Filmregisseur Dusan Klein erinnert sich an "sein" Jahr 1968
Wer den tschechischen Filmregisseur Dusan Klein nicht gekannt hat, der konnte bei uns vor zwei Wochen einiges von ihm selbst über sein Leben und Schaffen erfahren. Der zweite Teil seiner Erzählung hat ein aktuelles Leitmotto: 1968 - das Umbruchsjahr im Leben vieler Tschechen. Dusan Klein war keine Ausnahme.
Er habe gerade einen neuen Film vorbereitet, eine Tragikkomödie mit dem Titel "Virtuosi di Praga", so der Regisseur. Das Drehbuch war bereits fertig: Ein älterer Doktor der Philosophie, vor Jahren aus ideologischen Gründen von seinem Posten gefeuert, arbeitet bei einer Baufirma als Buchhalter. Ein frisch gebackener Architekt, der in die Firma kommt, erinnert ihn sehr an seine eigene Jugendzeit, als er so ähnlich war - unangepasst, ein Mensch von Prinzip und daher nicht ohne Probleme.
Um nachträglich zu erforschen, wie sich sein Leben hätte entwickeln können, wenn sein Verhalten anders gewesen wäre, entscheidet er sich für ein Experiment. Der junge Mitarbeiter soll ihm als Versuchsperson dienen. Der Buchhalter steuert die Karriere des jungen Mannes - über Parteimitgliedschaft, Schließung einer Vernunftehe und Ähnliches. Nachdem aber der junge Streber die Karriereleiter erklommen hat, feuert er als ersten seinen Wegbegleiter, den Buchhalter, der zuviel über seinen Berufsstart weiß.
Der Film "Virtuosi di Praga" konnte aber nicht mehr gedreht werden. Das Jahr 1968 mischte für viele Menschen die Karten ihres persönlichen Lebens neu. Dusan Klein hat vorerst schöne Pläne geschmiedet:
"Meine Frau reiste im Frühjahr mit dem Theater Laterna Magica zu einer sechsmonatigen Tournee nach Texas. Ich blieb in Prag mit unserem vierjährigen Sohn Dusan. Wir haben mit meiner Frau ausgemacht, dass sie in den USA Geld sparen wird, damit wir uns ein Auto kaufen können. Meine Aufgabe war, den Führerschein zumachen."
Dusan Klein wollte in die USA fliegen, um dort einen Urlaubsmonat mit seiner Frau zu verbringen. Ihre Texas-Tournee neigte sich langsam dem Ende zu und so hatte er es eilig. Beim ersten Treffen mit einem Fahrschullehrer am 20. August 1968 musste der Filmregisseur zunächst in elementare Dinge eingeführt werden:"Er zeigte mir, wo sich das Lenkrad, die Bremse, die Kupplung und das Gaspedal befinden und wie sie funktionieren. Am nächsten Tag sollte ich zur ersten Übungsfahrt kommen. Diese fand aber nicht statt. Die Straßen waren bereits voller anderer Fahrzeuge - den russischen Panzern. Meine Frau telefonierte jeden Tag aus Amerika, weil sie im Fernsehen dramatische Bilder aus Prag sah. Ich muss gestehen, dass ich selbst der Angst einer möglichen Rückkehr des Antisemitismus unterlag. Da ich zu dem Zeitpunkt bereits eine Reisegenehmigung besaß, packte ich die Koffer und gerade am Tag, als man die Reden von Parteichef Husak und Präsident Svoboda nach ihrer Rückkehr aus Moskau ausstrahlte, saß ich mit meinem Sohn im Zug, der in Richtung österreichische Grenze fuhr. Es war mir bald klar, dass alle Passagiere künftige Emigranten waren. Im Zug herrschte aber eine angespannte Atmosphäre, weil wir Angst davor hatten, wie es an der Grenze ablaufen würde. Die tschechischen Grenz- und Zollbeamten kontrollierten aber niemanden und ließen alle durch."
Gleich danach knallten die Korken und man stieß auf das neue Leben in Freiheit an, erinnert sich Dusan Klein. Nur kurze Zeit blieb er mit seinem Sohn in Wien, denn zusammen wollten sie nach Paris, wo das Treffen mit der Ehefrau vorgesehen war. Dahin zu kommen war für die beiden - den Vater und den Sohn - ein wahres Abenteuer. Ihre Reisestationen waren Salzburg, Frankfurt und schließlich Pforzheim, wo der Regisseur einige Bekannte hatte:
"An einem Abend saßen wir im Hotel "Zweck" beim Bierchen, der Kleine hat bereits geschlafen. Einer fragte mich, warum wir nicht lieber mit dem Auto fahren, wenn der Zug so teuer ist. Ich hatte ja aber kein Auto. Kein Problem, sagte der Freund, in der Garage habe ich einen Fiat 600, für 200 Mark kannst du ihn haben. Ich lachte bloß, aber nach dem fünften Bier habe ich ja gesagt, auch gleich bezahlt, es bis morgen aber vergessen. Am nächsten Tag hupte das kleine Auto vor dem Hotel. Übers Wochenende hat man mir dann das Fahren beigebracht und am Montag haben wir uns mit dem Kleinen auf den Weg Richtung Paris gemacht."
Immer noch ohne Führerschein, wohl gemerkt. Es sei auch gesagt, dass bei der Autofahrt nach Paris kein Unglück passierte und beide, wohl durch ein Wunder, gut ankamen. Es sei sehr gewagt und höchst unverantwortlich von ihm gewesen, sagt Dusan Klein heute.
Einige Wochen später reiste die komplette Familie Klein von Paris nach Antwerpen in Belgien, wo Kleins Cousin lebte. In Belgien wartete schon sein Führerschein auf ihn, genauer gesagt ein "Schein-Führerschein", um den er seinen Prager Fahrlehrer in einem Brief und gegen Entgelt gebeten hatte. Schließlich hatte er das Autofahren in der Praxis gelernt!
Nun mussten Dusan Klein und seine Frau Klara - wie viele Tschechen allerdings - die prinzipielle Frage der Emigration lösen. Dabei mussten sie dies und jenes berücksichtigen:"Ich wollte nicht in die USA emigrieren, es schien mir zu weit weg. Gefühlsmäßig wollten wir lieber in Europa bleiben. Hinzu kam auch, dass wir unsere Mütter in Prag hatten und beide waren damals krank, deswegen wollte ich lieber auf kleinere Distanz fern bleiben."
Die Kleins landeten in Deutschland, wo der Filmregisseur einen Job in der Filmbranche suchte. Und das war recht schwer:
"Im ZDF hat man mir angeboten, Kisten zu schleppen. Einige Zeit, das muss ich gestehen, habe ich auch als Pornofilm-Vorführer in einer Bar gearbeitet. Wenn Sie schon ein Filmregisseur sind, dann können Sie das machen, sagte mir der Barinhaber. Ich dachte, dass ich die Pornofilme wenigstens selbst drehen werde, aber ich durfte sie nur zeigen."
Das habe er zwei Monate gemacht, dann sei er zusammengebrochen, sagt Dusan Klein. Psychische Probleme hatte auch sein kleiner Sohn. Vor Weihnachten 1969 kehrte die Familie in die Tschechoslowakei zurück. Hierzulande sollte aber schon bald eine neue "Ära" beginnen - die so genannte Normalisierung. Wie viele andere Filmregisseure stand auch Klein nun vor einem Dilemma: Entweder konnte er politisch motivierte Filme machen und sich kompromittieren, materiell aber gesichert sein, oder er gab dem Zwang nicht nach und nahm damit viele Probleme in Kauf. Dusan Klein fand für sich einen "Mittelweg": Er drehte Kriminalfilme. Den politischen Zwängen auszuweichen, war für ihn aber nicht der einzige Grund, warum er Kriminalfilme zu drehen begann:
"Der zweite Grund, muss ich sagen, war, dass ich dieses Genre sehr gerne habe. Man muss auch dafür bestimmte Professionalität vorweisen: Die Geschichten müssen gut aufgebaut sein und einen logischen roten Faden haben. Diese Filme haben mir Spaß gemacht."Auch diese Filme blieben vor der Schere der Zensur nicht verschont, darüber kann der Regisseur kuriose Geschichten erzählen. Mit diesem Genre verbinden heute jedenfalls viele Kinofans oder Fernsehzuschauer seinen Namen. Allerdings auch mit einer ganzen Reihe von Filmkomödien. "Wie die Dichter ihre Illusionen erlieren", "Wie das Leben den Dichtern schmeckt", "Wie die Welt die Dichter verliert", "Das Ende der Dichter in Böhmen" - das sind nur einige Titel der Streifen, in denen der Regisseur und Drehbuchautor das Schicksal einer Gruppe junger Menschen vom Gymnasium über die Hochschule bis hin in das Berufsleben "auf eigenen Beinen" verfolgte. Beim tschechischen Publikum waren diese Filme sehr beliebt. Besonders für die ersten, die noch vor der Wende entstanden, stand man Schlange an.
Man hat den Eindruck, dass alle tschechischen Schauspieler bereits irgendwann in Dusan Kleins Filmen gespielt haben - die bekannten ganz bestimmt. Abschließend deswegen eine grundsätzliche Frage: Welchen tschechischen Film hat er am liebsten?"Zweifelsohne denselben, den die ganze Nation liebt: "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" mit Libuse Safrankova, Wir waren doch alle in sie verliebt."
2001 drehte Klein einen Märchenfilm mit dem Titel "Elixier und Halibela". Die Titelrolle der Hexe Halibela, übrigens einer hübschen Hexe, spielte die beliebte Libuse Safrankova!