„Europaskeptische Wähler blieben zu Hause“ - Politologe Cabada zu Europawahlen
Das Ergebnis der tschechischen Europawahlen wirft einige Fragen auf: Wer ist der Gewinner? Was sagt das Ergebnis über die Einstellung der Tschechen zu Europa aus? Und wie lässt sich die extrem niedrige Wahlbeteiligung von 18,2 Prozent erklären? Antworten dazu und zu weiteren Fragen von Politologe Ladislav Cabada von der Westböhmischen Universität in Plzeň / Pilsen.
„Wir haben mindestens zwei große Gewinner: Die Ano-Partei hat bestätigt, dass sie im Moment ein etablierter politischer Akteur ist und dass man mit dieser so genannten politischen Bewegung auch in Zukunft rechnen muss. Auf der anderen Seite natürlich die konservative Partei TOP 09. Sie ist jetzt die klar stärkste Partei der politischen Rechten. Und sie hat nicht nur dieselbe Zahl von Mandaten errungen wie Ano, sondern auch fast dieselbe Stimmenzahl.“
Im Gegensatz zu den „alten“ EU-Mitgliedsstaaten wie Frankreich, Großbritannien oder Dänemark konnten europakritische oder extremistische Parteien in Tschechien keine nennenswerten Erfolge verbuchen. Sind die Tschechen doch europäischer, als oft gesagt wird?„Das würde ich nicht sagen. Die wichtigste Information ist natürlich die sehr geringe Wahlbeteiligung – weniger als zwanzig Prozent. Das ist schon eine unglaublich niedrige Zahl. Ich würde sagen, dass die europaskeptischen Wähler zu Hause geblieben sind, aber auch diejenigen, die die europäische Integration als unwichtigen Prozess betrachten. Dasselbe trifft auf einen großen Teil jener zu, die bei den vorigen Wahlen 2004 und 2009 für euroskeptische Parteien gestimmt haben – zumeist für die Kommunisten, aber auch für die Bürgerdemokraten.“
Wie erklären Sie sich das? Bei den letzten Europawahlen sind immerhin noch 28 Prozent der Wähler zu den Urnen gegangen – warum jetzt diese niedrige Wahlbeteiligung?„Ich würde sagen, wir haben zu viele Wahlen. Wir hatten die außerordentlichen Parlamentswahlen im vergangenen Herbst und die stark beachtete erste Direktwahl des Präsidenten Anfang vergangenen Jahres. Im Vergleich sind die Wahlen zum Europaparlament so unwichtig ausgefallen, dass die Wähler nicht gekommen sind. Es hatte fast niemand Lust, daran teilzunehmen.“
Sagt das etwas über die Einstellung der Tschechen zu Europa aus - oder eher zu Wahlen im Allgemeinen? In der Slowakei zum Beispiel war ja die Wahlbeteiligung mit 13 Prozent noch niedriger, und dennoch sind die Slowaken bekanntlich sehr europabegeistert….„Ich würde sagen, da gibt es zwei Ebenen: zum einen die gemeinsame antipolitische Laune in der tschechischen und vielleicht auch in der slowakischen Gesellschaft. Es gibt viele Menschen, die sich immer noch an die Zeit vor der Wende erinnern und auch das Recht haben möchten, nicht an den Wahlen teilzunehmen. Zu anderen lässt sich beobachten, dass die Menschen sehr stark ‚erstklassige‘ Wahlen wie die Präsidentschaftswahlen und vielleicht auch die Parlamentswahlen unterstützen, aber zu den Europawahlen nicht kommen, weil sie diese als zweitklassig empfinden. Ein anderer Punkt ist: Im gesamten öffentlichen Diskurs in Tschechien wird Europa eigentlich als etwas Fremdes dargestellt. Das seien Menschen, die weit entfernt von uns, irgendwo in Brüssel, leben würden und die mehr Macht und natürlich auch mehr Geld von uns bekommen möchten. Sowohl die Gesellschaft, als auch die Politiker und die Medien stellen dieses Bild eines fremden Europa dar, an dem man eigentlich nicht so stark teilhaben möchte.“
Wie bewerten Sie den Wahlkampf? Gab es Parteien, die einen europäischen Wahlkampf geführt haben? Oder stand eigentlich eher Tschechien im Vordergrund?„Wie auch bei den vorigen Wahlen 2004 und 2009 standen ganz klar innenpolitische Themen im Vordergrund. Das wichtigste EU-Thema war die Einführung des Euro. Aber man weiß schon sehr lange, dass die Mehrheit der Tschechen dagegen ist, und so war das weder ein neues noch ein besonders wichtiges Thema.“
War die gesamteuropäische Kandidatur von Martin Schulz oder Jean-Claude Juncker ein Thema hierzulande?
„Leider waren die Europäische Kommission und die Wahl ihres Präsidenten keine Themen in der öffentlichen Debatte. Zwar tauchten sie bei einigen Diskussionen innerhalb der Parteien oder in den elektronischen Medien auf, aber daraus ergab sich kein Thema für die breite Bevölkerung.“Sind tschechische Politiker von Format in den Europa-Wahlkampf gegangen?
„Nein – mit zwei Ausnahmen: Der Chef der Partei der freien Bürger, Petr Mach, wird überraschenderweise ins Europaparlament einziehen. Und zweitens Jiří Pospíšil, der ehemalige ODS-Politiker, der auf Listenplatz zwei für die Partei TOP 09 kandidiert hat und eine große Zahl von Präferenzstimmen bekommen hat.“
Was bedeutet das Wahlergebnis für die weitere tschechische Europapolitik? Ein tschechischer Kommentator schrieb, es gebe den tschechischen Politikern ein starkes Mandat zur europäischen Zusammenarbeit und nicht zum Querulantentum…„Dem stimme ich teilweise zu. Die drei Wahlsieger, die zwölf der 21 tschechischen Mandate bekommen haben, sind Mitglieder der wichtigsten Fraktionen im Europaparlament. Und alle diese Fraktionen sind europa-positiv. Das heißt, die tschechische Politik dürfte in den kommenden fünf Jahren wirklich eine positivere Haltung zu europäischen Themen einnehmen.“
Wie erklären Sie sich, dass extrem europafeindliche und nationalistische Parteien - die gab es ja unter den 38 Parteien, die in Tschechien zur Wahl angetreten sind - letztlich so schwach abgeschnitten haben?„Ich würde sagen, das ist auch eine Frage der Persönlichkeiten. Einige dieser Parteien wurden von Politikern geführt, die schon länger in der tschechischen Politik tätig sind und kein wirklich neues Gesicht bieten. Aber mindestens eine dieser euroskeptischen Parteien ist eben doch mit Erfolg aus den Wahlen hervorgegangen: die erwähnte Partei der freien Bürger von Petr Mach. Sie hat es von rund drei Prozent bei den vergangenen Parlamentswahlen auf über fünf Prozent geschafft und erhält dafür ein Mandat für das Europaparlament. Daher würde ich nicht allgemein sagen, dass die anti-europäischen Parteien ohne Erfolg geblieben sind.“