Führerschein keine "Lizenz zum Töten": Tschechien will durch Punkteführerschein Verhalten der Autofahrer ändern

Illustrationsfoto
0:00
/
0:00

Nun kann man bald auch auf Tschechiens Straßen Punkte sammeln. Allerdings gibt es dabei nichts zu gewinnen, sondern zu verlieren, nämlich den Führerschein. Am 3. Oktober wurde die Einführung des Punkteführerscheins von höchster Stelle abgesegnet. Damit ist die Tschechische Republik das 13. Land in der Europäischen Union, das mit der Vergabe von Strafpunkten die Straßen-Rowdys an ihrer empfindlichsten Stelle treffen will - am drohenden Verlust des Führerscheins. Sandra Dudek berichtet heute über die Situation auf Europas Straßen und den Punkteführerschein als neues Korruptionsinstrument in Tschechien:

Am Prager Nachtleben lernt man so manches schätzen, zum Beispiel, dass man nicht knapp vor Mitternacht verstohlene Blicke auf die Uhr werfen muss, um nur ja nicht die letzte Straßenbahn zu versäumen. Denn: In Prag gibt es keine letzte Straßenbahn. Diese nämlich sowie die Busse sind hierzulande auch nachtaktiv. Die Prager Stadtverwaltung rühmt sich dessen, eines der dichtesten Netze im Bereich des öffentlichen Personen- und Nahverkehrs zu haben. Leider aber wird den Benutzern der Weg dahin ziemlich schwer gemacht: Hürdenläufe an Umsteigehaltestellen, Ampelschaltungen, die Fußgänger zwingen, in Lichtgeschwindigkeit die Straße zu überqueren, und Straßenbahninseln inmitten von stark befahrenen Straßen, die nur unter Einsatz des Lebens zu erreichen sind, machen den Benutzern von öffentlichen Verkehrsmitteln ihren Stellenwert in der Hierarchie der Straßenverkehrsteilnehmer sofort klar. In Anlehnung an den Werbespruch "Der Mensch zuerst" könnte man als Warnung für Touristen eine tschechische Variante - "Das Auto zuerst" - formulieren. Nach der Infrastruktur zu schließen, scheinen Autofahrer in der Tschechischen Republik nicht nur einen höheren Stellenwert zu haben, sondern sie nehmen diesen auch mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit für sich in Anspruch. Für die Art des Autofahrens, so Jan Pechout von der Abteilung Straßenverkehrssicherheit im Verkehrsministerium, seien mitunter gesellschaftspolitische Gründe verantwortlich:

"Ich glaube, dass in unserem Staat das Sprichwort oder die Regel gilt: Wie Du lebst, so fährst Du Auto. Es ist eine Tatsache, dass eine Reihe von Leuten bei uns begonnen hat, unternehmerisch tätig zu sein. Ein Unternehmer muss aber, damit er erfolgreich ist, spitze Ellbogen haben und schnell sein. Dieses Verhalten wendet eine Reihe von Leuten auch auf den Straßen an und das ist nicht wirklich das Beste."

Mehr als 1.200 Menschen starben im vergangenen Jahr in der Tschechischen Repulik bei Verkehrsunfällen, im Vergleich dazu waren es in Österreich knapp 900. Die hohe Anzahl an Verkehrsopfern im Nachbarland Tschechiens ist aber vor allem darauf zurückzuführen, dass Österreich ein klassisches Transitland ist und einen besonders hohen Motorisierungsgrad hat. In der Tschechischen Republik und den neuen EU-Mitgliedsländern werden jedoch andere Gründe verantwortlich gemacht, wie beispielsweise ein geringerer Standard in der Notfallmedizin, fehlende Sicherheitsstandards im Straßennetz und - nicht zuletzt - eine mangelhafte Fahrdisziplin vieler Autolenker. Diesen will die Tschechische Republik nun mit der Einführung des Punkteführerscheins zu Leibe rücken und sie damit darauf aufmerksam machen, dass der Führerschein kein Erwerb auf Lebenszeit sein muss. Denn, und damit spricht Stanislav Huml, ehemaliger Polizist und nunmehr Experte im Amt für den Straßen- und Stadtverkehr, die Autofahrer persönlich an:

"Sie haben eine Lizenz für etwas bekommen, womit Sie Menschen töten können. Diese Lizenz gilt nicht für das ganze Leben, sondern ausschließlich für die Zeit, wo Sie die Bedingungen erfüllen, für die Sie die Lizenz innehaben konnten. Wenn Sie die Spielregeln verletzen und wenn Sie die Spielregeln wiederholt verletzen, dann soll Ihnen die Lizenz entzogen werden."

Das sei, erklärt Huml an einem für Tschechien besonders anschaulichen Beispiel, so wie beim Eishockey: Wenn Sie während des Spiels ein Faul machen, bekämen Sie vom Trainer die rote Karte und seien eben draußen. Und hier gehe es nicht um Tore, sondern um Menschenleben und das sei, so Huml, eine ziemlich ernste Sache. Nun wurde diese Sache endlich auch von der Politik ernst genommen und dem Dokument Ende September mit dem Beschluss des Gesetzes zur Einführung des Punkteführerscheins der Status der Unberührbarkeit entzogen. Am 3. Oktober hat der tschechische Präsident das Gesetz unterschrieben, in Kraft treten soll es Mitte nächsten Jahres. Damit ist die Tschechische Republik das 13. Land in der Europäischen Union, das verantwortungslose Straßen-Rowdys auf diese Art und Weise disziplinieren will. Zuletzt hat Österreich das so genannte Vormerksystem eingeführt, und zwar am 1. Juli dieses Jahres. Allerdings wird dort kritisiert, dass es sich mit lediglich 13 Delikten für eine schlechte Variante entschieden hat: In Italien und Frankreich umfasst der Punkteführerschein fast alle Delikte, die die Gesundheit des Einzelnen gefährden. Die Zahl der Verkehrstoten konnte in diesen Ländern um 19 beziehungsweise 15 Prozent verringert werden. Der drohende Verlust des Führerscheins, gekoppelt mit einer rigorosen Verkehrspolitik sind das Rezept, mit denen Frankreich, aber auch die neuen EU-Mitgliedsländer Estland, Lettland und Litauen erfolgreich waren, meint Robert Stastny, Leiter der Abteilung Straßenverkehrssicherheit im Verkehrsministerium:

"Auf die Frage nach den Erfahrungen im Ausland kann man Frankreich und die Baltischen Staaten als Beispiel anführen. Alle vier Länder sind sehr erfolgreich. Frankreich lag vor zwei Jahren statistisch noch hinter uns. Und innerhalb von zwei Jahren hat der französische Präsident Chirac den totalen Krieg auf den Straßen ausgerufen, die Regierung hat die Autofahrer dank Punktesystem und Kameras auf den Straßen erwischt. Sie haben innerhalb von zwei Jahren 30 Prozent der Opfer gerettet. Die Baltischen Staaten, postkommunistische Staaten, sind heute besser dran als wir. Vor drei Jahren waren sie doppelt so schlecht wie wir. Das heißt: Es funktioniert."

Das tschechische Gesetz sieht vor, dass die Autofahrer für verkehrswidriges Verhalten insgesamt zwölf Strafpunkte bekommen können - dann ist man den Führerschein für ein Jahr los und muss wieder eine Fahrschule absolvieren. Allerdings hat man die Möglichkeit, von vorhandenen Strafpunkten vier wieder abgezogen zu bekommen, wenn man ein Jahr lang keinen Übertritt begeht. Das Gesetz verpflichtet außerdem zum Fahren mit Licht auch bei Tag, zur Verwendung von Kindersitzen sowie zum Tragen von Helmen für Radfahrer unter 18 Jahren. Damit wird ein wesentlicher Beitrag zur Erhöhung der allgemeinen Verkehrssicherheit geleistet. Außerdem werden die Verkehrshüter mehr Macht haben: Die Stadtpolizei wird in Hinkunft auch Autofahrer anhalten und die Geschwindigkeit messen können und die Verkehrspolizei bekommt das Recht zurück, Autofahrern den Führerschein zu entziehen. Aber genau diese Regelungen und vor allem die Einführung des Punkteführerscheins würde im Endeffekt wieder nur die Korruption fördern, meint der Frantisek Laudat vom Prager Magistrat:

"Ich habe den Eindruck, dass das ein rein poetisches Projekt ist, das wahrscheinlich an den Bedingungen der Tschechischen Republik und ihrer Bevölkerung scheitern wird. Ich hoffe, dass es so bald wie möglich scheitert, dass es der nächste Verkehrsminister so schnell wie möglich aufheben wird. Es ist keine gute Idee, in einer Zeit, wo es einfach evident ist, dass die Polizei in die Korruption versinkt, ein weiteres Instrument einzuführen, das wieder nur der Korruption dient. Ich denke, dass System geändert werden sollte."

Die Autofahrer, insbesondere jene, die beruflich vom Besitz des Führerscheins abhängig seien, würden versuchen, die Verkehrspolizisten zu bestechen und somit den drohenden Strafpunkten entkommen. Außerdem, so Laudat weiter, würde das Punktesystem sowieso nicht funktionieren, weil die Polizei auf den Autobahnen schlicht und einfach nicht anwesend sei, außer bei Unfällen. Damit vertritt Laudat die Meinung der bürgerlichen Partei ODS, die der Einführung des Punkteführerscheins lange Zeit nicht zugestimmt hat. Ein durchaus probates Mittel, die Korruption einzudämmen, wäre die automatische Abwicklung der Bestrafung und Punktevergabe durch computergesteuerte Anlagen, wie es beispielsweise in Frankreich und Holland der Fall ist. Allerdings fehlt dafür hierzulande die entsprechende Technik.

Auf jeden Fall, und da ist man sich parteiunabhängig einig, ist es in Tschechien notwendig, das tief verankerte Bewusstsein vom "Das Auto zuerst" durch Informationsarbeit und Diskussion zu verändern. Und das wird ein gleichermaßen schwieriges wie langfristiges Unterfangen sein. Dazu Stanislav Huml, Experte im Amt für den Straßen- und Stadtverkehr:

"Wir Tschechen sind, was das Fahren betrifft, ein schrecklich souveränes Volk. Wie viele von uns können aber beispielsweise eine Krisensituation auf Eis richtig bewältigen? Wir glauben, nur weil wir den Führerschein gemacht, weil wir irgendeinen Test bestanden und gelernt haben, wie man einparkt, dass wir gute Autofahrer sind."

Die Einführung des Punkteführerscheins und damit der drohende Verlust der Fahrlizenz sollen nun dazu beitragen, das eigene Fahrverhalten selbstkritisch zu beurteilen und im Straßenverkehr mehr Disziplin zu beweisen.





Folgende Hinweise bringen Ihnen noch mehr Informationen über den Integrationsprozess Tschechiens in die Europäische Union:



www.integrace.cz - Integrace - Zeitschrift für europäische Studien und den Osterweiterungsprozess der Europäischen Union

www.euroskop.cz

www.evropska-unie.cz/eng/

www.euractiv.com - EU News, Policy Positions and EU Actors online

www.auswaertiges-amt.de - Auswärtiges Amt