Fußballnationalmannschaft in der Krise: Trainer Jarolím vor dem Aus
Der letzte größere Erfolg des tschechischen Fußballs liegt schon über 14 Jahre zurück. Bei der EM 2004 in Portugal drangen die Kicker um Kapitän Pavel Nedvěd bis ins Halbfinale vor. Nun wollten sie sich in einem neu geschaffenen Wettbewerb, der Nations League, wieder ins Gespräch bringen. Aber es kam anders.
So denkt man auch in Tschechien. In der Nations League sieht man die zusätzliche Chance, sich zum siebten Male in Folge für die EM-Endrunde zu qualifizieren. Dazu sollte der Start bereits die Richtung weisen, denn die Schützlinge von Nationaltrainer Karel Jarolím empfingen in der Auftaktbegegnung ihrer Gruppe am vergangenen Donnerstag in Uherské Hradiště / Ungarisch Hradisch die Auswahl der Ukraine.
Es war eine umkämpfte Partie, indes mit deutlichen spielerischen Vorteilen für die Gäste. Dennoch konnte die tschechische Mannschaft bis zuletzt auf ein gutes Ergebnis hoffen, denn bis zur 88. Spielminute stand es 1:1. Und dann hatte der kurz zuvor eingewechselte Stürmer Stanislav Tecl sogar das Siegtor auf dem Schlappen.Kaum hatte sich der tschechische TV-Kommentator nach der vergebenen Großchance der Gastgeber wieder beruhigt, da drückten nochmal die Ukrainer. In der turbulenten Schlussphase scheiterten sie zunächst bei zwei aussichtsreichen Versuchen am tschechischen Torwart Tomáš Vaclík. Doch bei ihrem letzten Angriff kam es zu einer Szene mit Folgen: Mit Entsetzen musste der Kommentator schildern, wie nach einer Nachlässigkeit in der tschechischen Hintermannschaft Gästespieler Olexandr Sintschenko den Ball noch zum 2:1-Siegteffer für die Ukrainer über die Torlinie brachte. Ein vermeidbares Gegentor schildert Mittelfeldspieler Jan Bořil, der in die Fehlerkette unmittelbar involviert war:
„Die Ukrainer starteten einen Konter, bei der Flanke schrie Vaclík, dass er zum Ball gehe. Doch er hat ihn nur leicht berührt, und nach seiner Aktion hatten wir das Pech, dass der Ball von meinem Gesicht zurückprallte, und zwar dem Gegner direkt vor die Füße. Sintschenko musste ihn nur noch ins leere Tor bugsieren.“Torhüter Vaclík, der trotz starker Paraden mit seinem einzigen Fehler noch zum tragischen Held wurde, konnte es auch kaum fassen:
„Beide Gegentreffer haben wir nach leichten Ballverlusten bekommen. Danach dauerte es nur sieben, acht Sekunden, bis die Kugel bei mir im Tor eingeschlagen hat. Das ist extrem schade, vor allem weil es beide Male in der Nachspielzeit passiert ist.“
Patrik Schick: „In der ersten Halbzeit waren wir fast nie in Ballbesitz. Wir haben erschreckend passiv und ängstlich gespielt, wir haben die Bälle nur nach vorne gedroschen. Danach haben wir dann versucht, etwas Fußball zu spielen. Doch unterm Strich denke ich, dass die Ukrainer weitaus besser waren.“
In der Tat: Das erste Gegentor durch den Schalker Jewhen Konopljanka kassierten die Tschechen in der Nachspielminute der ersten Halbzeit, den zweiten Treffer bekamen sie in der dritten Nachspielminute der zweiten Halbzeit. Dabei hätten die Gastgeber eigentlich befreit aufspielen können, denn schon in der vierten Spielminute erzielten sie das Führungstor durch Patrik Schick. Der 22-jährige Stürmer, der beim AS Rom unter Vertrag steht, aber redete nach der Partie nichts schön. Er legte vielmehr den Finger in die Wunde:
„In der ersten Halbzeit waren wir fast nie in Ballbesitz. Wir haben erschreckend passiv und ängstlich gespielt, wir haben die Bälle nur nach vorne gedroschen. In der zweiten Halbzeit haben wir dann versucht, etwas Fußball zu spielen. Doch unterm Strich denke ich, dass die Ukrainer weitaus besser waren.“
Ein ähnliches Fazit zog auch der Verteidiger von Werder Bremen, der 31-jährige Theodor Gebre Selassie:
„Wir haben die Tore in Phasen des Spiels bekommen, in denen das nicht passieren darf. Solche Situationen müssen wir besser klären und also viel konsequenter sein. Der Unterschied war heute der, dass wir den Ball nicht lange in unseren Reihen gehalten haben. Wir haben ihn zu schnell verloren. Wenn wir ihn doch hatten, haben wir uns aber bis in den gegnerischen Strafraum durchkombiniert. Doch solche Spielzüge hatten wir einfach zu wenig.“Der ehemalige Mittelfeldspieler von Slavia Prag, Karel Jarolím, hat die Nationalmannschaft nach der verkorksten EM in Frankreich im Sommer 2016 als Trainer übernommen. Große Fortschritte kann er allerdings noch nicht vorweisen. In der Qualifikation zur WM 2018 ist Tschechien kläglich gescheitert. Und nun scheint sich das biedere Auftreten der tschechischen Kicker auch in der Nations League fortzusetzen. Entsprechend frustiert reagierte der 62-jährige Coach:
Theodor Gebre Selassie: „Wir haben die Tore in Phasen des Spiels bekommen, in denen das nicht passieren darf. Solche Situationen müssen wir besser klären, also viel konsequenter sein. Der Unterschied war heute der, dass wir den Ball nicht lange in unseren Reihen hatten. Wir haben ihn zu schnell verloren.“
„Die Ukraine hat ihre Klasse bestätigt. In der Pause habe ich auf den Verlauf der ersten Halbzeit reagiert, denn wir hatten im Mittelfeld große Probleme. Wir hatten dort keinen Zugriff auf den Gegner, auch weil unsere Stürmer in der Luft hingen. Als ich auf vier Verteidiger umgestellt hatte, lief es etwas besser. Wir sind noch zu einigen Torchancen gekommen, die Ukraine aber auch. Am Ende aber waren wir es, die den bitteren Kelch bis zur Neige auskosten mussten.“
Nur drei Tage später gewann die Ukraine auch das Heimspiel gegen die Slowakei, und zwar mit 1:0. Nach dem ersten Drittel der Gruppenphase liegt sie mit sechs Punkten klar in Front, da Tschechien und die Slowakei noch ohne Punkt dastehen. Ist das also bereits der Anfang vom Ende aller Träume? Keeper Vaclík verneint die Frage und gibt sich kämpferisch:
„Die Niederlage tut natürlich weh. Wir hätten wenigstens einen Punkt mitnehmen können, doch wir haben leider nichts. Und nun wird es schwierig, denn in der Nations League gibt es nur vier Spiele, da zählt jede Partie. Wir haben noch drei davon, in denen wir maximal punkten müssen. Es steht nirgendwo geschrieben, dass wir das nicht noch umbiegen könnten.“
Um sich für diese schwierige Aufgabe weiter zu wappnen, absolvierte die tschechische Mannschaft am Montag ein Testspiel. In Rostow am Don traf sie auf das Team von WM-Gastgeber Russland. Es gab jedoch nichts Neues zu sehen, sondern es kam noch schlimmer: Die Gäste gingen mit 1:5 unter. Nationaltrainer Karel Jarolím stand nach dieser Pleite die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Auf der Pressekonferenz kündigte er bereits seinen Rücktritt an:„Mir ist schrecklich zumute. Womöglich wird man mich medial nun hinrichten, denn für das Alles bin natürlich ich verantwortlich. Die Mannschaft braucht jetzt irgendeinen Impuls.“
Karel Jarolím: „Mir ist schrecklich zumute. Womöglich wird man mich medial nun hinrichten, denn für das Alles bin natürlich ich verantwortlich. Die Mannschaft braucht jetzt irgendeinen Impuls.“
Das klingt danach, als dass er dem Team nicht mehr zur Verfügung steht. Von den 22 Begegnungen, die die Auswahl unter Jarolím bestritten hat, wurden zehn gewonnen, acht verloren und vier gingen unentschieden aus. In dieser eher mäßigen Bilanz haften bleiben vor allem die bisher höchsten Niederlagen der tschechischen Nationalmannschaft: das 0:4 gegen Australien und das 1:5 gegen Russland. Wie zu hören war, ist der Verband in Prag bereits auf der Suche nach einem Nachfolger für Jarolím. Als heißester Kandidat für den Posten gilt der ehemalige Slavia-Prag-Trainer Jaroslav Šilhavý. In der Saison 2016/17 hat Šilhavý mit den Pragern die nationale Meisterschaft gewonnen.