Dorfgeschichten aus "Zelary"
Zur Liste der zehn bestverkauften Bücher in Tschechien gehören seit über einem Jahr zwei kleine Bände mit Geschichten aus einem einsamen Bergdorf Namens "Zelary". Die Autorin dieser Bücher ist 85 Jahre alt. Erst vor wenigen Jahren hat die pensionierte Lehrerin mit der Veröffentlichung ihrer Erzählungen begonnen, die sie vor Jahrzehnten schrieb. Die Autorin nennt sich Kveta Legatova, im wirklichen Leben heißt sie Vera Hofmanova. Für den heutigen Kultursalon besuchte Sybille Korte die alte Dame in Brünn.
"Ich bin noch immer mehr vom Land als von der Stadt, gehöre mehr dem Land als der Stadt. Immer noch, immer noch."
Von den Menschen auf dem Land handeln auch die Geschichten, die Vera Hofmanova in "Zelary" und "Jozova Hanule" erzählt. Es sind Schicksale aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die sich in der mährischen Bergregion Kopanice abgespielt haben. Wie die Liebesgeschichte zwischen einer angehenden Ärztin und einem Waldarbeiter zur Zeit des Zweiten Weltkrieges: Die junge Frau verschlägt es im deutschen Protektorat Böhmen und Mähren auf der Flucht vor der Gestapo in das einsame Bergdorf "Zelary". Dort lernt die Frau aus der Stadt die Menschen des Dorfes, die ihr anfangs völlig fremd sind, verstehen und lieben.
Den Namen "Zelary" hat die Autorin erfunden, aber die Dorfbewohner, deren Leben sie erzählt, habe es wirklich so gegeben, versichert Vera Hofmanova."Also, das waren die Geschichten, denen ich gelauscht habe. Ich bin eine sehr gute posluchacka, Zuhörerin. Das bin ich wirklich. Das waren also die Geschichten, die ich teilweise erlebt habe und auch gehört habe. Ich lehrte auch in den Bergen. Und dort war es sehr spezifisch. Es war ein sehr hartes Leben. Sie waren sehr arm, die Menschen. Die Lebensregeln waren archaisch, aber ganz klar, auch für mich."
"Atemberaubende, naturalistische und schöne Lektüre von Anfang bis Ende", lobte die Tageszeitung "Pravo" die Geschichten von "Zelary". Vollblütig, leidenschaftlich und tragisch seien diese Erzählungen, so "Lidove Noviny. "Zelary" hat sich in Tschechien bereits 47.000 Mal verkauft, die Liebesgeschichte der Medizinstudentin mit dem Titel "Jozova Hanule" 38.000 Mal. Für ihre Schilderung der Menschen von "Zelary" erhielt die Autorin 2002 den tschechischen Nationalpreis für Literatur.
"Ich habe diese Gegend sehr geliebt, weil es alles so rein war, auch die Sprache. Ich sage auch zum Beispiel, die Kunst lebte dort. In jeder Gemeinde spielte man Theater. Die Lehrer schrieben die Chronik der Dörfer, auch mein Vater und meine Kollegen. In jedem Dorf waren Lieder, die dem Dorf gehörten. Die waren spezifisch für das Dorf. Das haben die Leute von diesem Dorf gespielt und gesungen. Jeden Tag hat man gesungen. Es waren verschiedene 'krouzky', Zusammentreffen, wo man nur singt und spielt."
Vera Hofmanova wurde als junge Lehrerin vom Gymnasium in Brünn in die Region von Kopanice an der Grenze zur Slowakei geschickt. Es war eine Art Strafversetzung nach der Machtergreifung der Kommunisten 1948. Denn die Lehrerin für Deutsch, Tschechisch, Mathematik und Physik, die der Partei nie beitrat, galt den neuen Machthabern als politisch unzuverlässig.Schon als Schülerin und Studentin hatte sie in den 30er Jahren Sketsche für das Radio in Brünn verfasst. Unter dem Namen einer Klassenkameradin schrieb sie kleine Satiren. Es war die Zeit der "recese", der scharfsinnigen Scherze.
"Wir Tschechen, meine ich, wir haben ein großes Gefühl für Witz. Wir sagen Tschechisch 'sranda', haben Sie das schon gehört? Das kann man auch nicht übersetzen. Also, aber zum Beispiel: Sie kennen den Schwejk. Das ist sranda der dritten Kategorie und 'Rezession' ist sranda der ersten Kategorie. Das sind intellektuelle Witze."
Nach der deutschen Besatzung der Tschechoslowakei hörte Vera Hofmanova auf für das Radio zu schreiben. Die Familie siedelte vom Dorf über nach Brünn. Das Mädchen teilte ein Zimmer mit der Großmutter. Sie hatte nur die Grundschule besucht und erzählte der Enkelin jeden Tag von früher.
War Ihre Großmutter eine gute Geschichtenerzählerin?
"Ja sehr, sehr. Und sie hat auch viel gelesen. Sie hat das alles natürlich verstanden, aber sie meinte, es ist alles richtig so, wie man das geschrieben hat. Zu dem Schriftlichen war sie so ohne Kritik, unkritisch. Sie meinte, es ist wirklich so, wie man das schreibt. Es war eine Lüge nach der anderen, das war gerade im Krieg, es war Hitler. Die Zeitungen waren gerade dieser Situation gewidmet. Das heißt: Das war nicht wahr, im Gegenteil. Wir haben das auch der Großmutti gesagt. Sie hat das nicht geglaubt. Sie hat mir immer gesagt: Es ist unmöglich - wenn man etwas schreibt, dann ist es intelligent! Dann muss er die Wahrheit schreiben!"Die Wahrheit zu schreiben - die Enkelin hat sich daran gehalten. Nach dem Krieg und der Machtübernahme durch die Kommunisten veröffentlichte sie in den 50er und 60er Jahren noch einige Hörspiele, Novellen und zwei Bücher, wieder unter einem Pseudonym. Doch dann kam eine lange Pause von über 20 Jahren. Der politische Druck war zu groß.
"Darum habe ich nicht geschrieben, das war der Grund. Wenn ich fühle, dass man nicht die echte und ganze Wahrheit schreiben kann, dann habe ich nicht geschrieben. Ich brauchte nicht Geld. Zum Geld habe ich keine gute Verbindung."
Sie hat für die Schublade geschrieben, jahrzehntelang. Erst nach der Samtenen Revolution holte Vera Hofmanova einiges daraus hervor. 1992 gewann sie bei einem Wettbewerb mit einem Hörspiel den Prix Bohemia. "Zelary" erschien 2001, wie alle ihre Veröffentlichungen unter Pseudonym. Den Namen Kveta Legatova hat sie von einer Freundin in Brünn geborgt, mit der sie seit Jahrzehnten gemeinsam im Tierschutz engagiert ist.Warum haben Sie damals und heute immer noch das Pseudonym?
"Das ist gerade mein Naturell, also das war das ländliche Naturell. Ich wollte nicht aus dem Schatten aussteigen. Das will ich auch nicht heute, aber jetzt muss ich."
Vera Hofmanova hat ihr Leben lang geschrieben. Als Lehrerin in den Bergen von Kopanice notierte sie alles Gehörte und Erlebte in Schulheften, später brachte sie es in die literarische Form. Am Fenster ihres Wohn- und Schlafzimmers mit Blick in den Garten steht eine elektrische Schreibmaschine, auf einem schwenkbaren Tischchen, direkt neben dem Lese- und Fernsehsessel. Noch heute schreibt sie. Keine Memoiren, nein, um Gottes Willen! Ihr Leben sei nicht so interessant gewesen, sagt die alte Dame. Aber kürzere Geschichten.
Haben Sie noch viel in der Schublade an fertigen Geschichten?
"Leider habe ich, was ich nie publizieren konnte. Das werde ich nie publizieren, weil ich bin zu alt und ich habe keine Kraft dazu. Diese Sachen, das muss man umarbeiten. Und dazu bin ich nicht eingestellt, wie Marlene Dietrich sagt."
Das Buch "Jozova Hanule" soll in diesem Herbst beim Deutschen Taschenbuchverlag in München mit dem Titel "Josas Hanni"erscheinen. Er bereitet auch die Übersetzung von "Zelary" vor. Der gleichnamige Film des tschechischen Regisseurs Ondrej Trojan war dieses Jahr sogar für einen Oscar in Hollywood nominiert. Bei der Verleihung des tschechischen Löwen erhielt er zwei Auszeichnungen. Im Frühjahr soll "Zelary" in den deutschen Kinos anlaufen.