Ein Stück Italien im Herzen von Prag: Die Welsche Kapelle
Tausende von Touristen strömen täglich an dem Bau vorbei. In der engen Karlsgasse mit den vielen Souvenirläden ist es kaum möglich stehen zu bleiben, um sich die nächsten historischen Gebäude gründlicher anzuschauen. Doch manchmal verlangsamen hier die italienischen Besuchergruppen doch den Schritt, denn der Begleiter macht sie darauf aufmerksam, dass sie soeben ein italienisches Hoheitsgebiet vor sich haben. Reingehen kann man jedoch seit etwa zwei Jahren nicht mehr, denn die Welsche Kapelle ist momentan geschlossen und soll demnächst renoviert werden. Mehr über den einzigartigen Sakralbau erfahren Sie von Martina Schneibergova und Thomas Kirschner im folgenden Spaziergang durch Prag.
Seit den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts stieg die Zahl der Italiener, die vor allem aus Norditalien und aus den Tälern der Schweiz nach Mitteleuropa kamen. Viele von ihnen ließen sich in Prag nieder. Nördlich der Alpen suchten die italienischen Baumeister, Maurer und Steinmetze nach Arbeit. Ihr Können wurde schnell bekannt, sodass sie über Mangel an Aufträgen nicht klagen konnten. Die Habsburger, die damals in Böhmen herrschten, unterstützten die aus Italien stammenden Renaissanceströmungen.
Nach 1583, nachdem die Kaiserresidenz nach Prag übertragen worden war, kamen auch viele italienische Geschäfts- sowie Bankleute nach Prag. Die italienische Kolonie ließ sich am häufigsten auf der Kleinseite nieder - vor allem im oberen Teil des heutigen Kleinseitner Rings, auf dem so genannten "Welschenplatz". Ein Teil der Italiener wuchs schnell mit dem Prager Milieu zusammen und lernte tschechisch. Andere wiederum bewahrten ihre nationale Identität. Ein Hindernis auf dem Weg zu einer schnelleren Assimilation im tschechischen Milieu stellte jedoch nicht nur die sprachliche, sondern auch die konfessionelle Barriere dar. Während Prag im 16. Jahrhundert vorwiegend protestantisch war, ist die Mehrheit der in Prag lebenden Italiener katholisch geblieben. Kunsthistorikerin Petra Oulikova dazu:
"Italiener, die nach Prag kamen, waren katholisch, und so brauchten sie einen Raum, um sich treffen und beten zu können. Sie konnten sich damals bei den Augustinern in der St. Thomaskirche auf der Kleinseite versammeln. Außerdem errichteten sie dort, wo heute das Italienische Institut seinen Sitz hat, den so genannten ´Welschen Spital´ mit der Karl Boromäus- und Marienkapelle. In der Prager Altstadt trafen die Italiener im Klementinum zusammen, denn die Jesuitenpatres beherrschten mehrere Sprachen und predigten seit 1560 für die Italiener in ihrer Muttersprache. Die Zahl der Italiener in Prag stieg und sie hatten den Bedarf, eine eigene Kapelle zu errichten."Der Bau der Kapelle wurde von der italienischen Marienkongregation initiiert. Geweiht wurde die Kapelle im Jahre 1600. Der Architekt des einzigartigen Sakralbaus war offensichtlich ein Italiener, sein Name ist jedoch unbekannt. Der Kunsthistorikerin zufolge ist der Bau einzigartig:
"Es stimmt, dass nördlich von den Alpen keine ähnliche Kapelle am Ende des 16. Jahrhunderts entstanden ist. Beachtenswert sind der ovale Umriss sowie weitere architektonische Elemente wie die zweistöckige Galerie. Die Kapelle war auf der Galerie mit dem Klementinum verbunden, sodass die Prediger direkt vom Kolleg in die Kapelle kommen konnten."
Der Name des Architekten der Welschen Kapelle ist unbekannt, man kennt jedoch einige Namen der Künstler, die das Interieur geschmückt haben. Petra Oulikova dazu:
"Das ursprüngliche Altargemälde stammte von Karel Skreta, der für die Italiener das Bild des Hl. Karl Boromäus für den Welschen Spital gemalt hat. Skretas Altarbild aus der Welschen Kapelle ist leider nicht erhalten geblieben. Wir kennen das Bild dank später entstandener Stiche. Es gab aber noch zwei Seitenaltäre. Das Mariengnadenbild von einem der Seitenaltäre kann man im Treppenaufgang der italienischen Botschaft in Prag bewundern. Außerdem hängt dort auch das Bild des Hl. Johannes Nepomuk von Frantisek Lichtenreiter, das vom zweiten Seitenaltar stammt. Da die Kapelle während der Jahrhunderte erneuert wurde, wurde auch ein neues Gemälde für den Hauptaltar geschaffen - im 19. Jahrhundert malte Josef Bergler ein Bild zum Thema Mariä Himmelfahrt für die Kapelle. So wurde die Kapelle auch ursprünglich benannt."
1773 wurde der Jesuitenorden zwar aufgelöst, aber die Welsche Kapelle existierte auch weiterhin, denn sie war Eigentum der beim Welschen Spital eingerichteten Italienischen Kongregation. Bis heute ist die Kapelle im Besitz des italienischen Staates. Dieses italienische Hoheitsgebiet im Prager Stadtzentrum gab es auch während des Kommunismus.
"In Prag gibt es drei Bauten, die dem italienischen Staat gehören: die Welsche Kapelle, die italienische Botschaft und das Italienische Kulturinstitut, das im früheren Welschen Spital seinen Sitz hat. Dies sind drei Objekte, um die sich der italienische Staat kümmert, und die Besitzverhältnisse blieben auch während des Kommunismus unberührt."
Die Ausschmückung der Kapelle wurde während der Jahre übermalt. Der Bau befindet sich heute nicht nur aus architektonischer, sondern auch künstlerischer Sicht in einem schlechten Zustand. Dank eines italienischen Mäzens - einer auf tschechischem Gebiet wirkenden italienischen Firma - wurde inzwischen eine Studie für die Restaurierung der Kapelle ausgearbeitet. Die Firma finanzierte auch die Herausgabe eines tschechisch-italienischen Buchs, in dem der Zustand des Gebäudes sowie die geplanten notwendigen Renovierungsarbeiten beschrieben sind. Petra Oulikova befasst sich im erwähnten Buch mit der Geschichte der Kapelle:
"Wenn man heute die Möglichkeit hat, die Kapelle zu betreten, sieht man nun Freskenruinen. Die ursprüngliche Handschrift des italienischen Malers ist kaum mehr zu entdecken. Dies ist sehr traurig. Der Restaurator, der den Stand der Gemälde beurteilte, sagte, er sei nie auf dermaßen beschädigte, beziehungsweise grob übermalte Gemälde gestoßen."
Für die Renovierung des Baus werden nach Worten des italienischen Botschafters in Prag, Giorgio Radicati, etwa 1,7 Millionen Euro notwendig sein. Der Diplomat hat vor, ein Komitee aus italienischen und tschechischen Spendern zusammenzustellen, das die Renovierung finanziert. Nächstes Jahr soll seinen Worten zufolge eine tschechisch-italienische Stiftung eingerichtet werden, die die Kapelle verwaltet. Der manieristische Sakralbau stellt ein Symbol für die Jahrhunderte lange Zusammenarbeit zwischen Italien und Böhmen dar, meinen die Verfasser des soeben veröffentlichten Buchs.
"Es ist interessant, dass in der Kapelle nicht nur die Italiener, sondern beispielsweise auch die Mitglieder der tschechischen Marienkongregation zusammengekommen sind. Bevor die Jesuiten den Bau des Kollegs beendet haben, spielten sich verschiedene Festveranstaltungen eben in der Welschen Kapelle ab. Studenten, die das Studium an der Jesuitenuniversität beendet haben, haben in der Kapelle dann promoviert. Die Verbindung zwischen dem italienischen und tschechischen Element ist in diesem Sakralraum wirklich zu finden."
Wenn alles klappt, wird die Welsche Kapelle nach einer gründlichen Renovierung im Sommer 2009 wieder geöffnet. Sie soll nach Vorstellungen des Botschafters Radicati als Raum für Konzerte, Seminare und Ausstellungen genutzt werden. Gelegentlich sollen hier jedoch auch Gottesdienste zelebriert werden.
Damit sind wir, liebe Hörerinnen und Hörer, fast am Ende des heutigen Spaziergangs durch Prag angelangt, in dem wir Ihnen die Welsche Kapelle vorgestellt haben, die einst auf dem Gebiet des Jesuitenkollegs Klementinum erbaut wurde. Falls Sie wissen, in welchem Jahr die ersten Jesuiten nach Prag gekommen sind, können Sie es uns schreiben, denn so lautet die heutigen Frage zur Sendungen, für deren richtige Beantwortung Sie ein Buch über Prag gewinnen können. Ihre Zuschriften richten Sie bitte an Radio Prag, Vinohradska 12, PLZ 120 99 Prag 2.
In der Sendung über die Krönungszeremonien auf der Prager Burg haben wir Sie im August nach dem Jahr gefragt, in dem sich die Schlacht bei Mohacs abspielte. Es war 1526. Ein Buch über Prag geht diesmal an Walter Herda aus Barleben.