Ein besonderer Tag im Leben
Die Verleihung eines Universitätsdiploms gelte in Tschechien als bedeutender Tag im Leben, warnte man mich vor, als ich zu einer solchen eingeladen wurde. Das würde fast so gefeiert wie eine Hochzeit. Und: „Zieh dir einen Anzug an!“ hieß es. Puh, dachte ich bei meiner widerwilligen Zusage. Meine eigene Zeugnisverleihung vor zweieinhalb Jahren an der Uni in Köln war noch in unguter Erinnerung.
Neulich musste ich ins Theater. „Musste“, denn der Grund war keine Theatervorstellung, sondern die Verleihung des Universitätsdiploms an meine Freundin. Die hat in Ústí nad Labem studiert, und die Uni dort hielt eben das Stadttheater für den geeigneten Ort dieser feierlichen Veranstaltung, die man auf Tschechisch „promoce“ nennt. Und eine „promoce“ gelte in Tschechien als bedeutender Tag im Leben, warnte man mich vor. Das würde fast so gefeiert wie eine Hochzeit. Und: „Zieh dir einen Anzug an!“ hieß es. Puh, dachte ich bei meiner widerwilligen Zusage. Meine eigene Zeugnisverleihung vor zweieinhalb Jahren an der Uni in Köln war noch in unguter Erinnerung.
Am Festtag schmiss ich mich also in Schale, und dann ging es mit Verwandten und Bekannten meiner Freundin ab nach Ústí. Wir nahmen Platz im kleinen aber feinen, neobarocken Stadttheater in Ústí. Nicht schlecht, dachte ich, und erinnerte mich an die bunkergleiche Aula der Kölner Uni.
Irgendwann kamen dann die hohen Universitätsvertreter hereinmarschiert – mit Fanfaren und in Talaren – und nahmen auf der schlicht aber passend und farbig hergerichteten Bühne Platz. Ich erinnerte mich an den Seminarraumtisch, den man seinerzeit auf die Bühne in der Kölner Uni-Aula gestellt hat. Mit schwarzem Tischtuch und einem Strauß weißer Lilien wohlgemerkt. Dazu kam das Kammermusikorchester, das wohl versehentlich die Noten fürs Trauerfeierprogramm eingepackt hatte.
Jedenfalls, im Stadttheater von Ústí standen dann die üblichen von mir so gefürchteten Reden auf dem Programm, die - zwar distanziert - aber charmant und persönlich waren und ganz ohne falsches Pathos auskamen. In Köln hielt damals der Prorektor eine blutleere Rede, die so klang als sei es dieselbe vom Jahr davor… und dem davor… und dem davor…
Wie auch immer, nachdem jeder der Absolventen in Ústí mindestens dreimal mit Namen, Fachrichtung und Geburtsort (!?) vorgestellt wurde, war es endlich soweit. Einzeln wurden die „Spectabilis“ nach vorn gerufen, wo dann jeder mit der Hand am Universitätszepter schwören musste, keinen Unsinn mit dem im Studium erworbenen Wissen anzustellen. Erst dann bekam er oder sie in einer schmucken Kladde sein Diplom überreicht. Wir sind damals in Köln völlig chaotisch in Fünfergruppen auf die Bühne geschlurft und haben ein Zeugnis bekommen, das vom Layout her aussah wie das Deckblatt meiner ersten Seminararbeit vor – keine Ahnung wie viel – Jahren.
Ich ließ alle neuen Eindrücke auf mich wirken, und auch die Erinnerungen, die sie in mir ausgelöst hatten, und dachte: „Schade!“ Mir hat damals in Köln niemand das Gefühl gegeben, dass ich etwas geschafft habe – mein Studium – auf das ich stolz sein kann. Irgendwie aber war ich jetzt - auch wenn sie ihre letzte Prüfung schon vor einigen Wochen bestanden hatte - stolz auf meine Freundin, für die ihre „promoce“ ein besonderer Tag im Leben war. Ein Tag, den es in meinem Leben nie gegeben hat.