E.poesie: Vít Zouhar verpasst Gedichten den Elektroschock

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Wer stets dachte, dass Lyrik und Poesie eine eher verstaubte Angelegenheit sind, wurde Anfang Juli in Berlin eines Besseren belehrt. Das Stichwort heißt Poesiefestival „e.poesie“. An dem Spektakel beteiligt war auch ein tschechischer Künstler. Julia Angelov war dort und hat sich angehört, was passiert, wenn ein Elektromusikkomponist auf einen Dichter trifft und beide ihre Werke fusionieren.

Elektronische Musik – automatisch denkt man an Techno, Scooter, House und ohrenbetäubendes Bum-Bum. Doch elektronische Musik ist mehr als der monotone Beat, der aus der Disco um die Ecke schallt. E.poesie soll genau das zeigen. Wie viele Facetten elektronische Musik zu bieten hat, erfährt der Besucher hier auf ganz besondere Weise: in Verbindung mit zeitgenössischen Gedichten. Andreas Rocholl hat einen besonderen Zugang zu der Veranstaltung:

„Ich habe e.poesie kuratiert und inszeniert. Ich bin Leiter der Zeitgenössischen Oper Berlin. Die besondere Herausforderung war wirklich, diese beiden Zeitkünste- elektronische Musik und Lyrik - zu einem Dritten zu verbinden.“

E.poesie hat eigentlich schon vor vier Monaten begonnen. Da mussten sich fünf Komponisten elektronischer Musik durch eine Internetseite für Nachwuchs-Wortkünstler wühlen und nach einem Gedicht Ausschau halten, das zu ihrem Stil passt. Der Tscheche Vít Zouhar ist einer dieser fünf Komponisten. Er wählte den Österreicher Peter Waterhouse und sein Gedicht „Properos Land“ aus:

„Das war ziemlich spannend. Ich habe sehr viel Zeit mit dieser tollen Webseite verbracht, dadurch bin ich auf Peter Waterhouse gekommen. Ich habe außerdem von Heinko Stunk von der Literaturwerkstatt das Band bekommen. In dem Moment, in dem ich das Gedicht hörte, sagte ich mir: Es gibt keine andere Wahl!“, so der Elektroniker.

Doch Zouhar tippt nicht einfach blind auf irgendein Gedicht und denkt sich dann eine schöne Melodie dazu aus. Musiker Zouhar und Dichter Waterhouse, die sich noch nie zuvor gesehen haben, müssen sich nun zusammensetzen und ein gemeinsames Werk erschaffen. Dann haben beide ihr erstes Date miteinander.

„Wir hatten vorher einige E-Mails gewechselt. Wir haben uns also auf diese Weise schon gekannt. Ich hatte ihm bereits erklärt, was ich vorhatte. Deshalb kam es mir nicht so vor wie das erste Treffen“, sagt Zouhar.

Dem Endprodukt der beiden Künstler kann man dann während des Konzertes e.poesie lauschen. Doch bis es so weit ist, müssen Zouhar und Waterhouse viele Stunden lang miteinander Klänge ausprobieren, das Gedicht einsprechen, Lautstärken fein abstimmen und so weiter und so fort. Dichter und Musiker: Versucht da nicht der eine durchzusetzen, dass der Text die Hauptrolle spielt und der andere, dass die Musik im Vordergrund steht? Vít Zouhar verneint:

„Das war gar nicht der Fall. Wir haben uns in Olmütz getroffen. Peter Waterhouse ist dorthin gekommen und wir haben über seinen Text und meine Gedanken geredet. Von Anfang an lagen wir auf einer Wellenlänge. Und uns beiden war klar, dass ich die spezielle Stimmung, die schon in seiner Poesie steckt, vertonen werde.“

Während seines Auftritts sitzt Zouhar alleine auf einer Treppe am Bühnenrand. Der kleine Mann mit Glatze trägt weite, weiße Leinenklamotten: Auf seinem Schoß hat er den Laptop platziert. Anders als bei den anderen Künstlern fehlt hier der Dichter, Waterhouse. Vit Zouhar hat allerdings von Anfang an gewusst, dass Waterhouse nicht mit auf der Bühne stehen wird:

„Es stand fest, dass er am selben Abend in Frankreich sein muss. Wir haben das von Anfang an so konzipiert, dass wir gemeinsam seine Abwesenheit einplanen“, so der Tonkünstler vor dem Auftritt.

Dann geht es los: Auf einer Leinwand läuft eine Präsentation parallel zu Musik und Gedicht. Auf ihr flimmern immer wieder die Worte von Waterhouse auf, die der Dichter zuvor eingesprochen hat. Die Wörter drehen sich, sie verharren kurz an einer Stelle, dann gleiten sie wieder sanft ineinander über – ganz wie im Gedicht selbst. Zouhar selbst beschreibt die Stimmung als „hörbare Stille“.

Waterhouse reist in seinem Gedicht „Prosperos Land“ in ein rätselhaftes, sonnendurchflutetes Land. Alltagsdinge verwandeln sich, Bilder tauchen auf und wieder unter. Alles fließt. Zouhar untermalt diese launische Stimmung mit unnatürlichen Klängen. Hört sich an wie aus einer anderen Welt. Prosperos Land ist wie ein Gemälde von Dali - irgendwie unlogisch, aber schön. Für Zouhar sind Klang und Bedeutung nicht ganz gleichrangig:

„Gerade diese Gedichte von Peter Waterhouse sind so bedeutsam durch das, was sie erzählen“, erklärt er.

Wer in Prosperos Land eintritt, dem wird Vertrautes rätselhaft. Häuser drehen sich, Kinder rollen, die Wege kreisen wie Zeiger einer Uhr. Der Boden unter den Füßen ist nicht fest. Die Worte „Nacht“ und „Kirche“ kommen sehr oft vor. Es wirkte ein bisschen gruselig. Vít Zouhar findet aber, dass es mehr um die Klänge, um die Stille und das Gefühl der Nacht gehe.

Das Publikum scheint sich nicht ganz einig zu sein über das tschechisch-österreichische Fabrikat. Vielleicht hatten sie doch mit etwas mehr Mainstream gerechnet. Was bedeutet also dann für Zouhar elektronische Musik eigentlich?

„Das ist Im Grunde ein Begriffsproblem. Wenn man den Begriff ´elektronische Musik´ auf Deutsch, Tschechisch oder Englisch hört, denkt man zuerst an Techno.“

Elektronische Musik ist aber einfach Musik, die durch elektronische Klangerzeuger hergestellt und mit Lautsprechern wiedergegeben wird. In der elektronischen Musik begegnen sich zwei Welten: die künstlerische - die Musik und die wissenschaftliche – also die Physik. Vor mehr als 250 Jahren nutzte man bereits die Grundlagen der Elektrotechnik, um Musik zu machen. Es war übrigens der Tscheche Prokop Diviš, der damals das erste elektronische Musikinstrument gebaut haben soll: das Elektrophon. Auf ihm konnten angeblich Töne aller Blas- und Saiteninstrumente nachgeahmt werden. Bis heute haben sich unzählige unterschiedliche Richtungen in der elektronischen Musik herausgebildet.

Vit Zouhar kennt sich da besonders gut aus. Er unterrichtet an der Universität in Olomouc / Olmütz Musik und speziell das Fach „elektronische Musik“. Doch wie kommt ein Dozent und Wissenschaftler aus Tschechien dazu, an einem Poesiefestival teilzunehmen?

„Ich bekam eine Mail von Andreas Rocholl bekommen. Von Anfang an war ich total begeistert von der Idee, in einer Begegnung gemeinsam etwas zu entwickeln. Das fand ich total super! Das war der erste Grund. Und dann bin ich auf die Gedichte von Peter Waterhouse gestoßen und war doppelt begeistert.“ Am Ende des Konzertes bleibt immer noch eine Frage offen: Was bestimmt hier was? Die Worte die Musik oder die Musik die Worte? Eine Zuschauerin kann das für sich ganz klar entscheiden, sie ist nämlich Dichterin:

„Bei mir stand das Wort im Vordergrund - wie das Wort Anklänge findet in der Musik und wie die Musik wiederum auf das Wort reagiert. Das war mir wichtig.“

Vít Zouhar war nicht nur als Künstler aktiv auf der Bühne, sondern gleichzeitig auch Zuschauer.

„Ich war total begeistert. Ich fand es den ganzen Abend sehr vielschichtig, sehr spannend. Ein tolles Programm.“, schildert der gebürtige Brünner seine Erlebnisse als Publikumsgast seines eigenen Auftritts.

E.poesie - demnächst auch in Ihrem Wohnzimmer? Was meint wohl Kurator Rochholl dazu?

„Das Besondere an dieser Musik ist, dass sie nur hier in diesem Rahmen so klingt. Wenn ich sie zu Hause auf meinem Laptop mit zwei schlechten Boxen hören würde, wäre ich sehr enttäuscht. Diese Musik braucht gute Lautsprecher und einen Raum, in dem sie klingt. Deshalb höre ich sie hier sehr gerne.“

Autor: Julia Angelov
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