Gegen das Vergessen: „Stolperstein“ für Milena Jesenská

Foto: Rob Cameron

Milena Jesenská war eine tschechische Journalistin und Übersetzerin, die 1944 im Konzentrationslager Ravensbrück gestorben ist. Sie übertrug Claudel, Gorki und Heinrich Mann ins Tschechische und leitete die Frauenseite der Zeitung „Národní listy“. Während der Nazi-Besetzung schloss sie sich einer Widerstandsgruppe an, die eine illegale Zeitung herausgab. Dennoch ist sie den meisten vor allem als die Geliebte Franz Kafkas bekannt. Seit Donnerstag erinnert in Prag ein so genannter Stolperstein an Jesenskás bewegtes Leben.

„Und wenn Du einmal fragtest, wie ich den Samstag ‚gut’ habe nennen können mit der Angst im Herzen, so ist das nicht schwer erklärt. Da ich Dich liebe (und ich liebe Dich also, Du Begriffsstutzige, so wie das Meer einen winzigen Kieselstein auf seinem Grunde lieb hat, genau so überschwemmt Dich mein Liebhaben …), liebe ich die ganze Welt.“

Diese Zeilen schrieb Franz Kafka am 9. August 1920 in Prag. Die Empfängerin war Milena Jesenská. Die Textsammlung „Briefe an Milena“ gehört zu den berührendsten Liebesbezeugnissen der Literatur. Auch Kafka selbst schrieb seiner Freundin, dass diese Briefe das Schönste seien, was in seinem Leben geschehen sei. Es sollte jedoch bei den verbalen Zärtlichkeiten bleiben. Bis zu Kafkas Tod verband die beiden eine platonische Liebe. Vergangene Woche wurde in Prag im Gedenken an Milena Jesenská ein so genannter „Stolperstein“ verlegt.

In der Kouřimská-Straße im Stadtviertel Vinohrady liegt seit Donnerstag ein Pflasterstein, der mit einer goldenen Plakette besetzt ist. Die Inschrift lautet: „Hier lebte Milena Jesenská. Geboren 1896, verhaftet 1939, ermordet am 17. Mai 1944 in Ravensbrück.”

„Stolperstein“ für Milena Jesenská  (Foto: Rob Cameron)
Vor rund zwanzig Jahren installierte der deutsche Künstler Gunter Demnig den ersten Stolperstein in Köln. Die Steine sollen an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern – und dies vor jenen Häusern, in denen die Menschen zum Zeitpunkt ihrer Deportation gewohnt haben. Die Bürgermeisterin des Bezirks, Vladislava Hujová, macht auf einen weiteren Aspekt aufmerksam.

„Ich möchte gerne daran erinnern, dass wir uns nur wenige hundert Meter entfernt vom Hagibor-Areal befinden. Dieses diente damals als Sammelplatz für die Deportationen.“

Vladislava Hujová  (Foto: Archiv des Magistrats der Haupstadt Prag)
Hujová, deren Urgroßmutter in einem Konzentrationslager ermordet wurde, ist die Erinnerung an die Opfer des Nazi-Regimes ein großes Anliegen. Dies gelte insbesondere auch für die Tausenden von Menschen, die bis jetzt noch keine Gedenktafel haben. Derzeit liegen in Prag etwas mehr als 300 Stolpersteine. Mariana Kalvach ist hierzulande für das Projekt verantwortlich. Sie hält es für einen Irrtum, sich an Milena Jesenská nur als „die Geliebte von…“ zu erinnern.

„Sie war Schriftstellerin, Journalistin und Übersetzerin. So hat sie Kafka überhaupt kennengelernt. Sie hat seine Erzählung ‚Der Heizer‘ gelesen und sich mit der Bitte an ihn gewandt, ob sie den Text übersetzen dürfe.“

Für Jesenská war die Beziehung zu Kafka nur eine Episode ihres kurzen, aber reichen Lebens. Schon als junge Frau schwankte sie zwischen Lebenslust, Übermut und Verzweiflung. In der Prager Kunst- und Kaffeehausszene war Jesenská berüchtigt. So soll sie einmal in ihren Kleidern durch die Moldau geschwommen sein, um nicht zu spät zu einem Rendezvous zu kommen. Doch auf die schwindelerregenden Höhen folgte oft der tiefe Fall: Mit 19 Jahren ließ sie ihr Vater wegen „krankhaften Fehlens moralischer Begriffe“ in eine Heilanstalt einweisen. Zudem war sie über Jahre hinweg stark morphiumsüchtig.

KZ Ravensbrück
Doch als Übersetzerin und Journalistin leistete Jesenská große Arbeit: Selbst im Konzentrationslager befragte sie die anderen Häftlinge nach ihren Lebenswegen. Jesenská erlag im Mai 1944 im KZ Ravensbrück den Folgen einer Nierenentzündung. Sie wurde 47 Jahre alt. Die Stolpersteine sind jedoch nicht nur für herausragende historische Persönlichkeiten gedacht, wie Mariana Kalvach betont:

„In den meisten Fällen ergreifen Nachkommen die Initiative und wenden sich an uns. Beim Stolperstein für Milena Jesenská war dies allerdings nicht der Fall. Dieser wurde von einer Prager Historikerin angeregt. Sie macht uns immer wieder auf solche bekannteren Persönlichkeiten aufmerksam.“