František Sušil – Theologe, Dichter, Liedersammler
Der 5. Juni wird in Tschechien als Tag der Slawenapostel Kyrill und Method gefeiert. Diese brachten zwar schon im 9. Jahrhundert das Christentum nach Mähren, ihre Mission wurde jedoch erst im 18. Jahrhundert landesweit bekannt. Einer von jenen, die sich darum verdient gemacht haben, war František Sušil – eine vielseitige und bemerkenswerte Persönlichkeit.
„František Sušil entschloss sich, die damals gebräuchliche katholische Übersetzung des Neuen Testaments ins Tschechische zu überarbeiten. Diese war 1677 als Reaktion auf die Bibel von Kralice entstanden, ein Werk tschechischer Protestanten. Sušil empfand jedoch die Sprache der Übersetzung als veraltet und in einigen Passagen sogar unkorrekt. Er übertrug das Neue Testament aus dem Griechischen und versah es mit zahlreichen Kommentaren, die die alte Version nicht enthalten hatte. Das war eine Pionierarbeit, denn bis dahin gab es das Neue Testament mit ausführlichen Bemerkungen in noch keiner slawischen Sprache. Das Werk war 2750 Druckseiten dick, das war ein Umfang am Rand der damaligen menschlichen Möglichkeiten.“
Die Übersetzung des Neuen Testaments wurde zum Lebenswerk von Sušil – er beendete sie im Alter von 61 Jahren – also drei Jahre vor seinem Tod. Zudem übertrug er auch die Schriften der apostolischen Väter Clemens von Rom, Ignatius von Antiochien und Polykarp von Smyrna ins Tschechische. Sie sollen an der Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert nach Christus persönliche Beziehungen zu den Aposteln gehabt haben oder stark von ihnen beeinflusst gewesen sein. Vor Sušil waren ihre Schriften noch nicht im Tschechischen zu lesen gewesen. Der Theologe aus Brünn übersetzte auch den „Jüdischen Krieg“ von Josephus Flavius, Gedichte von Ovid sowie weitere antike Autoren.Wiederentdeckung der Slawenapostel
František Sušil war allerdings nicht nur Akademiker. Er war auch tschechischer Patriot und machte die panslawische Idee von Kyrill und Method bekannt. Die beiden Brüder aus Thessaloniki hatten 863 das Christentum ins damalige Fürstentum „Großmähren“ gebracht und das Altslawische als Sprache im Gottesdienst durchgesetzt. Der Papst Hadrian II. hat sogar entschieden, dass das Altslawische eine der Sprachen sei, die Gott neben dem Hebräischen, Griechischen und Lateinischen sprechen würde. Über die Jahrhunderte gerieten Kyrill und Method etwas in Vergessenheit, aber im 19. Jahrhundert lebte der Kult um sie wieder auf. Besonders habe František Sušil dazu beigetragen, betont Martin Motyčka.
„Als Priester bemühte er sich darum, die tschechische Sprache bei der Predigt durchzusetzen, ganz nach dem Vorbild von Kyrill und Method. Das was damals nicht einfach, die Gottesdienste wurden auf Latein abgehalten, und gepredigt wurde üblicherweise auf Deutsch. Das war nämlich die Amtssprache der Habsburger Monarchie, und man ging davon aus, dass sie jeder verstehen sollte. In Brünn und anderen Regionen lebten zudem viele Deutsche, die kein Tschechisch sprachen. Die Kirchenpolitik in diesem Bereich war allerdings nicht konsistent. Sušil selbst erlebte zwei Bischöfe in Brünn. Der erste war Franz Anton Gindl, ursprünglich aus der Steiermark, der aber Tschechisch sprach und auch von den Priesterkandidaten Tschechischkenntnisse einforderte. Danach kam Anton Graf von Schaffgotsche, dem die nationale Erweckung der Slawen überhaupt nicht sympathisch war. Unter seiner Herrschaft mussten Sušil und weitere ähnlich denkende Priester ihren Einsatz für tschechische Predigten einschränken.“Spannungen zwischen Deutschen und Tschechen
Eine wichtige Veranstaltung der tschechischen Aktivisten konnte aber nicht einmal Bischof Schaffgotsch verhindern: die Feier zu 1000 Jahren Christianisierung durch Kyrill und Method. Diese fand Ende August 1863 statt, und zwar in Velehrad, wo die Slawenapostel vermutlich gepredigt haben, sowie in Brünn. Mehrere zehntausend Menschen aus der breiten Umgebung nahmen am bunten Kulturprogramm in der mährischen Landeshauptstadt teil. Laut den Chroniken sollen unter anderem 61 Gesangsgruppen mit insgesamt fast 1000 Teilnehmenden aufgetreten sein.Das Fest hatte jedoch auch negative Konsequenzen. Die Beziehungen zwischen der deutschsprachigen und der tschechischsprachigen Bevölkerung kühlten ab. Viele Vereine begannen, sich nach nationalen Prinzipien zu organisieren. Zudem entstanden Spannungen innerhalb der tschechischen Nationalbewegung, und zwar zwischen dem kirchlichen und dem weltlichen Flügel.
„Sušil gehörte zu den Gründern des Vereins ‚Der Nachlass von Kyrill und Method‘. Dessen Ziel war, die Massen auf patriotischer Grundlage zu bilden. Der Verein war bald in ganz Mähren tätig und fand Zulauf. Den Namen Kyrill und Method trug auch eine patriotisch orientierte Zeitschrift, die in Olmütz erschien. Sušil war einer ihrer Redakteure. Obwohl er bei dem Blatt keinen führenden Posten innehatte, war er ziemlich bekannt: Seine Studenten aus der Theologie schenkten ihm als Dankeschön für seine lebenslangen Aktivitäten einen Kelch, den Sušil zum 1000. Jubiläum von Kyrill und Method der Basilika in Velehrad widmete. Vom Einsatz von Sušil ließ sich auch der spätere Bischof von Olmütz, Antonín Stojan, inspirieren.“František Sušil hatte aber noch eine weitere Leidenschaft: nämlich für Volkslieder. Schon als Student hatte er begonnen, diese zu sammeln. Das tat er nicht nur in Mähren, sondern auch in Schlesien und in den slawischbesiedelten Orten in Österreich. Dabei ging er meist nach einem Muster vor: Beim Besuch einer Gemeinde lud Sušil die örtlichen Musiker ins Gasthaus ein und erklärte ihnen seine Absicht. Da er selbst musikalisch begabt war, konnte er nach ein- oder zweimal Hören die jeweilige Melodie und den Text niederschreiben. Einer Legende nach soll er jedoch die ausgelassensten Lieder nie gehört haben. Die Menschen seien zu scheu gewesen, diese vor einem Priester anzustimmen. Trotzdem konnte er etwa 2400 Stücke aufzeichnen. Sie erschienen zunächst 1835 in einer kleinen Sammlung, 1860 dann in einer umfassenden. Dieses Hobby habe jedoch mit seiner geistlichen Tätigkeit nichts zu tun gehabt, meint Martin Motyčka.
„Er hat die Volkslieder immer während der Ferien gesammelt, als die Studierenden und Lehrenden frei hatten. Zunächst brachte er Helfer mit, weil er aber mit ihnen nicht zufrieden war, machte er lieber alles selbst. Sušil verzeichnete sorgfältig auch die Dialekte und die Übergänge zwischen ihnen, in Schlesien registrierte er die Aufnahme polnischer Ausdrücke ins Tschechische. Diese Tätigkeit hing mit seiner Begeisterung für die tschechische nationale Wiedergeburt zusammen. Die Volkslieder hielt er für einen großen Schatz, der bewahrt werden sollte.“Das Volkslied als Erinnerung an die eigenen Wurzeln
František Sušil hatte als Sammler von Volksliedern einen Mitstreiter: In Böhmen befasste sich der Schriftsteller Karel Jaromír Erben mit der gleichen Tätigkeit. Beide Männer wussten voneinander, arbeiteten jedoch nicht zusammen. Und sie hatten jeweils ihre eigenen Nachfolger. Deswegen sind heute interessante Unterschiede zwischen böhmischen und mährischen Volksliedern bekannt. In Böhmen liegt die Zahl der Texte deutlich über der Zahl der Melodien, in Mähren ist es fast umgekehrt. Böhmische Lieder stehen oft der Barockmusik nahe, die mährischen zeichnen sich durch variierende Tonleiter und einen wechselnden Rhythmus aus. Und in den mährischen Texten überwiegt die epische Handlung.
Doch zurück zu František Sušil. Am 31. Mai sind 150 Jahre seit seinem Tod vergangen, das Diözesanmuseums in Brünn zeigt zu diesem Anlass eine Sonderausstellung über den Priester und nationalen Erwecker. Martin Motyčka:„Wir zeigen Texte, die das Leben und die Zeit von František Sušil dokumentieren. Sehr interessant finde ich jene Quellen, die den Einfluss Sušils zeigen. So gab es etwa eine sogenannte Sušil-Gefolgschaft. Dies war ein informeller Freundeskreis, den Sušil aber nicht selbst organisiert hatte. Auf die Besucher wartet auch ein interaktives Spiel, bei dem man die Bedeutung von Sušils Neologismen erraten kann. Der Geistliche erfand teils neue Worte, wenn er bei seinen Übersetzungen keinen passenden Ausdruck im Tschechischen finden konnte. Diese klingen aber für heutige tschechische Ohren manchmal ziemlich komisch. Es ist interessant zu rätseln, was Sušil jeweils mit ihnen gemeint hat.“
Die Ausstellung über František Sušil ist in der Kathedrale St. Peter und Paul in Brünn zu sehen (Turm „Propitá věž“), und zwar noch bis Ende September.