Droht Prag, von der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes gestrichen zu werden?

Hradschin

Droht der tschechischen Metropole, dass sie von der UNESCO-Weltkulturerbeliste gestrichen werden könnte? Nach einer Antwort auf diese Frage suchen im folgenden Spaziergang durch Prag Martina Schneibergova und Melanie Agne.

Hradschin
"Das historische Zentrum von Prag verwandelt sich in eine Art Handelscity. Die Entscheidungen der Stadtverwaltung sind eindeutig gegen den Stand gerichtet, zu dem Prag 1992 auf die Weltkulturerbeliste der UNESCO gesetzt wurde." Dies erklärte der UNESCO-Experte und Mitarbeiter des tschechischen Denkmalschutzinstituts Josef Stulc vor kurzem im Gespräch für die renomierte Wochenzeitung "Respekt". Könnte Prag sogar drohen, von der Weltkulturerbeliste der UNESCO gestrichen zu werden? Nach der Meinung fragte ich Katerina Beckova, die Vorsitzende des "Klubs für das alte Prag", einer traditionsreichen Prager Bürgerinitiative, die sich für die Bewahrung des Kulturerbes der tschechischen Hauptstadt einsetzt.

Hradschin
"Ich weiß nicht, es würde auch davon abhängen, wer den Stand der Stadt beurteilen wird. Ich kann mir nicht genau vorstellen, wie dieses Gutachten aussehen würde. Wir kennen jedoch ein sehr interessantes Beispiel aus Wien, an dem wir bestimmte Parallelen mit Prag sehen. Wir bemühten uns, diesen Fall eingehend zu studieren, um daraus eine Lehre für unsere Verhältnisse zu ziehen. In Wien haben die Denkmalschutzexperten im Streit um das Panorama der Stadt gewonnen. Dies finde ich für uns sehr lehrreich."

Der historische Stadtkern von Wien wurde erst im Jahre 2000 auf die Weltkulturerbeliste der UNESCO gesetzt. Dr. Beckova dazu:

"Bevor das Wiener Rathaus das zuständige Zertifikat von der UNESCO erhielt, wurden die Vorbereitungen eines Projektes beendet, das vier fast 90 Meter hohe Gebäude vorsah. Diese sollten sehr nahe des Stadtzentrums erbaut werden - ca. 800 Meter vom Stephansdom entfernt. Die UNESCO forderte damals das Rathaus auf, ihr Unterlagen für ein Gutachten zu schicken. Im Falle der Verwirklichung des erwähnten Projektes, stellte sich die Frage, ob die Stadt wirklich auf die Liste gesetzt werden kann. Von der Stadtverwaltung wurde eine umfangreiche Dokumentation ausgearbeitet, in der die Stadtherren jedoch die Befürchtungen der UNESCO-Experten nicht teilten. Der ganze Entscheidungsprozess dauerte damals ungefähr zwei Jahre lang. Es kam dann noch eine zweite Warnung von der UNESCO. Für Wien war es in dem Augenblick viel wichtiger, den Titel der UNESCO-Stadt zu retten als den geplanten Bauvorhaben zuzustimmen. Den Stadtvertretern gelang es, sich mit dem Investor über bestimmte Zugeständnisse zu einigen. Im Herbst des vergangenen Jahres wurde ein neuer Architekturwettbewerb abgeschlossen: das neue Projekt ist bedeutend niedriger und respektiert die Tatsache, dass Wien auf der UNESCO-Liste steht. Nachdem das neue Projekt veröffentlicht worden war, wurde der Stadt Wien das Zertifikat der UNESCO übergeben."

Karlsbrücke
Bei der Eintragung der österreichischen Hauptstadt in die Weltkulturerbeliste der UNESCO spielten jedoch etwas andere Aspekte die Hauptrolle, als das bei Prag der Fall war. Bei Wien war auch die Kulturgeschichte der Stadt ausschlaggebend, in Prag ging es vor allem um die Architektur und den Urbanismus. Katerina Beckova dazu:

Celetna Strasse
"Zu der unter Denkmalschutz stehenden historischen Zone gehört in Prag auch die Neustadt, in der es sehr viele neue Gebäude gibt. In der Neustadt findet man nicht so viele historische Häuser wie in der Altstadt und auf der Kleinseite. Dagegen kann sich die Neustadt für einen hervorragenden Urbanismus aus der Zeit Karls IV. rühmen. Dieser stellt einen so großen Wert dar, dass es sich lohnt, ihn zu schützen. Außerdem wird bei Prag das vielfältige Terrain hochgeschätzt - der Prager Kessel, der Fluss und die historischen Stadtteile auf den beiden Moldauufern. In Prag spielt eben das Panorama der Stadt eine tragende Rolle. Dies wird nicht nur durch die Neubauten an den Moldauufern gefährdet, sondern beispielsweise auch durch die geplanten neuen Gebäude auf dem Plateau von Pankrác im vierten Stadtbezirk. Wenn dort Hochhäuser gebaut werden, könnte damit die Dominante der Prager Burg gestört werden. Darin besteht die Gefahr."

Kleinseite
Die Mitglieder des "Klubs für das alte Prag" knüpften in der letzten Zeit Kontakte zu einer ähnlich orientierten Bürgerinitiative aus Wien - zur Österreichischen Gesellschaft für Denkmal- und Ortsbildpflege. Einige der österreichischen Denkmalschutzexperten sind inzwischen Mitglieder des Prager Klubs geworden.

Im Spaziergang durch Prag haben wir Sie in den vergangenen Jahren schon über einige Fälle von gefährdeten historischen Sehenswürdigkeiten informiert, für deren Rettung sich der "Klub für das alte Prag" einsetzte. Mitglieder des Klubs, der vor 104 Jahren gegründet wurde, sind Architekten, Kunsthistoriker, aber auch Laien, denen das Schicksal der historischen Denkmäler nicht gleichgültig ist. Als Bürgervereinigung verfügt der Klub jedoch über keine legislativen Mittel, um unpassende Baueingriffe im historischen Stadtkern zu verhindern. Er kann jedoch an die zuständigen Staat- und Stadtorgane sowie die Öffentlichkeit appellieren. Für Empörung in den Reihen der Bewunderer des historischen Stadtkerns sorgte in der letzten Zeit das Vorhaben, in den Räumlichkeiten des einst populären Prager Kinosaals "U hradeb" einen Parkplatz zu errichten. Das Haus befindet sich nämlich auf der Kleinseite unweit der Karlsbrücke und des Kleinseitner Rings - in der Mostecká. Auch in diesem Fall versuchen die Mitglieder des Klubs für das alte Prag die Öffentlichkeit wachzurütteln. Katerina Beckova dazu:

"Dies ist einer der aktuellen Fälle, mit denen wir uns befassen. Wir sind allgemeinen dagegen, dass im historischen Stadtkern auch weiterhin erlaubt wird, unterirdische Garagen zu errichten. Dadurch wird das archäologische Terrain gestört. Außerdem wird damit vielen weiteren Autos die Einfahrt in die historischen Stadtteile ermöglicht. Das Objekt auf der Kleinseite, um das es geht, wurde zwar in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gebaut, aber es wurde mit viel Rücksicht auf die historische Umgebung gestaltet. In diesem Haus befand sich ein sehr bekanntes Kino Namens "Kino U hradeb" - zu deutsch etwa "Kino der Mauer", da das Haus an die gotische Stadtmauer grenzte."

Altstädter Ring
Nerudova Strasse
In diesem Kino wurden einst viele berühmte tschechische Filme uraufgeführt, es wurden dort auch internationale Filmfestivals veranstaltet. Aus diesem Grund wird das Kino von der kulturinteressierten Öffentlichkeit vermisst. Die unterirdischen Räumlichkeiten, wo sich der Kinosaal befand, wurden während der Hochwasserkatastrophe im Sommer 2002 stark beschädigt. Danach diente der Saal zu Ausstellungszwecken. Zur Zeit ist das Objekt im Besitz einer Gesellschaft, die vorhat, es zu rekonstruieren und anstelle des Kinosaals Garagen zu errichten. Die Denkmalschutzexpertin dazu:

"Es geht nicht nur darum, dass uns das Vorhaben aus der kulturhistorischen Sicht barbarisch vorkommt. Es ist außerdem auch die Vorstellung unangenehm, dass so viele Auto dort parken sollen. Für die Autos müsste ein Lift eingerichtet werden. Wenn wir uns vorstellen, dass es nochmals zur Überschwemmung dieser Räumlichkeiten kommen könnte, würde es zur Verseuchung des Wassers kommen. Denn es wäre unmöglich, so viele Autos rechtzeitig aus den Garagen zu transportieren. Wir haben ausgerechnet, dass es sechs Stunden dauern würde, 70 Autos mit dem Lift aus dem Keller zu bringen."

Obwohl die Errichtung der Garagen inzwischen von den zuständigen Behörden erlaubt wurde, bemühen sich die Mitglieder des Klubs für das alte Prag zur Zeit noch darum, diese Entscheidung anzufechten bzw. rückgängig zu machen.