František Kupka – vom Sattlergesellgesellen zum Erfinder der abstrakten Malerei

František Kupka

František Kupka – geboren als Tscheche, später wohnhaft in Frankreich, durch sein Schaffen ein Europäer - ist in der Kunstgeschichte nur schwer einer Stilrichtung in der Malerei zuzuordnen. Dennoch gilt er als Pionier der abstrakten Malerei. Seinem Leben und Werk gilt unser heutiger Kultursalon, in dem auch der Künstler selbst zu Wort kommt - dank einer Archivaufzeichnung des Tschechoslowakischen Rundfunks aus dem Jahr 1946.

František Kupka | Foto: public domain
Er sei von Kindheit an ein Einzelgänger gewesen und habe eine traurige Jugend gehabt. So charakterisiert sich Kupka selbst in seinen Memoiren. Geboren wird der Künstler am 23. September 1871 im ostböhmischen Opočno. Mit 13 Jahren muss er auf Wunsch seines Vaters in eine Lehre zum Sattler gehen. Er hat aber Glück. Der Bürgermeister des Ortes Dobruška, in dem die Familie später lebt, entdeckt sein Talent und überzeugt Kupkas Vater, dem Sohn ein Kunststudium zu ermöglichen.

Mit dem Lehrbrief des Sattlergesellen beginnt František Kupka 1889 eine Ausbildung an der Prager Kunstakademie, im Atelier für Historienmalerei. Dort gehört er zu den talentiertesten Schülern, lebt jedoch in großer materieller Not. Kupka gibt deswegen Nachhilfeunterricht und fungiert als Medium bei spiritistischen Sitzungen. Nach dem Abschluss in Prag nimmt er ein Studium an der Kunstakademie in Wien auf. Allerdings zieht es ihn nach Paris, wo er sich auch 1895 niederlässt. Seine künstlerische Laufbahn beginnt Kupka als Karikaturist, Modezeichner, Plakatmaler und Buchillustrator. 1904 begegnet er seiner künftigen Frau Eugénie Cecile Straub und zieht mit ihr in den Pariser Vorort Puteaux, wo er sich bewusst abseits vom Pariser Kunstbetrieb hält.

„Die Scheiben des Newton“
Nach der Wende zum 20. Jahrhundert vollzog sich eine entscheidende Entwicklung in Kupkas Schaffen. Als erster Künstler in Frankreich geht er den Weg vom Jugendstil zur Abstraktion. Von ausschlaggebender Bedeutung ist für ihn Marinettis „Manifest des Futurismus“, das 1909 in „Le Figaro“ erscheint. Kupka sucht intensiv nach einer neuen Ausdrucksweise. Inspiration findet er unter anderem in den optischen Farbenstudien von Isaack Newton, er beginnt selbst mit Farbenspektren zu experimentieren. Das Resultat sind Bilder mit dem Sammelbegriff „Die Scheiben des Newton“.

Um das Jahr 1910 wurde Kupka in einen Kreis von Malern eingeführt, dem unter anderen Marcel Duchamp, Robert Delaunay oder Fernand Léger angehörten. Neben Formproblemen des Kubismus und Futurismus hat man in der Künstlergruppe auch die Zusammenhänge von Malerei und Musik diskutiert. Hierzu ein Zitat von František Kupka:

"Ich glaube, dass ich etwas finden werde, das zwischen Sichtbarem und Hörbarem liegt, (….) eine Figur aus Farben, wie Bach sie aus Tönen geschaffen hat.“

„Amorpha,  Fuge in zwei Farben“,  NG Praha
Diese Worte setzte Kupka 1912 künstlerisch um. Beim Pariser „Herbstsalon“ (Salon d'Automne) zeigte er zwei abstrakte Bilder mit den Titeln „Amorpha, Fuge in zwei Farben“ und „Amorpha, warme Chromatik“, die Aufsehen erregten. Einer der Pariser Kritiker schrieb damals ironisch in seiner Rezension, Zitat:

„Wir wissen, was ein warmer Kräutertee oder eine Suppe ist, was ist aber eine warme Chromatik?“

Die beiden abstrakten Bilder, die ersten, die je öffentlich ausgestellt wurden, lösten damals heftige Diskussionen unter den Pariser Malern aus. Kupka sah dies später folgendermaßen:

Guillaume Apollinaire
„Einerseits wurde ich beschimpft und andererseits gelobt. Kurz danach tauchten aber auch Anhänger des neuen Kunststils auf, genauer gesagt Nachahmer, die daran interessiert waren, sagen zu können, sie seien die Erfinder. Daher taten sie alles Mögliche dafür, mich zur Seite zu schieben, um sich selbst zu etablieren.“

Nach seiner Präsentation beim Herbstsalon 1912 löste sich Kupka endgültig vom Gegenständlichen. 1912 stellte erstmals auch die neu gegründete Künstlergruppierung „Section d'Or“ (zu Deutsch Goldener Schnitt) in Paris aus. Unter den Werken von insgesamt 31 Künstlern war auch Kupka vertreten. Aufgrund ihrer Nähe zur Musik schuf der Dichter Guillaume Apollinaire für sie in Anlehnung an den mythischen Sänger Orpheus den Begriff „Orphismus“. Über Kupkas Bilder soll Apollinaire gesagt haben, Zitat:

„Es ist eine Kunst, neue Strukturen mit Elementen zu malen, die nicht der visuellen Realität entstammen. Kreiert wurden die Strukturen allein vom Künstler, der ihnen wiederum viel Reales verliehen hat.“

„Selbstbildnis“
Weil aber Kupka prinzipiell gegen jede Kategorisierung war, lehnte er den von Apollinaire geprägten Begriff ab. Damit verdarb er es sich mit dem namhaften Dichter, der von da an nichts mehr über Kupka schrieb. Dem Eigenbrötler haftete seitdem das Stigma der Nichtzugehörigkeit an. Kupka selbst beschrieb seine Kunstauffassung auf folgende Weise:

„Die Kunst entspringt der Seele eines jeden Menschen sowie seinen Gefühlen und wird daher mittels verschiedener Instrumente immer bestehen bleibt. Es kann auch sein, dass man künftig nicht mehr malen wird. Vielleicht werden sogar neue mechanische Mittel erfunden, mit deren Hilfe den Mitmenschen die Gefühle nur noch in einer Art und Weise vermittelt werden, wie es mithilfe der Telepathie geschieht. Etwa so, dass der Mensch seine Gedanken, seine Meinung oder aber vielleicht auch seine Gefühle vermitteln kann, ohne die Sprache zu verwenden.“

Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete sich Kupka freiwillig an die Front, von der er aber bald wegen einer Verletzung wieder abgezogen wurde. Anschließend entwarf er Uniformen und Medaillen für die autonome tschechoslowakische Armee in Frankreich, die sogenannte Tschechoslowakische Legion. Nach dem Krieg nahm er vorübergehend eine Professur an der Akademie der Künste in Prag an und wurde auch nach seiner Rückkehr nach Paris als Gastprofessor seiner Alma Mater weiter bezahlt. Ab 1923 kümmerte sich Kupka um tschechische und slowakische Stipendiaten an der Pariser Akademie der Künste, er hielt für sie Vorträge über die französische Geschichte und Kultur. 1939 verließ das Ehepaar Kupka Paris und weilte bis 1945 bei Verwandten in Beaugency. In dieser Zeit malt der Künstler nur noch sporadisch.

„Welle“
In seinem Rundfunkvortrag von 1946 konstatierte František Kupka mit Genugtuung, dass seine „Anhänger“ im selben Jahr den „Salon des Réalités Nouvelles“ gegründet hatten. Der Künstlergruppe brachte er Achtung entgegen, wie er anlässlich einer Ausstellung seiner Werke in Prag im Radio erläuterte:

„Sie hat alle Etikettierung abgeschafft, die man bisher in der Kunst für die Abbildung von Gegenständlichem verwendet hat. Zum Beispiel das Etikett ‚Orphismus’, vorgeschlagen von Apollinaire, oder später den Begriff ‚Abstraktion’. In der Kunst gibt es aber nichts Abstraktes, weil jedes Bild an sich konkret ist. Parallel dazu haben einige Künstler in Russland – zum Beispiel Kandinsky - das Etikett ‚Konstruktivismus’ erfunden. Dieser Begriff dürfte gewissermaßen am richtigsten sein, denn das, was ich zu machen begann, war das Kreieren von Etwas aus dem Nichts - als Gegenteil zu dem, was die Maler bisher malten. Wenn sie ein Gefühl zum Ausdruck bringen wollten, machten sie es mittels einer getreu abgebildeten Landschaft, einer Frau oder allgemein einer Menschengestalt. … Es ist aber sehr schwer, etwas aus dem Nichts zu schaffen, daran muss man lange arbeiten.“

An den Gemeinschaftsausstellungen des erwähnten „Salons des Réalités Nouvelles“, der bis zum Ende der 1950er Jahre als einer der wichtigsten internationalen Podien für die Vertreter der geometrisch-abstrakten Kunst galt, nahm Kupka bis zu seinem Tod 1957 teil.

Die Prager Ausstellung von 1946 kuratierte der Künstler selbst und verfasste auch seinen Lebenslauf für den Katalog. František Kupka:

„Die Bilder, die ich nach Prag mitgebracht habe, sollten nach dem Wunsch des Ministeriums Werke sein, die ich seit meiner Jugend bis jetzt, also bis zu meinem 75. Lebensjahr geschaffen habe. Ausgestellt werden also auch konventionelle Arbeiten, wie ich sie an der Hochschule erlernt habe und wie man sie damals gemalt hat. Mit dabei sind aber auch rund 130 Bilder, die schon den ‚neuen Kupka’ darstellen und die bereits einen hohen Stellenwert in der modernen Malerei haben.“

Meda Mládková | Foto: Alžběta Švarcová,  Tschechischer Rundfunk
In Paris nahm Kupka nur an drei größeren Sammelausstellungen teil. Die letzte fand 1936 als Gemeinschaftsausstellung mit seinem Landsmann Alfons Mucha statt. Im gleichen Jahr wurden drei Bilder von ihm in die Ausstellung „Kubismus und Abstraktion“ im New Yorker „Museum of Modert Art“ aufgenommen. 1955 war Kupka bei der „documenta“ in Kassel vertreten. Wie sehr er sich über eine Einzelausstellung in Frankreich gefreut hätte, weiß die tschecho-amerikanische Kunstsammlerin Meda Mládková. Als Kunststudentin lernte sie Kupka 1956 in Paris kennen. Ein Jahr später stand sie an seinem Sterbebett. Die heute 90-jährige Kunstmäzenin, die dem tschechischen Staat eine umfangreiche Sammlung moderner tschechischer Kunst geschenkt hat, darunter auch viele Bilder und Zeichnungen von František Kupka, erinnerte sich kürzlich im Tschechischen Rundfunk:

Kupkas Grabmal
„Das Dienstmädchen der Kupkas rief bei mir an und bat mich dringend, zu kommen. Er rufe unentwegt nach Ihnen, sagte sie. Kupkas Frau, die kein Tschechisch sprach, war etwas eifersüchtig, weil sie nichts verstehen konnte, wenn wir miteinander oft Tschechisch redeten. Als ich zu Kupka kam, lag er im Bett und war bis auf die Knochen abgemagert. Ich sagte ihm: ‚Herr Kupka, Sie werden eine große Ausstellung haben!’ Nein, das ist nicht wahr, reagierte er. ‚Doch, ich schwöre!’, sagte ich. Es war tatsächlich nicht wahr, aber ich dachte mir, Gott möge mir den Meineid verzeihen, weil ich ihm Freude machen wollte. Kupkas Augen erstrahlten plötzlich, dann aber lehnte er sich zurück und verstarb.“

Erst ein Jahr nach dem Tod des Malers am 24. Juni 1957 erwies ihm sein Gastland auch die gebührende Ehre. Im Pariser Nationalmuseum für Moderne Kunst (Musée National d´Art Moderne) wurde eine Kupka-Retrospektive gezeigt. Aus diesem Anlass schenkte die Witwe dem Museum 140 Werke ihres Mannes. Kupka, der zeitlebens nicht viel Anerkennung erhalten hatte, wurde erst posthum weltweit anerkannt. Heutzutage sind seine Bilder auch in solch renommierten Museen wie dem Pariser Centre Pompidou oder dem MoMa in New York zu finden.


Dieser Beitrag wurde am 28. Juli 2012 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.