Fließend Wasser und eine Berufsschule für Gerber: Tschechiens Hilfe in Äthiopien immer wichtiger

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Fließendes Wasser in Dörfer leiten, in denen die Bewohner diesen Luxus bisher nicht hatten: Dies ist ein Erfolg, auf den die Entwicklungszusammenarbeit Tschechiens in Äthiopien verweisen kann. Ein anderer ist die Ausstattung einer Berufsschule für Gerber. Äthiopien ist eines der Programmländer des tschechischen Außenministeriums. Fast ein Drittel der Einwohnerschaft des Landes lebt unter der Armutsgrenze, und die Bevölkerungszahl wächst schnell an. Neben strukturellen Herausforderungen, wie Armut und Arbeitslosigkeit, hat das Land mit einem weiteren Problem zu kämpfen: den Folgen des Klimawandels nämlich, der vor allem von den entwickelten Ländern verursacht wird. Äthiopien ist der zweite Stopp unserer Serie „Wie Tschechien im Ausland hilft“.

Landwirtschaft, die Erschließung von Wasserquellen und Bildung – dies sind die drei wichtigsten Bereiche für Tschechiens Entwicklungszusammenarbeit mit Äthiopien. Das ostafrikanische Land ist eines der sechs Fokusländer des tschechischen Außenministeriums. Grund dafür ist die dort herrschende Armut. Sie ist die Folge einer komplexen Krise, die sich aus dem Klimawandel ergibt, aus internationalen Konflikten und aus der Corona-Pandemie, aber auch aus den ethnisch-politischen Auseinandersetzungen im Land selbst.

Äthiopien | Foto: Štěpánka Budková,  Radio Prague International

Mit 102 Millionen Menschen hat Äthiopien die zweitgrößte Bevölkerung aller afrikanischen Staaten und ist zudem das Land mit der höchsten Zahl an aufgenommenen Flüchtlingen. Ein Fünftel der Einwohner muss täglich humanitäre Hilfe in Anspruch nehmen, die Analphabetenquote liegt bei über 50 Prozent. Im Index der menschlichen Entwicklung von 2021 nimmt Äthiopien Rang 175 von insgesamt 191 ein.

Angesichts dieser Daten sei die Hilfe Tschechiens im Land langfristig angelegt, sagt Barbora Ludvíková von der NGO Člověk v tísni (Mensch in Not) im Gespräch mit Radio Prag International:

 Barbora Ludvíková und Martin Šefr in Äthiopien | Foto: Česká rozvojová agentura

„Unsere Unterstützung wird immer wichtiger, und dies gilt leider auch für die humanitäre Hilfe. Vor allem in diesem Bereich legen wir zu, was uns natürlich keine Freude bereitet. Aber so ist die Realität.“

Wie Ludvíková anfügt, ist Äthiopien eines der wenigen Länder, in denen Tschechiens größte Hilfsorganisation Člověk v tísni sowohl humanitäre Unterstützung leiste als auch entwicklungspolitische Projekte umsetze. Dies gilt etwa für die Region Tigray, in der bis vor kurzem noch Bürgerkrieg herrschte. Die Hauptaktivitäten von Člověk v tísni fokussieren jedoch auf den Süden des Landes. Warum, erklärt der Afrika-Regionaldirektor der NGO, Richard Walker:

 Tschechische Hilfe in Äthiopien | Foto: Česká rozvojová agentura

„Zweifelsohne sind wir dort als der wichtigste Akteur anerkannt innerhalb der Arbeit von internationalen NGOs in diesen Regionen. Wir konzentrieren uns auf den Südteil des Landes, denn der Norden bekommt eine große Menge an Finanzen und Unterstützung. Im Süden ist dies nicht der Fall. Darum hat unsere Arbeit eine recht starke Wirkung.“

Für eine effektive Entwicklungszusammenarbeit sei der persönliche Kontakt zur Bevölkerung wichtig, erläutert Barbora Ludvíková. Člověk v tísni würde sich dadurch auszeichnen, dass seine Mitarbeiter direkt in den Kommunen vor Ort seien. Zudem werde die Zuverlässigkeit der Organisation geschätzt:

 Tschechische Hilfe in Äthiopien | Foto: Česká rozvojová agentura

Wir versuchen, keine unrealistischen Erwartungen zu wecken. Denn wir wissen, dass es nicht gut ist, etwas zu versprechen und es dann nicht zu halten. Darum schätzen uns die dortigen Regierungsinstitutionen. In den Kommunen arbeiten wir direkt mit den Bauern zusammen. Es geht also nicht allein um eine Unterstützung auf höherer Ebene, bei der wir nur mit den Ämtern kommunizieren würden. Darum hätte ich auch keine Bedenken, jede einzelne Person, der unsere Hilfe gilt, offen nach ihrer Meinung zu unserer Arbeit zu fragen. Ich denke, jeder Befragte könnte ein konkretes Beispiel anführen, wie wir ihm geholfen und sein Leben verbessert haben.“

Das Ziel sei, fährt Ludvíková fort, dass die individuelle Hilfe zu weiterer Eigeninitiative und damit zur Entwicklung der ganzen Kommune führe…

„Der größte Erfolg für uns ist nicht, wenn es dem einen Bauern besser geht, mit dem wir direkt zusammenarbeiten. Sondern wenn sich auch die Lage seines Nachbarn verbessert – eben weil dieser sieht, dass der erste Bauer durch die Arbeit mit uns gute Ergebnisse hat. Sie erkennen dann, dass es allgemein für die Gemeinde nützlich ist, etwas zu verändern.“

Foto: Česká rozvojová agentura

Rückgewinnung von erodiertem Boden

Die Landwirtschaft ist der wichtigste Bereich, in dem sich Člověk v tísni in Äthiopien engagiert. Und dies betrifft nicht nur die praktische Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Menschen vor Ort. Ein wichtiger Aspekt sei auch die Bildung, betont Richard Walker:

Foto: Štěpánka Budková,  Radio Prague International

„Seit vielen Jahren konzentrieren wir uns auf den Umgang mit den lokalen Rohstoffen. Nicht nur angesichts der Trockenheit, sondern allgemein in der Ausrichtung der Entwicklungsprogramme geht es darum, sich auf die  Folgen des Klimawandels einzustellen. Konkret heißt das, in ganzen Tälern und Regionen erodierten Boden zurückzugewinnen. Zudem haben wir eine enorme Infrastruktur zur Wasserversorgung und -aufbereitung aufgebaut. Dazu wurden entweder öffentliche Ausschreibungen oder humanitäre und entwicklungspolitische Programme genutzt. Und außerdem sind wir wahrscheinlich einer der größten Akteure in Fragen der Bildung. Wir betreuen mehrere Hunderttausend Schüler, haben Programme für inklusives Lernen oder ermöglichen Mädchen den Schulbesuch.“

Foto: Štěpánka Budková,  Radio Prague International
 Tschechische Hilfe in Äthiopien | Foto: Česká rozvojová agentura

„Leave No Girl Behind“ (Lass kein Mädchen zurück) heißt das dazugehörige Projekt. Daneben hilft Člověk v tísni auch bei der Berufsausbildung. In der Stadt Mojo, etwa 60 Kilometer südlich der Hauptstadt Addis Abeba, unterstützt die NGO den Handwerkernachwuchs in der Lederindustrie und tut damit auch etwas gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Für die lokale Gerberschule hat Tschechien sowohl die Ausstattung organisiert als auch die Ausbildung der Lehrer. Schuldirektor Ato Abinet:

Foto:  Člověk v tísni

„Dank der Unterstützung statten wir unsere Schüler mit den nötigen Fähigkeiten aus. Dadurch können sie dann ihr eigenes Unternehmen gründen oder Arbeit in einer Firma finden. Dies hat einen positiven Effekt auf die gesamte Gemeinde, denn das Bildungsprojekt wirkt als Inspiration. Außerdem hilft es der Lederindustrie in unserer Stadt, denn viele junge Menschen sind arbeitslos. Durch die Hilfe aus Tschechien erwarten wir, dass nun mehr junge Leute einen Job in der Lederverarbeitung finden.“

Ausdauer und Nachhaltigkeit

Člověk v tísni ist bereits seit 20 Jahren in Äthiopien aktiv. Erst Ausdauer und Nachhaltigkeit würden Entwicklungsprojekte zu Erfolgen führen, bekräftigt Martin Šefr von der Tschechischen Entwicklungsagentur (ČRA):

 Tschechische Hilfe in Äthiopien | Foto: Česká rozvojová agentura

„Es ist von großem Vorteil, wenn eine Organisation wie Člověk v tísni längere Zeit vor Ort ist. Unsere einzelnen Wirkungsbereiche ändern sich nicht sehr häufig, und es dauert ziemlich lange, bis sich eine lokale Gemeinde an das neu Eingeführte gewöhnt und die langfristigen Ergebnisse zutage treten. Ideal ist es, wenn sich ein Programm in mehrere Phasen aufteilen lässt und dadurch 15 oder 20 Jahre lang läuft. Kontinuität ist also wichtig. Es ist toll, wenn man an einen Ort kommt, an dem ein Projekt durchgeführt wurde, und nicht nur sieht, wie die Leute Verbesserungen umsetzen, sondern dies auch an andere Gemeinden weitertragen. Dadurch multipliziert sich ein Projekt von allein, ohne dass wir nachhelfen. Der Weg dorthin ist allerdings lang und steinig.“

Wiederherstellung der Landschaft | Foto: Člověk v tísni

Die vom Außenministerium betriebene ČRA konzentriert sich in Äthiopien auf zwei Bereiche. Das sind zum einen Landwirtschaft sowie die Entwicklung der ländlichen Gebiete und zum anderen der nachhaltige Umgang mit den natürlichen Rohstoffen. Für Letzteres werden vor allem Wasserleitungen verlegt. Martin Šefr:

„Dabei handelt es sich um abgeschnittene Orte. Wir können ihnen Wasser liefern, das es dort zuvor nie gegeben hat. Wir haben nun die Möglichkeiten, es dorthin zu transportieren. Als wir eines dieser Dörfer besuchten, waren alle sichtbar begeistert darüber, dass es diese Projekte gibt. Fließendes Wasser ist für die Menschen dort eine ganz neue Dimension. Es ist sehr schön zu sehen, dass Entwicklungsprojekte so etwas ermöglichen.“

 Tschechische Hilfe in Äthiopien | Foto: Člověk v tísni

Ebenso wie die Experten von Člověk v tísni meint auch Šefr, dass kein Projekt erfolgreich sein kann, wenn es nicht eine Nachfrage direkt aus dem Zielland gibt. Darum müsse schon bei der Vorbereitung eng mit den lokalen Verwaltungen und auch mit der äthiopischen Regierung zusammengearbeitet werden, so Šefr:

„Im Vorfeld eines Projektes gibt es immer eine Studie, die die Bedürfnisse der Bewohner in dem betreffenden Gebiet erhebt. Danach wird das Vorhaben natürlich mit den zuständigen Organen der Staatsverwaltung koordiniert. Damit werden die Zielgruppen schon in die Projektvorbereitungen einbezogen.“

Foto: Člověk v tísni

Da somit alle Seiten zusammenarbeiten, würde eine größtmögliche Nachhaltigkeit für das jeweilige Projekt erreicht, ergänzt Šefr. Sowohl der Leiter der Äthiopien-Sektion der ČRA als auch die Mitarbeiter von Člověk v tísni waren sich im Gespräch mit Radio Prag International einig, dass der größte denkbare Erfolg ihrer Entwicklungsarbeit in dem ostafrikanischen Land wäre, wenn keine Hilfe aus Tschechien mehr nötig wäre. Die aktuelle Lage vor Ort zeige aber leider den entgegengesetzten Trend und weise auf einen immer stärkeren Bedarf an Finanzmitteln hin.

Partner des tschechischen Außenministeriums bei der Entwicklungszusammenarbeit in Äthiopien:

Česká rozvojová agentura, ČRA (Tschechische Entwicklungsagentur):

Seit 2008 finanziert die staatliche Agentur, die direkt dem Außenministerium unterstellt ist, vor allem bilaterale Entwicklungsprojekte und humanitäre Hilfe in anderen Ländern. Dabei arbeitet sie mit Verwaltungsorganen, NGOs, Universitäten und weiteren Forschungseinrichtungen sowie mit dem Privatsektor zusammen.

Člověk v tísni (Mensch in Not):

Tschechiens größte nicht-staatliche Hilfsorganisation nahm ihre Arbeit 1992 als Stiftung für humanitäre Hilfe in Kriegsgebieten auf. Heute haben auch Entwicklungszusammenarbeit, Bildungsprogramme und Hilfsangebote für Bewohner strukturschwacher Regionen in Tschechien einen wichtigen Platz in der Strategie der NGO. Bisher hat die Organisation Projekte in über 50 Ländern der Erde umgesetzt. In Tschechien organisiert sie zudem jedes Jahr das Dokumentarfilmfestival zu Menschenrechtsthemen, „Jeden svět“ (Eine Welt).

Autoren: Daniela Honigmann , Martina Kutková
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