuwarden. Ein paar Monate später kam aber ein Traumangebot. Im ostböhmischen Pardubice sollte ich ein klassisches Orchester leiten, das ich nach meinen eigenen Vorstellungen formen konnte. Auf einmal hatte ich zwei Orchester, die leider 1300 Kilometer voneinander entfernt waren. Ich musste ständig zwischen beiden Standorten pendeln. Das war ein bisschen schade, denn das Orchester in Pardubice entwickelte sich musikalisch sehr gut. Wir konnten auch das Publikum für uns gewinnen. Das Orchester war insgesamt mit jungen Spielern besetzt. Ein Teil von ihnen waren frischgebackene Absolventen des Konservatoriums und der Musikhochschule. Sie waren voller Energie und verfügten über eine gute Spieltechnik. Es machte mir sehr viel Spaß, die Interpretationsweise sowie den Klang des Ensembles zu formen. Das gehört zu meinen schönsten Erinnerungen. Die Arbeit mit dem holländischen Orchester war bei weitem nicht so schön, ich konnte dort aber ein großes symphonisches Repertoire aufbauen, das ich in meinem späteren Berufsleben dann stark genutzt habe.“
Das Ostböhmische Staatskammerorchester in Pardubice leitete Pešek bis 1977. Es folgten weitere Engagements. Nur zu einem kurzen Intermezzo kam es in Bratislava bei der Slowakischen Philharmonie. Als die Nachricht durchsickerte, er solle von einem sowjetischen Dirigenten abgelöst werden, kündigte Pešek lieber selbst. Gerne erinnert er sich aber an die acht Jahre, in denen er als ständiger Gastdirigent mit der Tschechischen Philharmonie und ihrem Chefdirigenten Václav Neumann zusammenarbeitete:„Das war eine schöne Zeit für mich. Václav Neumann war ein ungewöhnlich großzügiger Chef, der außerordentliche Angebote für mich parat hatte. Seiner dank bekam ich die Gelegenheit, für die Plattenfirma Supraphon eine Reihe großer Kompositionen einzuspielen, an diese wäre ich ansonsten mit der Tschechischen Philharmonie kaum herangekommen.“
Den Höhepunkt seiner Karriere erlebte Pešek indes in England. Von 1987 bis 1998 war er als künstlerischer Leiter und Chefdirigent beim Royal Liverpool Philharmonic Orchestra beschäftigt.„Eigentlich wollte ich dort gar nicht sonderlich gerne hingehen. Nach den Jahren in Holland hatte ich auch gar nicht mehr mit einem Auslandsengagement gerechnet. Erst später begriff ich, dass dies eine große Chance für mich war. Das Orchester war großartig! Alle gaben ihr Bestes, um es international bekannt zu machen. Gemeinsam haben wir eine ganze Reihe von CDs eingespielt und waren oft auf Reisen. Das Besondere war vor allem, dass die Orchestermitglieder sich unglaublich für die tschechische Musik begeisterten und mich unentwegt um weitere unbekannte Werke tschechischer Komponisten baten.“
In Großbritannien machte sich Libor Pešek darum verdient, dass tschechische Komponisten populär wurden. Auf viel Interesse stießen auch die Einspielungen mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, dazu gehörten zum Beispiel CDs mit Symphonien von Antonín Dvořák, Josef Suk, Leoš Janáček und Johannes Brahms. Anlässlich einer Visite der britischen Königin Elisabeth II. in der Tschechischen Republik im Jahr 1996 wurde Pešek dann sogar mit dem Ritterorden des Vereinigten Königreichs ausgezeichnet.Auf der anderen Seite brachte der tschechische Dirigent die Philharmoniker aus Liverpool auch wiederholt zum internationalen Musikfestival „Prager Frühling“. Beim ersten Mal im Jahr 1993 gestalteten die Briten das Eröffnungskonzert. Traditionell erklingt dort der Zyklus symphonischer Dichtungen „Mein Vaterland“ von Bedřich Smetana:
„Die Engländer hatten diese Musik natürlich schon vor diesem Auftritt mit mir zusammen in Liverpool gespielt. Sie haben die Musik gut gekannt, trotzdem war es für sie etwas Besonderes, ´Mein Vaterland´ vor tschechischem Publikum zu spielen.“
Die Musikfestspiele „Prager Frühling“ sind für Libor Pešek im Übrigen bis heute eine Herzensangelegenheit:
„Nach über 50 Jahren in meinem Beruf habe ich einigermaßen akzeptiert, dass ich Dirigent bin. Noch im mittleren Alter habe ich mich nicht mit dem Image eines Dirigenten identifizieren können. Ich glaubte, ein Individuum zu sein, das sich unter anderem dem Dirigieren widmet. Es ist in gewissem Sinne nicht leicht, Dirigent zu sein. Wie viele andere Menschen in leitenden Positionen steht man wie ein Kapitän auf der Schiffsbrücke, weit von der Crew entfernt. Die Besatzung reagiert aber durchaus richtig, wenn sie etwas misstrauisch ist demjenigen gegenüber, von dem sie kommandiert wird. Man ist also als Dirigent eigentlich allein und versucht, auf verschiedene Art eine Beziehung mit dem Ensemble aufzubauen. Dies ist, was mich am Dirigentenberuf besonders stört.“
Trotz solcher pessimistisch klingender Äußerungen ist der Terminkalender von Libor Pešek nach wie vor gefüllt mit Auftritten vor renommierten Orchestern. Und für die Auseinandersetzung mit dem Alleinsein am Dirigentenpult hat er das Rezept eines Weisen gefunden:„Jeder Dirigent hat seine Methode, dem Orchester das Beste abzugewinnen. Meistens läuft es so, dass man mal lobt und mal schimpft. Ich persönlich praktiziere dies nicht, ich bin ins Stadium der menschlichen Freundlichkeit gelangt. Man kann auch auf diese Art etwas vermitteln.“
Dieser Beitrag wurde am 27. Juli 2013 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.