Fußball-EM: Tschechiens Kicker von türkischen Fightern schwer K.o. geschlagen

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Die Fußball-Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz tritt ab Donnerstag, wenn die Viertelfinals beginnen, in ihre entscheidende Phase. Die Phase, in der beide Finalisten und der neue Europameister ermittelt werden, findet jedoch schon ohne die tschechische Nationalmannschaft statt. In ihrem letzten Gruppenspiel hat sie am Sonntag eine klare Führung noch völlig unnötig aus der Hand gegeben...

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„Ich denke, es wird ganz schwer, uns zu schlagen.“

„Nun gut, als die Türken nach unserem Führungstor besonders unter Druck gestanden haben, mussten sie etwas probieren. Sie haben mit acht Leuten permanent angegriffen und dann leider auch das Anschlusstor zum 2:1 gemacht.“

Zwischen diesen beiden Aussagen von David Jarolím, dem Mittelfeldspieler des Hamburger SV, liegen gerade einmal 16 Tage. Es waren die Tage vom hoffnungsvollen Aufbruch der tschechischen Fußball-Nationalmannschaft zur EM-Endrunde in Österreich und der Schweiz bis zu ihrem jähen Ende, dem Knockout in der Vorrunde nach der brutalen wie peinlichen 2:3-Niederlage gegen die Türkei in Genf. Eine Niederlage, die auf jeden Fall vermeidbar war. So sah es auch Tomáš Rosický, der wegen einer Knie-Operation das Auftreten seiner Nationalmannschaftskollegen nur als Zuschauer verfolgen konnte, nach der Partie aber analysierte:

Jan Koller  (Foto: ČTK)
„Ich denke, dass die Mannschaft sehr gut begonnen hat. Die erste Halbzeit spielte sie sehr gut und lag verdient mit 1:0 in Führung. Aber was dann in der zweiten Halbzeit passierte, das ist etwas Unglaubliches.“

Bevor wir das „Unglaubliche“, wie es Rosický schilderte, noch etwas näher unter die Lupe nehmen werden, wollen wir uns erst noch einmal vergegenwärtigen, wie die verdiente 1:0-Pausenführung für die tschechische Elf zustande kam:

Das, wie gesagt, war in der ersten Halbzeit der abschließenden Vorrundenpartie der Gruppe A zwischen Tschechien und der Türkei in Genf, in der die Schützlinge von Trainer Karel Brückner dem Geschehen auf dem Rasen noch ihren Stempel aufdrückten. Was aber nach der Pause noch alles passierte, lässt sich in Worten kaum beschreiben. Dennoch: Von der Tribüne aus war schon mit Beginn der zweiten Halbzeit zu sehen, dass die Tschechen mit dem Feuer spielten:

Der Druck der Türken nahm tatsächlich weiter zu, doch inmitten dieser Drangperiode hatte die tschechische Mannschaft noch einen lichten Moment:

Petr Čech  (Foto: ČTK)
Diese schöne Vorstellung, die die Anhänger des tschechischen Teams zu diesem Zeitpunkt hegten, zerplatzte danach jedoch wie eine Seifenblase. Weshalb, das konnte sich auch Tomáš Rosický nicht erklären:

„Mir schien es so, als wenn wir mit fortschreitender Spielzeit immer nervöser wurden. Aber warum nur, das weiß ich nicht“, sagte der 27-Jährige Mittelfeldspieler des FC Arsenal mit leiser Stimme vor den tschechischen Journalisten. Hatten seine Mannschaftskameraden, denen er nicht helfen konnte, auf einmal Angst vor der eigenen Courage? Oder fürchteten sie sich vor einer neuen Spielkonstellation, wie sie ab der 75. Minute eintreten sollte:

Tomáš Rosický  (Foto: ČTK)
Tschechiens Torwart Petr Čech hat diesem Treffer im Nachhinein eine große Bedeutung beigemessen: „Auch auf dem Spielfeld haben wir realisiert, dass wir unter einen großen Druck geraten sind, von dem wir uns kaum befreien konnten. Leider haben die Türken in ihrer Druckphase, die schon abzuebben schien, letztlich das Anschlusstor geschossen. Das hat sie noch einmal beflügelt.“

Und die Tschechen noch weiter verunsichert. Linksverteidiger Marek Jankulovski jedenfalls räumte nach der Begegnung ein: „Nach dem Tor zum 2:1 haben wir uns zu stark hinten rein drängen lassen und auch den Ball nicht mehr in unseren Reihen gehalten. Trotzdem glaubten wir, den Vorsprung verteidigen zu können. Dann aber fiel das eher zufällige zweite Tor der Türken nach einem Fehler von uns, der leider immer einmal im Fußball passieren kann.“

Es war eigentlich eine scheinbar harmlose Situation, die zum Ausgleichstreffer führte. In der Tat, der späte Ausgleich fiel erst in der 87. Spielminute nach einem groben Schnitzer von Torhüter Čech. In der zweiten Halbzeit hatte leichter Regen eingesetzt und Čech, ansonsten sicher wie die Bank von England, konnte einen lang gezogenen Flankenball nicht festhalten, so dass Nihat keine Mühe hatte, um die Kugel ins leere Tor zu schieben. Aber keine 100 Sekunden später kam es noch dicker für die tschechische Mannschaft:

Jan Polák,  rechts  (Foto: ČTK)
In der von mir angemerkten Situation, als Jan Polák in der 71. Minute den Pfosten traf, hätte es durchaus auch einen Elfmeter für Tschechien geben können. Beim Versuch, den vom Pfosten abprallenden Ball per Kopf über die Linie zu drücken, wurde Polák nämlich vom gestreckten Bein eines Türken am Kopf getroffen. Für Polák selbst gab es keine Diskussion:

„Also ich denke, es war Elfmeter! Ich musste nach dem Foul des Türken mit zwei Stichen am Kopf genäht werden. Ich glaube, das war auch ein entscheidender Moment in diesem Spiel.“

Eine wichtige Spielsituation war es ganz bestimmt, aber die entscheidende? Libor Sionko, während des gesamten EM-Turniers einer der wenigen Aktivposten im tschechischen Team, sah das Ganze schon etwas kritischer: „Wir mussten einfach besser reagieren, als wir das erste Tor bekommen haben. Es stand ja immer noch 2:1 für uns. Die Türkei hat dann aber wieder etwas mehr Druck gemacht und wir haben in dieser Phase nicht gut gespielt.“

Petr Čech  (Foto: ČTK)
Kurz vor dem Ausgleichstor der Türken war Sionko ausgewechselt worden. Auch deshalb fiel es ihm nicht leicht, eine Erklärung darauf zu finden, warum die Mannschaft dann sogar noch das Siegtor des Gegners zugelassen hat: „Es ist schwer zu sagen. Es fehlte uns an Konzentration und Konsequenz.“

Tomáš Rosický, der ebenso enttäuschte Kapitän außer Dienst, nahm anschließend jedoch kein Blatt vor den Mund: „Es ist egal, ob wir 3:0 führen konnten oder nicht. Auch ein 2:0 muss man nach Hause bringen. Gut, ein Gegentor kann man immer bekommen, aber wenn man bis eine Viertelstunde vor Abpfiff 2:0 führt, muss man bis zum Umfallen um den Sieg fighten.“

Weil seine Teamkollegen aber gerade das nicht beherzigt haben, konnte auch Rosický nur lakonisch konstatieren: „Ich habe noch nie ein solch verrücktes Spiel live erlebt.“

In die Annalen des Fußballs wird dieses Spiel nun für immer als eine außergewöhnlich dramatische Partie eingehen. Entgegen ihrem 3:2-Sieg über die Niederlande vor vier Jahren bei der EM in Portugal werden die Tschechen diesmal aber in der Rolle des böse gestrauchelten Verlierers geführt.

Autor: Lothar Martin
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