EU-Berichterstattung an der Schnittstelle: deutsche Korrespondenten in Prag

Foto: Europäische Kommission

Die EU-Erweiterung war ein politisches Großereignis und über Wochen hinweg hervorstechendes Thema in der europäischen Berichterstattung. Für unsere Rubrik "Im Spiegel der Medien" haben wir uns mit den Augen deutscher Korrespondenten in Prag dem "Medienereignis EU" genähert. Daniel Satra im Gespräch mit dpa-Korrespondent Wolfgang Jung und ARD-Hörfunk-Korrespondent Christoph Scheffer.

Christoph Scheffer
Die Wochen vor der EU-Erweiterung am 1. Mai haben europaweit Redaktionen auf Trab gehalten. Schließlich sollten die Leser, Hörer und Zuschauer in den "alten" EU-Staaten etwas erfahren über die künftigen Neu-Mitglieder. Und auch bei den Neuen sollten Informationslücken gestopft werden rund um die Europäische Union, ihre Risiken und ihre Chancen - wie es oft hieß. Auslandskorrespondenten in Beitrittsstaaten standen nicht nur für Wochen bei heimischen Redaktionen höher als sonst im Kurs und wussten was daheim von drüben gern gelesen oder gehört wird. Sie konnten sich auch ein Bild von der anderen, in unserem Fall der tschechischen, Seite machen. Und was war diesseits und jenseits dieser bilateralen Schnittstelle zu beobachten? Wolfgang Jung, seit 1998 Korrespondent für die Deutsche Presse Agentur (dpa) in Prag:

"Grundsätzlich glaube ich, dass die meisten tschechischen Medien, die ich gesehen habe - also die größeren Tageszeitungen, öffentlich-rechtlicher Hörfunk und Fernsehen - sehr ordentlich und sehr neutral in den vergangenen Wochen über den bevorstehenden EU-Beitritt berichtet haben."

Wolfgang Jung
Keine Hurra-Stimmung, sondern eine gehörige Portion Skepsis sei in der Berichterstattung mitgelaufen, sagt Jung. Zum Teil sogar zu viel für Jungs Geschmack:

"Es gab bestimmte Tage, an denen ich mich über skeptische Artikel und böse Kommentare geärgert habe. Dennoch: Das ist nur eine Stimme in einem Chor von Berichterstattung, der meiner Meinung nach insgesamt sehr harmonisch war."

Wer sich über den EU-Beitritt und seine Folgen informieren wollte, der hatte dazu die Möglichkeit, sagt Jung. Zu erfahren war welche möglichen Folgen der Beitritt mit sich bringt, welche Auswirkungen die Tschechen im Alltag zu erwarten haben. Christoph Scheffer, ARD-Hörfunk-Korrespondent für Tschechien und die Slowakei ist noch etwas Anderes aufgefallen:

"In den Tageszeitungen fand ich es erstaunlich, wie weit der Serviceteil und die aktuellen Schlagzeilen auf der einen Seite und Kommentare auf der anderen Seite auseinander gefallen sind. Während in den Kommentaren sehr deutlich auf die historische Dimension des Ereignisses hingewiesen wurde, die Bedeutung dieses Ereignisses für die Tschechische Republik in einem breiteren Kontext erörtert wurde, - durchaus pro und contra, aber überwiegend sehr positiv - sind mir auf der anderen Seite Schlagzeilen aufgefallen, die den Menschen Angst gemacht haben."

Zum Beispiel habe die Tageszeitung Mlada fronta Dnes mit Berichten über einen vermuteten Preisanstieg bei Reis und Zucker Ängste geschürt. Kleinkrämerisch und populistisch nennt Scheffer eine solche Nachrichtenmache. Nachrichten allerdings, die deutsche Redaktionen aufhorchen ließen: Hamsterkäufe vor Tschechiens EU-Beitritt? Nach dieser tschechischen Zeitungsmeldung - die auch Jung für die dpa zitiert hatte - lief Scheffers Redaktionstelefon heiß.

"Ich habe dann gesagt, dass ich etwas Derartiges hier nicht beobachten kann. Und wenn ich einen Beitrag machen sollte, bräuchte ich O-Töne von Menschen aus dem Supermarkt, die sagen, dass sie schnell 20 Kilo Reis kaufen. Ich habe dann also gesagt, dass dieses Thema aus meiner Sicht überhaupt nicht existiert - auch wenn das eine tschechische Zeitung schreibt und die dpa daraus unter Berufung auf diese Zeitung eine Meldung macht."

Andere Themen, berichtet Scheffer, waren hingegen nicht so sehr gefragt:

"Ich wollte zum Beispiel den größten Europa-Fanatiker, Václav Havel, und den größten Europa-Kritiker in diesem Land, Václav Klaus, in O-Tönen und Originalaussagen als Collage gegenüber stellen, um zu zeigen, wie unterschiedlich man dieses Ereignis EU-Beitritt bewerten kann."

Vaclav Klaus
Kein Interesse am politischen Streit rund um das historische Datum, sagt Scheffer. Je näher der Beitrittstag rückte, des ruhiger wurde es um die kontroversen Themen der EU-Erweiterung. Die Vorstellungen der deutschen Kollegen gingen in eine deutlich andere Richtung:

"Je näher wir diesem 1. Mai gekommen sind, desto mehr habe ich gemerkt, dass man einfach wissen wollte: Wer kommt denn da? Zum Teil sehr naiv, bis hin zu Fragen: Was essen die Tschechen, was trinken die Slowaken? Es hätte nur gefehlt, dass gefragt wird: Wie viele Finger haben sie, wie viele Augen, wie viele Nasen? Es herrschte also erst einmal ein sehr grundsätzliches Interesse daran, wie die Menschen hier leben, was sie für Träume und Wünsche haben, wie ihr Alltag aussieht."

Das Interesse am Alltag, am Leben der Anderen, derjenigen, mit denen die Tschechen nun eine Europäische Union eingegangen sind, hat Scheffer auch in der tschechischen Berichterstattung beobachtet. Mit teils lustigen Zügen, wie der ARD-Mann sagt:

"Im Radiozurnal des Tschechischen Rundfunks gab es zum Beispiel jeden Tag ein EU-Land, fast eine halbe Stunde lang. Das war sehr lustig für mich, zu hören, wie dort Deutschland präsentiert wurde. Typisch deutsche Musik ist demnach Nena und Herbert Grönemeyer (lacht), und in der Sendung liefen die entsprechenden Titel. Und auch die Fragen: Was machen die Deutschen so, was mögen sie gerne? Das passierte mit allen 25 Ländern - also einfach dieses Hingucken, mit den Fragen: Was ist das überhaupt für ein Verein, dem wir dort beitreten, was sind dort für Menschen. Das hat sich also auch auf der tschechischen Seite abgespielt."

Der dpa-Mann Jung sagt, die Tschechische Republik steht in der Wahrnehmung deutscher Medien weit hinter Polen. Auch in den Tagen vor dem EU-Beitritt hätten andere Staaten größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Allen voran Zypern mit seiner gescheiterten Einigung. Doch Jung konnte die Kollegen in Deutschland immer wieder überraschen:

Foto: CTK
"Überraschungen gab es durchaus. Vor allem, wenn man sich drei Sachen vor Augen hält: Zum einen ist Prag die Hauptstadt, die in Europa Berlin am nächsten steht, nicht Warschau oder Kopenhagen - und das überrascht immer viele. Zweitens hat Deutschland seine längste Grenze nicht mit Polen, sondern mit der Tschechischen Republik - das ist für viele eine ganz große Neuigkeit. Und drittens ist die Tschechische Republik nach Luxemburg das einzige Land, das nur von EU-Mitgliedern umgeben ist."

Überraschungen und Fakten, die wohl beste Mischung, um die Ware Information an Mann und Frau in der deutschen Redaktion zu bringen. Nun, da der Tag der Erweiterung zur Vergangenheit gehört und die Berichterstattung ein wenig EU-verkatert andere Themen wieder gefunden hat, wie wird sich die Arbeit von Korrespondenten in den kommenden Jahren in Tschechien verändern? Welchen Einfluss wird das Thema EU auf die Berichterstattung nehmen? Wolfgang Jung:

"Als dpa-Korrespondent ist Neutralität in der Arbeitsbeschreibung festgelegt. Daher werde ich dieses Land weiterhin großzügig begleiten, in allen Dingen die es tut. Ob es das Erringen des Eishockey-Weltmeistertitel sein wird, oder ob es eine gute, eine mittlere oder eine schlechtere Rolle in der Europäische Union ist."

Bisher klar ist seit Mittwoch, dass Tschechien zumindest in diesem Jahr keinen Weltmeistertitel im Eishockey holen wird. Bisher noch unklar ist die Rolle Tschechiens in der EU. Aber ganz spurlos wird die EU mit ihrer neuen Themenlandschaft an Auslandskorrespondenten in Prag nicht vorbeigehen, ist sich Jung sicher:

"Das wird auch in Tschechien spürbar sein. Das heißt auch für meine Arbeit mit Sicherheit eine Veränderung. Ich bin sehr gespannt."