„Für mediale Lesekompetenz und kritisches Denken“ – Studenteninitiative „Zvolsi.Info“

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag

Spätestens seit den Präsidentschaftswahlen in den USA ist die Angst vor Falschmeldungen ein Thema. Durch gezielte Desinformationen soll die öffentliche Meinung manipuliert und politisch Einfluss genommen werden. Tschechien hat bereits Schritte unternommen, um gegen gezielte Falschmeldungen vorzugehen, Stichwort „Abwehrzentrum gegen Terrorismus und hybride Gefahren“. Eine Gruppe von Studenten will aber die Bürger selbst zu mehr Wachsamkeit motivieren und hat den Internet-Guide „Zvolsi.info“ / „Hol-dir-deine.Info“ ins Leben gerufen. Ein Gespräch mit Petr Střítežský, einem der Gründer der Plattform.

Petr Střítežský  (Foto: Archiv von Petr Střítežský)
Herr Střítežský, kommen wir gleich zum Punkt: Wie erkennt man eine Falschmeldung?

„Erstens sollte man sich den betreffenden Artikel durchlesen. Heutzutage macht das kaum noch einer, vielmehr überfliegt man nur die Überschriften und zieht schon daraus irgendwelche Schlüsse. Gerade das reicht aber nicht. Zweitens muss man sich bestimmte Fragen stellen zu dem Artikel: Wer schreibt den Beitrag, ein bekannter Autor, ein Autorenkollektiv oder irgendein Anonymus? Wo lese ich den Artikel, in einem seriösen Medium oder auf irgendeiner beliebigen Webseite? Ist der Autor der einzige, der über die Sache schreibt? Wenn es nämlich tatsächlich etwas Weltbewegendes wäre, müssten sich in jedem Fall auch andere Medien dahinter hängen. Und schließlich: Will mich der betreffende Artikel wirklich über etwas informieren, oder soll er nur Emotionen in mir wecken? Leider gibt es kein allgemeingültiges Rezept, wie man eine Falschmeldung zu einhundert Prozent erkennen kann. Eher sollte man sein Gehirn einschalten, kritisch denken und den Inhalt eines Artikels mit einer gesunden Portion Skepsis hinterfragen.“

Sie haben in diesem Sinne die Internet-Plattform, beziehungsweise den Internet-Guide „Zvolsi.info“, zu Deutsch „Hol-dir-deine.Info“ gegründet. Was ist das genau und was war Ihre Motivation?

„Wir wollten nicht gegen jemanden konkret kämpfen, sondern für etwas. Und zwar für mediale Lesekompetenz und kritisches Denken.“

„Angefangen hat das im Studium mit einem politikwissenschaftlichen Seminar an der sozialwissenschaftlichen Fakultät. Wir haben die Aufgabe bekommen, eine Kampagne gegen Propaganda und Desinformationen zu organisieren. Das Problem war uns aber auch schon vorher bewusst. Jeder von uns bewegt sich ja im Internet und weiß um die fatale Wirkung von Falschinformationen auf die öffentliche Meinung: Sie sind manipulativ, erzeugen antidemokratische Stimmungen und fragwürdige Standpunkte, sie sind gegen das Establishment gerichtet, und so weiter. Kurzum, Falschinformationen sind gefährlich. Und das haben wir auch so wahrgenommen und haben dementsprechend unser Konzept erarbeitet: Wir wollten nicht gegen jemanden konkret kämpfen, sondern für etwas. Und zwar für mediale Lesekompetenz und kritisches Denken. Wir wollen deswegen auch bewusst nicht werten, welches Medium oder welche Informationsquelle gut oder schlecht ist. Wir wollten besonders Studenten ein Werkzeug an die Hand geben, mit dem sie das selbst erkennen können. In unserem Guide findet man nämlich die fünf meistverwendeten Techniken zur Verbreitung von Desinformationen.“

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
Die Medien sind heutzutage ja einer unglaublichen Informations-Flut ausgesetzt. Gibt es überhaupt noch so etwas wie ein seriöses Medium und können alle Informationen auch wirklich verifiziert werden?

„Unterschiede gibt es auf jeden Fall. Man spricht ja von seriösen Medien, alternativen Medien, unabhängigen Medien und so weiter. Für uns ist das aber nicht so wichtig. Wir haben uns nicht zur Aufgabe gemacht, die Medien zu bewerten. Für uns ist entscheidend, dass die Menschen die Medien und Informationen selbst bewerten können.“

Was ist eigentlich eine Informations- oder Userblase? Und ist so etwas Ihrer Meinung nach gefährlich?

„Zunächst einmal sind Informationsblasen nichts Neues und es gab sie schon vor dem Auftauchen der sozialen Medien. Facebook hat das Phänomen eigentlich nur ins Rampenlicht gerückt. Gute Beispiele für Informationsblasen konnte man im Zuge des Brexit-Referendums oder der Präsidentschaftswahlen in den USA sehen. Da hat sich gezeigt: Die Menschen geben eher den Informationen Vorrang, die ihrer vorgefertigten Meinung nahestehen. Sie glauben nur den Medien, die ihr eigenes Weltbild bestätigen. Genau so entsteht eine Informationsblase. Ich umgebe mich irgendwann nur noch mit Meinungen, die meiner eigenen entsprechen und kapsle mich von der in Anführungszeichen ‚anderen Welt‘ ab. Gefährlich ist das, da ein Mensch in einer Informationsblase seine eigene Meinung konserviert. Er verteufelt alle anderen Meinungen und versteht schlicht nicht, wie diese zustande kommen. Die Gefahr besteht gerade darin, dass jemand andere Meinungen nicht mehr zulässt. Und wir leben ja in einer Welt in der die gegenseitige Kommunikation und schließlich auch Wahlen notwendig sind.“

Sie haben ja Facebook schon erwähnt. Gerade durch die sozialen Medien ist die Medienlandschaft demokratischer geworden. Bewerten Sie das als eher positiv oder negativ?

„Es ist nicht schlecht, die Medien zu demokratisieren. Wir müssen uns als Gesellschaft aber auch an gewisse Regeln halten.“

„Wenn damit gemeint ist, dass absolut jeder ein Journalist sein kann und jede Webseite ein Medium, dann ist das meiner Meinung nach nicht unbedingt positiv. Das Problem besteht darin, dass wir erstickt werden von Informationen. Dadurch sind wir nicht mehr fähig, uns eine Art ‚mediale Speisekarte‘ zu erstellen durch kritisches Denken und allgemeine Medienkompetenz. Durch diese Speisekarte müsste man sich ein Meinungs-Spektrum zusammenstellen, das eben nicht mit den eigenen Ansichten übereinstimmt. Dazu kommt, dass in der Online-Welt alles sofort verfügbar sein muss. Es ist ja so, wenn bei einem Medium die neuste Information nicht innerhalb von fünf Sekunden auf der Facebook-Pinnwand ist, dann bekommt der betreffende Journalist gleich Probleme mit dem Chefredakteur. So entsteht aber eine sehr hohe Fehlerquote, niemand hat mehr Zeit, seine Quellen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu kontrollieren. Auch seriöse Medien oder Medien, die nicht absichtlich falsch informieren wollen bekommen so Schwierigkeiten. Sie sind fast gezwungen, Falschmeldungen zu übernehmen. Durch den Zeitdruck kann ein Journalist einfach nicht mehr wirklich zur Wahrheit gelangen. Alles in allem würde ich sagen, es ist nicht schlecht, die Medien zu demokratisieren. Wir müssen uns als Gesellschaft aber auch an gewisse Regeln halten.“

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
Zum Abschluss: Glauben sie den Medien überhaupt noch?

„Ja. natürlich. Nur bin ich skeptischer geworden gegenüber den Inhalten. Ich muss zugeben, dass ich mittlerweile sogar gezielte Falschmeldungen gerne lese. Es ist teilweise sehr witzig, was sich Menschen so ausdenken können. Natürlich hat das aber auch einen praktischen Sinn, so etwas zu konsumieren. Man kann besser verstehen, wie die Emotionen bei den Leuten entstehen, die solche Dummheiten ernsthaft lesen.“