Doku-Kino und Debatten: Wien feiert die Charta 77
Im Januar hat man in Tschechien den 40. Jahrestag der Charta 77 gefeiert. Im Februar und März ist die Charta Hauptthema im Tschechischen Zentrum in Wien. Interessierte erwarten dazu Filme, Lesungen und Diskussionen. Ein Gespräch mit Martin Krafl, dem Leiter des Tschechischen Zentrums in Wien.
„Ich war zwar ein Mitarbeiter von Václav Havel, aber natürlich viel später. Für mich die Charta 77 etwas, dass ich erst später wahrgenommen habe, weil ich 1977 noch ein kleines Kind war. Wenn ich aber heute zurückschaue, dann sehe ich, wie wichtig diese Bewegung war. Und ich finde, dass die Charta 77 eine Geschichte der tschechoslowakischen-österreichischen Solidarität ist. Dank der Hilfe unserer Nachbarn haben fast 400 Unterzeichner in Österreich eine neue Heimat gefunden. Das war aber nicht nur der Fall in Österreich, sondern auch in der Schweiz, Schweden oder Kanada. Deswegen begehen wir hier in Österreich auch den 40. Jahrestag der Unterzeichnung der Charta 77. Das soll auch unsere Dankbarkeit ausdrücken.“
„Dank der Hilfe unserer Nachbarn haben fast 400 Unterzeichner in Österreich eine neue Heimat gefunden.“
Bei der ersten Veranstaltung, die wir diesmal ansprechen, geht es um einen Film. Im Mittelpunkt steht dabei ein Mann, der mit seiner Band eigentlich zum Auslöser der Charta 77 wurde. Um wen geht es und was bekommen die Zuschauer da zu sehen?
„Am 13. Februar zeigen wir im Kino der tschechischen Botschaft einen Dokumentarfilm mit dem Titel ‚Evangelium podle Brabence‘. Diese Dokumentation von Miroslav Janek erzählt die Erinnerungen, Reflektionen und selbstironische Anekdoten von Vratislav Brabenec, dem Saxophonisten und Songwriter der legendären Underground-Band ‚The plastic people of the universe‘. Die Dokumentation ist eine filmische Fortsetzung des gleichnamigen Buches von Renata Kalenská. Vratislav Brabenec ist tschechischer Ausnahmemusiker und Literat. Er hat auch die Charta 77 unterzeichnet und wurde deshalb vom kommunistischen Regime in der Tschechoslowakei verfolgt und inhaftiert. In den 1980er Jahren emigrierte er nach Kanada und kehrte erst 1997 nach Tschechien zurück. In diesem Film erfährt man nicht nur viel über sein Leben in der Emigration sondern auch über seine Ansichten nach den vielen Jahren.“
Neben Václav Havel hat sich auch der Philosoph Jan Patočka um die Charta 77 verdient gemacht. Ihm gilt eine Lesung mit dem Titel „Tun, was getan werden muss!“ Wie ist das gemeint und wer liest dort?„Diese Lesung und ein anschließendes Gespräch finden im Rahmen der Programmreihe Czech-Aut-Trends statt. Das ist eine Reihe der tschechischen Botschaft und des Tschechischen Zentrums in Wien zu aktuellen Themen aus den Bereichen Kultur, Geschichte, Politik und Wissenschaft. Und das im Kontext der tschechisch-österreichischen Beziehungen. Diesmal wird Jan Patočka und sein Archiv das Thema. Sie haben bereits eine wichtige Devise Patočka zitiert: ‚Tun, was getan werden muss! ‘ Diesen Satz formulierte er im Protest gegen die ungerechtfertigte Inhaftierung von Prager Rock-Musikern aus dem Underground, die auch ein Auslöser für die Entstehung der Bürgerrechtsbewegung der Charta 77 wurde. Patočka ist sicherlich der wichtigste tschechische Philosoph des 20. Jahrhunderts. Zu seinem öffentlichen Protest musste er sich aber zunächst durchringen, ging diesen Weg dann aber mit großer Entschlossenheit. Denn wie er sagte: ‚Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht‘. Der Abend am 22. Februar im tschechischen Zentrum Wien stellt mit exemplarischen Lesungen aus seinen Essays zu Geschichte, Literatur und Politik einen Philosophen vor, dessen Werk immer mehr an Bedeutung gewinnt. Auf dem Podium diskutieren im Anschluss Ivan Chvatík, Direktor des Patočka-Archivs in Prag und Ludger Hagedorn, aus dem Institut für die Wissenschaften vom Menschen aus Wien. Moderiert wird die Runde von der ORF-Redakteurin Renata Schmidtkunz.“
„Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“
Gehen wir ganz kurz weg von der Charta 77. Die Diskussion findet im Rahmen der Reihe Czech-Aut-Trends statt, die ja im Sommer vergangenen Jahres gestartet ist. Gibt es schon weitere Themen und Termine zu der Reihe?
„So konkret werde ich da jetzt noch nichts sagen können. Aber wir arbeiten sehr fleißig. Ich nehme an, dass wir uns zu Beginn des Sommers wieder einem Thema aus der Geschichte von Tschechien und Österreich widmen werden.“
Anfang März findet noch eine Diskussion statt zur Charta 77. Dabei geht es aber nicht nur um die damalige Lage in der Tschechoslowakei, sondern auch um die Rolle Österreichs bis 1989. Wen haben Sie eingeladen und was werden die Schwerpunkte des Abends?„Im Theatermuseum werden bei der Diskussion folgende Gäste sein: Die Historikerin und Übersetzerin Dr. Jana Starek, Ludvík Kavín, Unterzeichner der Charta 77 und Leiter des Theaters Brett in Wien, Jiří Chmel aus dem Dissidentenclub Nachtasyl in Wien und Bruno Aigner, der ehemalige Pressesprecher des österreichischen Bundespräsidenten und ein österreichischer Politiker aus der sozialdemokratischen Partei. Der Abend, den wir zusammen mit der tschechischen Botschaft und dem Theatermuseum vorbereiten, dreht sich der Charta 77 und Österreich. Besonders wollen wir hier auf die Rolle des Landes auf dem Weg zu einer freien Tschechoslowakei hinweisen. Wie ich bereits erwähnte, haben im Rahmen der tschechoslowakischen-österreichischen Solidarität fast 400 Unterzeichnern der Charta 77 in Österreich eine neue Heimat gefunden. Wir möchten auch darüber sprechen, wie dies eigentlich möglich war und wie es realisiert wurde. Nebenbei kann man auch die aktuelle Ausstellung ‚Seine Freiheit, unsere Freiheit - Václav Havel und das Burgtheater‘ im Theatermuseum Wien besichtigen. Auch da ist die Charta 77 eines der Themen.“