Erst gefeiert, dann namenslos beerdigt – Dichter und Revolutionär Karel Sabina

Karel Sabina

Karel Sabina ist heute vor allem dafür bekannt, dass er die Libretti der wichtigsten beiden Opern von Bedřich Smetana geschrieben hat – und weil er Spitzel der k. u. k. Staatspolizei war. Sein Schicksal entspricht auch diesem Bild. Er arbeitete sich zu einem anerkannten Publizisten und beliebten Dichter empor, starb aber vereinsamt als Verräter.

Karel Sabina
Juli 1872, in einem Haus im Prager Stadtzentrum findet ein seltsamer Gerichtsprozess statt: In der Wohnung des Juristen und Politikers Jan Kučera versammeln sich sieben selbsternannte Richter. Sie sind Redakteure der „Národní listy“ (Volksblätter), also eine der einflussreichsten Zeitungen im Königreich Böhmen. Zu ihnen gehören heute bekannte Schriftsteller wie Vítězslav Hájek und Jan Neruda. Das Urteil lautet: Der Spitzel und „Volksverräter“ Karel Sabina müsse Böhmen ein für alle Mal verlassen, im Austausch gegen die Zusage, dass die Zeitung seinen Fall nicht weiter ausschlachten werde. Der Angeklagte stimmt dem Ultimatum zu, trotzdem erfährt ganz Prag in den folgenden Tagen von seinem Fall.



Michal Charypar  (Foto: ČT24)
Was die Nationalisten damals als äußerst sündiges Verbrechen ahndeten, würde man heute mit mehr Nachsicht beurteilen. Karel Sabina arbeitete damals wirklich für die Geheimpolizei. Doch er tat es aus bitterer Not. Michal Charypar ist Literaturhistoriker an der Tschechischen Akademie der Wissenschaften.

„In den Geburtsmatrikeln ist Karel Sabina als uneheliches Kind eingetragen. Das gab zu vielen Legenden Anlass, die auch Sabina selbst verbreitet hat. Er wusste wahrscheinlich, dass sein offizieller Vater nicht der richtige war. Seine Mutter war eine arme Frau, die erst nach der Geburt von Karel einen ebenso armen Maurer heiratete. Karel verbreitete jedoch schon als Junge die Legende, dass sein Vater eigentlich ein polnischer Offizier namens Jablonski oder Jablonowski sei, ein ehemaliger Soldat der napoleonischen Armee.“

Schreiben für die Revolution

„Květy“
Sabina scheint begabt und redegewandt, daher schafft er es sogar aufs Gymnasium. Ein anschließendes Studium der Philosophie beendet er zwar nicht, doch freundet er sich dabei mit dem romantischen Dichter Karel Hynek Mácha an. Beide äußern sich sehr kritisch über die damaligen Zustände in der Habsburger Monarchie, die nach dem Wiener Kongress eine reaktionäre Politik betreibt. Sabina schreibt sowohl für deutsche Zeitschriften „Der Komet“ und „Der Deutsche Planet“, als auch für die tschechischen „Květy“ (die Blüten). Bald bekommt er es mit der Zensur zu tun, die Geheimpolizei verfolgt ihn auf Schritt und Tritt. Um der Beobachtung zu entkommen, zieht der Journalist 1838 nach Wien. Aber auch dort zeigt die Polizei kein Verständnis für Sabinas Zeitungsbeiträge, in denen er zur Revolution auffordert. Dann kehrt er nach Prag zurück und fördert die slawischsprachige Literatur, indem er die Werke von tschechischen, slowakischen und russischen Autoren ins Deutsche übersetzte. Seine politischen Überzeugungen gibt er jedoch nicht auf. 1848 gründet er mit weiteren Mitstreitern die „Radikaldemokratische Partei“, sie vertritt äußerst liberale bis sozialistische Ideen. Václav Vaněk von der Prager Karlsuniversität.

Václav Vaněk  (Foto: Archiv der Karlsuniversität in Prag)
„Die radikalen Demokraten waren der Meinung, dass sich die damals formierende tschechische Gesellschaft der revolutionären Bewegung Europas anschließen sollte. Dagegen wandten sich jedoch gemäßigte tschechische Politiker wie František Palacký oder Karel Havlíček Borovský, die eher ein langsames Vorgehen befürworteten. Die tschechische Gesellschaft sei noch zu jung und müsse viele innere Widersprüche überwinden, hieß es. Sabina wollte darauf aber nicht eingehen. Er war wahrscheinlich der einzige, der die Revolution von 1848 fortsetzen wollte, obwohl bereits klar war, dass ihr kein Erfolg beschieden sein wird.“

Verhaftet und in den Kerker geworfen

Sabina stand allerdings nicht auf den Barrikaden, er unterstützte die Revolution als Journalist. Im März 1848 konnten er und seine Berufskollegen feiern: In der Habsburger Monarchie wurde die Zensur aufgehoben. Unabhängige Zeitungen schossen wie Pilze aus dem Boden. Doch schon im Juni wurde die Revolution erstickt, als Marschall Alfred Windischgrätz die Kanonen auffahren ließ und Prag erstürmte. Die blutigen Ereignisse in den Gassen der Stadt beschrieb Sabina später im Roman „König Ferdinand V. – der Gütige“. Für ihn hatte die Niederschlagung der Revolution schlimme Folgen.

Einmarsch der Windischgrätz-Truppen 1848
„Sabina wurde während der Revolution zwei Mal inhaftiert, zunächst im Juni 1848 gleich nach dem Einmarsch der Windischgrätz-Truppen. Nach ein paar Monaten wurde er aber freigelassen, ohne dass es zu einer Gerichtsverhandlung gekommen war. Das war aber auch bei vielen anderen der Fall. Im Mai 1849 kam es erneut zum Versuch eines politischen Umsturzes, und wieder erfolglos. Die meisten Akteure einschließlich Sabina wurden festgenommen. Drei Jahre lang verbrachte Sabina in einer Einzelzelle auf der Prager Burg, bis der Gerichtsprozess begann. Die Anklage lautete auf Hochverrat, dafür drohte ihm die Todesstrafe. Er wurde aber vom Kaiser begnadigt und erhielt 18 Jahre Kerkerhaft“, so Michal Charypar.

Illustrationsfoto: Lauren J.,  Free Images
Sabina kam in die Kerker von Olomouc / Olmütz, die aber nicht so hart waren wie jene auf der Prager Burg. Die politischen Häftlinge wurden dort nicht wie Kriminelle behandelt, sie hatten gewisse Privilegien: Ihnen war unter anderem erlaubt zu schreiben, Bücher zu lesen und sogar selbst Essen zu kochen. Nach acht Jahren kam Sabina frei und konnte nach Prag zurückkehren. Doch mittlerweile war er mittellos.

„Nach seiner Freilassung galt Sabina nur als amnestierter Hochverräter, erst 1861 erhielt er alle seine Rechte als Bürger zurück. Durchgehend wurde er polizeilich streng überwacht, Sabina durfte zum Beispiel ohne vorausgehende Zustimmung nichts veröffentlichen. Einmal wurde er für drei Tage eingesperrt, weil er zum 50. Geburtstag des Prager Konservatoriums ein kurzes Gedicht über die Schönheit der Musik geschrieben hatte. Doch Sabina musste schreiben, um seinen Unterhalt zu bestreiten. Im Juli 1859 willigte er dann schließlich ein, die Polizei regelmäßig über die Aktivität der Opposition zu informieren. Die Überwachung hörte damit aber nicht auf. Im Gegenteil: Die Polizei überprüfte seine Meldungen. Sie wusste genau, wo er war und mit wem er Kontakte pflegte“, erläutert Charypar.

Auf Schritt und Tritt verfolgt

„Die Verkaufte Braut“
Von der monatlichen Belohnung in Höhe von 100 Gulden konnte Sabina zwar nicht reich werden, aber relativ gut leben. 15 Jahre lang war er als Polizeispitzel tätig. Zugleich arbeitete er in der Redaktion der „Národní listy“, hielt eine Rede bei der Grundsteinlegung für das Prager Nationaltheater und leitete die Zeitschrift „Der Slawe“. Daneben verfasste Sabina historische Romane, die von den Lesern und Kritikern sehr geschätzt wurden. Für den Komponist Bedřich Smetana schrieb er zwei Opernlibrettos: für „Die Brandenburger in Böhmen“ und für „Die Verkaufte Braut“. Die Bombe explodierte im Februar 1870. Die Wiener Zeitung „Das Vaterland“ schrieb, ohne Namensnennung, über einen Spitzel, der sich als tschechischer Patriot ausgeben würde. Die Details wiesen alle auf Sabina hin. Václav Vaněk:

„Über Sabinas Doppelrolle waren bereits in den 1860er Jahren Gerüchte aufgekommen. Nachdem sich diese bestätigt hatten, versammelten sich seine Kollegen aus der Redaktion der ‚Národní listy‘ und wollten die Sache in Ruhe begraben. Sabinas Auswanderung sollte den Fall lösen. Er fuhr auch tatsächlich weg, aber kaum war er in Dresden, verbreitete sich die Geschichte in Prag wie ein Lauffeuer. Sabina kehrte zurück, um sich gegen die Ehrverletzung zu verteidigen. Heute wissen wir aber, dass er nur seine eigenen Lügen verteidigt hat.“

Grab von Karel Sabina  (Foto: Wirtus,  GNU Free Documentation License,  Version 1.2)
Für Sabinas frühere Bekannte und Freunde war die Sache klar. Alle wandten sich von ihm ab, die Redaktion kündigte ihm. Der ehemalige Revolutionär konnte angeblich nur noch nachts auf die Straße gehen, um nicht gelyncht zu werden. Als er 1877 starb, kamen nur ein paar Familienmitglieder zu seiner Beerdigung. Und auf seinem Grab stand bis 1932 noch nicht einmal sein Name.

Autor: Jakub Šiška
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