Ein Böhme für die Freiheit der Philippinen

Blumentritt-Denkmal in Manila (Foto: esambale, Flickr, CC BY-NC-SA 2.0)

Blumentritt-Straße, Blumentritt-Bahnhof, Blumentritt-Viertel oder Blumentritt-Markt – solche Bezeichnungen lassen sich in der Hauptstadt der Philippinen, in Manila finden. Alle weisen auf einen Gymnasiallehrer aus dem nordböhmischen Litoměřice / Leitmeritz hin, der an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert lebte.

José Rizal  (Foto: Wikimedia Commons,  Public Domain)
Leitmeritz, Mai 1887. Auf dem heute nicht mehr existierenden Bahnhof steigt ein exotischer Besucher aus dem Zug aus Dresden aus: ein Filipino namens José Rizal. Der 26-Jährige ist eine vielseitig anerkannte Persönlichkeit. Rizal gehört zu den ersten Augenärzten in Europa und ist in diesem Bereich ziemlich erfolgreich. Neben Medizin hat er auch Philosophie und Literatur studiert, zunächst in Spanien, dann in Deutschland. Zugleich schreibt er Gedichte, pflegt Kontakte mit liberalen europäischen Politikern, und im Kreis der philippinischen Exilanten setzt er sich für das Interesse an seiner Heimat ein.

José Rizal ist gerade auf einer Reise quer durch Europa. Sein Ziel: Freunde des philippinischen Volks kennenzulernen und neue zu gewinnen. In der mittelböhmischen Kleinstadt erwartet ihn der Gymnasiallehrer Ferdinand Blumentritt, mit dem er schon einige Briefe ausgetauscht hat. Historiker und Heimatforscher Oldřich Doskočil aus dem heutigen Litoměřice:

„Ferdinand Blumentritt war zu dieser Zeit bereits ein bekannter Forscher, der in zahlreichen Fachzeitschriften publizierte. Als Orientalist war er auf die spanischen Kolonien spezialisiert und besonders auf die Philippinen. Er schuf zum Beispiel elf Landkarten dieser Inselgruppe und verfasste eine Studie über die dortigen Besonderheiten der spanischen Sprache. Wie er zu dieser Leidenschaft kam, ist nicht so ganz bekannt. Wahrscheinlich hatte dies aber mit seiner Familiengeschichte zu tun. Jedenfalls hat er sich Zeit seines Lebens mit den Philippinen beschäftigt. Seiner einzigen Tochter gab er zum Beispiel den Namen Dolores – das ist kein spanischer Name, wie die meisten Menschen vermuten dürften, sondern ein philippinischer.“

Ferdinand Blumentritt  (Skizze von José Rizal,  Wikimedia Commons,  Public Domain)
José Rizal verbringt vier Tage in Leitmeritz. Sein Gastgeber stellt ihn den Mitgliedern mehrerer örtlicher Vereine vor, in denen er selbst aktiv ist. Mit Begeisterung nimmt Rizal auch die Möglichkeit an, einen öffentlichen Vortrag über die Natur seiner Heimat zu halten. Zudem interessiert er sich für ein Projekt des Anwaltes Karel Kučák. Dieser organisiert Sommerlager für Kinder aus armen Familien.

Eine Freundschaft in Briefen

Für Rizal und Blumentritt war diese Begegnung die erste und letzte zugleich. Blumentritt war nie auf den Philippinen, er hatte eine ausgesprochene Angst vor Schifffahrten und bestieg nicht einmal die Dampfer auf der Elbe. Trotzdem waren die vier Tage in Leitmeritz für beide Männer eine schicksalshafte Zeit. Rizal sah in Blumentritt den zuverlässigsten Europäer, dem die Zukunft der Philippinen mehr am Herzen lag als manchem Einheimischen. Viele Jahre lang pflegte er mit dem Orientalisten aus Böhmen einen regelmäßigen Briefkontakt. Oldřich Doskočil:

„Die Briefe sind zur Hälfte erhalten. Es handelt sich um diejenigen, die Rizal an Blumentritt schickte. Durch sie wissen wir vieles über die Entwicklung auf den Philippinen, wohin José Rizal zurückkehrte. Er radikalisierte sich immer mehr in seinen politischen Ansichten, weil zum Beispiel die katholischen Missionare fast absolute Macht über der einheimischen Bevölkerung hatten. Vor jeder wichtiger Entscheidung fragte jedoch Rizal Blumentritt nach seiner Meinung. Er ließ auch Blumentritts Freunde grüßen und dankte ihnen für alles, was sie für ihn gemacht hatten. Da sich aber keiner der Briefe mit Ziel Philippinen mehr gefunden hat, wissen wir nicht, wofür José Rizal sich bedankt hat.“

Literatur und Politik

Quelle: Guanyin2,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0
Nicht nur Briefe, aber auch seine literarische Werke schickt José Rizal an seinen Freund nach Böhmen. Der Roman „Noli me tangere“ / „Rühre mich nicht an“ erscheint noch im selben Jahr nach dem Treffen in Leitmeritz, Blumentritt übersetzt ihn ins Deutsche. Rizal schildert darin die Korruption, den Landraub und sogar den sexuellen Missbrauch einheimischer Frauen durch spanische Mönche.

Der zweite Roman „El Filibusterismo“ / „Der Aufruhr“ ist noch kontroverser, dort geht es um eine mögliche Revolution auf den Philippinen und die möglichen Konsequenzen. Blumentritt als konservativer Akademiker empfindet die Überlegungen seines Freundes als zu provokativ und empfiehlt, das Buch nicht zu veröffentlichen. Rizal bittet ihn trotzdem um ein Vorwort, das der Forscher dann auch wirklich schreibt.

Die spanischen Behörden reagieren jedoch schnell: Der Roman und alle anderen Werke von Rizal werden verboten, und der Autor selbst muss seine Heimat verlassen. Eine gewisse Zeit lebt er in Hongkong, wo er eine Augenarztpraxis betreibt. 1896 meldet er sich als freiwilliger Arzt nach Kuba, während seiner Reise bricht jedoch auf den Philippinen die Revolution aus. Rizal wird in Barcelona verhaftet, nach Manila deportiert und verhört. Obwohl es keine Beweise für seine Schuld gibt, wird er zum Tode verurteilt. Oldřich Doskočil:

Hinrichtung José Rizal  (Foto: Manuel Arias Rodriguez,  Wikimedia Commons,  Public Domain)
„Den letzten Brief in seinem Leben schrieb José Rizal einen Tag vor der Hinrichtung. Er ist sehr kurz und an Ferdinand Blumentritt in Leitmeritz adressiert. Der Text lautet: ‚Mein lieber Bruder, wenn du diesen Brief erhältst, bin ich schon tot. Morgen um sieben Uhr werde ich erschossen werden, obwohl ich unschuldig bin. Lass unsere Freunde grüßen. Dein José‘. Das ist meiner Meinung nach ein erstaunlicher Beweis für die Kraft der Freundschaft, die diese beiden Menschen verbunden hat.“

Ein Böhme als philippinische Legende

Für Ferdinand Blumentritt, der inzwischen Direktor der Leitmeritzer Realschule geworden ist, bedeutet die Hinrichtung von José Rizal einen Schock. Er beginnt, sich noch intensiver für die Rechte der Filipinos einzusetzen. Einige Freunde von Rizal kommen sogar nach Leitmeritz, um ihr weiteres Vorgehen mit ihm zu konsultieren. Blumentritt gibt ihnen Mut und ist mit ihrem Kampf für die Selbständigkeit ihrer Heimat einverstanden. Die Ereignisse von damals bedeuten für ihn eine persönliche Wende, meint Oldřich Doskočil:

Blumentritt-Denkmal in Manila  (Foto: esambale,  Flickr,  CC BY-NC-SA 2.0)
„Aus dem bedächtigen Wissenschaftler, der sich bisher als Staatsangestellter politisch eher zurückgehalten hatte, wurde ein glühender Revolutionär. Er schickte Briefe an alle möglichen Institutionen. Darin schrieb er, dass die Filipinos ein Recht auf einen eigenen Staat hätten und dass sie bereit seien, diesen zu verwalten. Rassistische Vorurteile seien für ihn inakzeptabel, fügte er hinzu. Als es 1901 zum spanisch-amerikanischen Krieg kam und die Inselgruppe unter amerikanische Herrschaft geriet, kritisierte er auch die Amerikaner. Der Kolonialismus sei ungerecht und müsse beendet werden, schrieb er sowohl in der Fachpresse als auch in populärwissenschaftlichen Zeitschriften.“

Der Einsatz von Ferdinand Blumentritt wird über die wissenschaftlichen Kreise hinaus bekannt. Auch auf den Philippinen erfährt man davon. Als der böhmische Forscher 1913 stirbt, wird in Manila eine große Trauerfeier ausgerichtet. In der Folge werden in vielen Städten Straßen nach ihm benannt. Bis heute ist sein Name auf den Philippinen von Bedeutung. So kommen immer wieder Botschafter und Politiker aus dem Land nach Leitmeritz, um das Andenken von Ferdinand Blumentritt zu ehren.