Doku-Soap „Vier in anderen Umständen“ – neues Genre im Tschechischen Fernsehen

„Vier in anderen Umständen“ (Foto: Tschechisches Fernsehen)

Věra, Lucie, Petra und Miky: Diese vier künftigen Mütter sind Protagonistinnen einer neuen Dokumentarserie des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehens. „Čtyři v tom“ (auf Deutsch „Vier in anderen Umständen“) heißt die sechsteilige Serie, in der ein Filmstab die Schwangerschaft, Geburt und die ersten Monate danach bei den vier Frauen verfolgt. Tschechien dringt damit erstmals in ein Genre vor, das als Doku-Soap bezeichnet wird.

Lucie im Film „Vier in anderen Umständen“  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Sophia, Jonáš, Josef und Isabelle sind vier Kinder, die vor den Kameras des Tschechischen Fernsehens zur Welt gekommen sind. Und zwar im Rahmen der Serie „Vier in anderen Umständen“, an der sich die Drehbuchautorin Irena Hejdová und die Regisseurinnen Linda Kallistová Jablonská und Zuzana Špidlová beteiligt haben. Symbolische neun Monate haben die Dreharbeiten gedauert. Not an Akteurinnen habe es nicht gegeben, bestätigt Irena Hejdová:

„Wir haben einen Aufruf im Fernsehen gesendet. Dort wurde gesagt, dass wir auch während der Geburt drehen wollen. Letztlich haben sich fast 300 Frauen gemeldet, die damit einverstanden waren. Danach folgte ein Auswahlverfahren, aus dem diese vier Protagonistinnen hervorgegangen sind.“

Linda Kallistová Jablonská  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Die Regisseurin Linda Kallistová Jablonská ergänzt zur Wahl der vier Frauen:

„Die Zahl der Frauen, die sich gemeldet haben, hat uns sehr überrascht. Die Auswahl fiel schwer, denn es waren sehr viele tolle Frauen. Das Wichtigste ist, dass die vier unterschiedlich sind. Und die zweite Sache haben wir erst im Rückblick entdeckt: Diese vier Frauen sind große Kämpferinnen. Es sind keine Frauen, die ihre Schwangerschaft und die folgenden Monate am TV-Bildschirm verbringen, sondern sie sind aktiv, setzen sich mit ihrer Lebenslage auseinander, ob sie einfach oder schwer ist.“

Der Film basiere auf Kontrasten, betont Drehbuchautorin Hejdová. Das Umfeld, aus dem Lucie, Věra, Petra und Miky kommen, sei sehr unterschiedlich:



Lucie im Film „Vier in anderen Umständen“  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Die eine kommt aus sozial schwächeren Verhältnissen, die andere ist eine Unternehmerin und hat genug Geld, eine Protagonistin kommt aus der Stadt und eine vom Dorf. Gleichzeitig vertreten sie unterschiedliche Meinungen in Bezug auf die eigentliche Geburt. Die Serie erzählt hauptsächlich von der Geburt und der Mutterschaft. Eine der Frauen wünscht sich eine natürliche Geburt, die andere erwägt einen Kaiserschnitt. Auch ihre Ansichten über Partnerschaft und Kindererziehung sind unterschiedlich.“



Miky im Film „Vier in anderen Umständen“  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Alle drei Filmemacherinnen bezeichnen die Geschichte von Lucie als die stärkste, sie könnte als Vorlage für ein eigenes soziales Drama dienen. Die Barfrau Lucie wird schwanger, der Vater ihres Kindes lehnt aber das Kind ab und kommuniziert mit Lucie nicht. Außerdem hat sie keine Mutter mehr und lebt in der Angst, sich ganz allein um ihr Kind kümmern zu müssen. Auch Petra befürchtet, ihr Kind ohne Mann zu erziehen. Sie ist nach einer zweimonatigen Beziehung während ihrer Arbeit in Afrika schwanger geworden. Die Einzige, die bereits Kinder hat, ist Miky, eine Bäuerin, die auch während der Schwangerschaft auf ihrem Hof hart arbeitet. Věra ist wiederum eine erfolgreiche Besitzerin einer Event-Agentur, eine zielbewusste und energische Frau, die ihre Arbeit wegen des Kindes keinesfalls aufgeben will.

Irena Hejdová  (Foto: Archiv ČRo 7)
Das tschechische Publikum macht sich durch diese Serie mit der Form der so genannten Doku-Soap, also Dokumentar-Seifenoper bekannt. Darin werden die gezeigten Personen in dramatisch inszenierter, unterhaltender Weise dargestellt. Drehbuchautorin Irena Hejdová:

„Es ist eine Dokuserie, die sich an der Grenze zwischen Dokumentarfilm und Spielfilm bewegt. Deswegen habe ich mich als Drehbuchautorin daran beteiligt. Bei einem reinen Dokumentarfilm gibt es normalerweise keinen Drehbuchautor. In diesem Fall wurde im Voraus durchgedacht, was gedreht wird. Ich war auch bei der Auswahl der Protagonistinnen dabei, habe mir die Fragen ausgedacht, die ihnen gestellt wurden, und die Szenen arrangiert. Auch beim Schnitt wurde anhand des Drehbuchs gearbeitet, wir haben entschieden, was akzentuiert und was zurückgezogen werden soll, um die Kontraste hervorzuheben. Es ist keine Seifenoper, dennoch konzentriert sich die Serie mehr auf die Beziehungen der dokumentierten Personen.“

Věra im Film „Vier in anderen Umständen“  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Und Regisseurin Linda Kallistová Jablonská fügt an:

„Weil wir wussten, dass wir sechs Folgen drehen, mussten wir überlegen, welche Entwicklung die Protagonistinnen durchgehen werden. Das ist bei einem Dokumentarfilm sehr schwer zu erraten. Deswegen haben wir uns bereits bei der Auswahl der Akteurinnen und später noch hunderte Male darüber unterhalten, wohin sich ihre Entwicklung begeben kann. Daraus ergab sich, was wir in der ersten Folge bringen und was wir zum Beispiel für die dritte Folge lassen. Dies steht im Konzept der Drehbuchautorin.“

Abel und Petra im Film „Vier in anderen Umständen“  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Durchaus interessant ist, dass während der Dreharbeiten nicht nur die Kinder der vier Frauen vor der Kamera geboren wurden. Auch sozusagen hinter der Kamera kamen vier Kinder zur Welt: Zwillinge der Drehbuchautorin, ein Baby der Regisseurin sowie eines des Kameramanns. Diese geteilte Lebenserfahrung ermöglichte es, eine intimere Beziehung zwischen dem Filmstab und den Protagonistinnen herzustellen. Doch geht es im Sechsteiler nicht nur um die Schwangerschaft und Geburt. Irena Hejdová:

„Wir wollten, dass darin möglichst viel auch vom sonstigen Leben der Frauen zu sehen ist. Bei Lucie, der Alleinerziehenden, sieht man zum Beispiel, wie sie ihren Alltag allein bewältigt. Bei den anderen werden auch die Partner porträtiert. Miky hat bereits ältere Kinder, die ebenso im Film auftreten. Auch die Mütter der Protagonistinnen sind dabei, die manchmal andere Meinungen als ihre Töchter vertreten. Wir zeigen vier Lebensgeschichten der heutigen Zeit.“

Miky im Film „Vier in anderen Umständen“  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Zur Intimität und Authentizität der Aussagen hat außerdem beigetragen, dass Lucie, Petra, Věra und Miky auch selbst über sich berichtet haben. Irena Hejdová:

„Die Frauen erhielten kleine Kameras und wurden beauftragt, einige persönliche Momente selbst zu drehen. Dies ist meiner Meinung nach gut gelungen. Sie haben in diese Kamera häufig viel persönlichere Sachen gesagt, als vor dem Filmstab. Diese Aufnahmen bilden einen interessanten Bestandteil der Serie. Manchmal sind es echt hinreißende Momente.“

Věra  (links) im Film „Vier in anderen Umständen“  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Die Filmemacherinnen wehren sich gegen die Behauptung, es handle sich um ein Dokument von Frauen über Frauen für Frauen. Laut Irena Hejdová ist die Serie genauso für Männer interessant:

„Auch Männer sind doch Eltern. Für sie kann es interessant sein, sich an die Anfänge der Schwangerschaft zu erinnern, daran wie sie diese mit ihren Frauen miterlebt hatten. Die Serie erzählt auch viel über die Liebe. Durch die drei glücklichen Paare und die Frau, die keinen Partner hat, erfährt man viel über die Selbstverwirklichung der Menschen in der heutigen Zeit. Meiner Meinung nach spricht die Doku-Soap eine breite Zuschauergruppe an.“

Abel,  Josef und Petra im Film „Vier in anderen Umständen“  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Und Linda Jablonská betont, die Männer seien ja ein Bestandteil des Lebens der Akteurinnen und haben wie ihre Frauen auch unterschiedliche Profile:

„Der eine Vater ist abwesend, es wird aber sehr viel über ihn geredet, obwohl er im Film nie auftaucht. Der zweite ist Abel, Petras Freund aus Äthiopien. Er kommt gerade wegen der Geburt seines Sohns nach Tschechien. Der dritte ist wiederum ganz anders. Übertrieben gesagt interessiert ihn vor allem das Design des Kinderwagens. Die Männer machen wie ihre Frauen durch die Schwangerschaft eine interessante Entwicklung durch.“

Miky im Film „Vier in anderen Umständen“  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Im Tschechischen Fernsehen wird erwogen, irgendwann in der Zukunft eine Fortsetzung der vier Lebensgeschichten zu drehen. Ob es dazu kommt, hängt natürlich vor allem davon ab, ob die Protagonistinnen weiter machen wollen. In diesem Jahr bleibt man nicht nur bei „Vier in anderen Umständen“, sondern das öffentlich-rechtliche Fernsehen sendet noch weitere Doku-Soaps. Dabei werden drei junge Ehen verfolgt und die Arbeit einer therapeutischen Gruppe in einer psychiatrischen Anstalt.