Eishockey-WM: Eine ganze Nation bangt um den kleinen Finger von Jagr
Bei der Eishockey-Weltmeisterschaft in Österreich hat die tschechische Nationalmannschaft am Dienstag in Wien auch ihr zweites Gruppenspiel gegen Deutschland gewonnen und sich damit vorzeitig für die Zwischenrunde qualifiziert. Doch nach der Partie sprach kaum noch jemand über den gegen das zäh verteidigende deutsche Team mühsam erkämpften 2:0-Sieg, sondern fast alles drehte sich nur noch um den kleinen Finger der linken Hand von Tschechiens Topcrack Jaromir Jagr. Dieser Finger ist nach einem Stockschlag des deutschen Verteidigers Stefan Schauer am Mittelgelenkknochen gebrochen, so dass es derzeit in Frage steht, ob Weltstar Jagr bei dieser Weltmeisterschaft noch zum Einsatz kommen wird. Näheres dazu aus Wien von Lothar Martin.
Die Begegnung zwischen Tschechien und Deutschland plätscherte gegen Mitte des zweiten Drittels scheinbar nur so dahin, da erregte eine Szene die Aufmerksamkeit aller Beobachter auf den Tribünen der Wiener Stadthalle: der tschechische Spieler mit der Nr. 68, Jaromir Jagr, war zur Mitte der Hintertorbande geskatet und bat die zuständigen Hallenmitarbeiter, ihm das Bandentor zu den Kabinen zu öffnen, da er behandelt werden müsse. Dabei zeigte er auf seinen linken kleinen Finger, der schmerzte und offenbar geschwollen war. Was war geschehen? Kaum ein Zuschauer hatte etwas mitbekommen, doch die ständig das Spiel von mehreren Positionen aus mitverfolgenden Kameras enthüllten nur wenige Minuten später das Delikt: bei einem Zweikampf traf der Stockschlag Schauers die Handschuh geschützte Hand Jagrs offensichtlich so unglücklich, dass der tschechische Stürmer nicht mehr weiterspielen konnte. Gegen Ende des Drittels sah man einen in Zivil gekleideten Jagr via Bildschirmleinwand in Begleitung von Medizinern die Katakomben der Stadthalle verlassen. Das verhieß nichts Gutes, auch wenn man den später festgestellten Fingerbruch nur erahnen konnte. Nach der Partie aber versicherte der deutsche Kapitän Jan Benda, dass seinem Mitspieler Schauer keine Verletzungsabsicht zu unterstellen sei:
Petr Sykora, der tschechische Torschütze zum 2:0, der die Deutschen so kampfstark und um jeden Puck fightend erwartet hatte, wollte sich dagegen noch nicht ausmalen, was wäre, wenn das tschechische Team ohne seinen Star weitermachen müsste:
"Wenn es so kommen würde, dann wäre das schlimm für uns, denn ´Jerry´ spielt super und er ist so etwas wie das Herz der Mannschaft. Ich hoffe aber, dass er wieder zu uns stößt."
Vaclav Prospal, der Sturmführer der ersten Reihe, die zumindest am Donnerstag gegen Kasachstan ohne Jagr auskommen muss, gab sich da schon kämpferischer:
"Wir hoffen, dass er wieder fit wird. Wenn nicht, dann müssen wir seinen Ausfall kompensieren. Das ist Eishockey, und so ist es nun mal im Sport."
Jan Benda, einer von mehreren gebürtigen Tschechen im deutschen Team, sprach wiederum davon, dass man trotz eines gebrochenen Fingers durchaus noch Eishockey spielen könne:
"Nun mal gucken, ich kenne Spieler, die mit gebrochenem Finger weiterspielen. Ich sage es mal so: Jeder in der deutschen Mannschaft würde mit einem gebrochenen Finger weiterspielen."
Das letzte Wort hat jedoch der tschechische Mannschaftsarzt Dr. Jan Vanac. Er war schon am Mittwochmorgen mit Jagr nach Brno/Brünn aufgebrochen, um den Finger des tschechischen Hoffnungsträgers in der dortigen Unfallklinik mit einer noch nachts angefertigten Spezialmanschette fachgerecht schienen zu lassen. Und seitdem hofft eine ganze Nation, dass Superstar Jaromir Jagr trotz seines Malheurs bei dieser Weltmeisterschaft noch auftrumpfen und dass sein linker kleiner Finger am Abend des 15. Mai trotz Bandage golden glänzen wird.
