Gemeinsam für andere: Biennale für die Diakonie 2009
Vor der Wende 1989 wurde in der damaligen Tschechoslowakei nur wenig für Behinderte getan. Dem kommunistischen Regime passten Rollstühle und geistige Behinderungen nicht in das Bild vom fröhlichen Menschen im Sozialismus. Behinderte isolierte man in großen Anstalten. Nach der Wende nahmen sich einzelne Institutionen, darunter auch die Diakonie der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder und deren Gemeinden, der Probleme von Behinderten an. Ideenreichtum und der Wille, gemeinsam etwas für andere zu tun, hat die evangelische Gemeinde im Prager Bezirk Dejvice auf eine besondere Idee gebracht.
Der tschechische Liedermacher Vladimír Merta steht mit seiner Gitarre im Kirchraum und singt. Der Eintritt zu seinem Konzert ist frei. Dennoch füllt sich der Korb am Eingang mit 100- und 200-Kronen-Scheinen. Alles freiwillige Spenden, die dem Projekt „Biennale für die Diakonie“ zugute kommen. Das Projekt hat die evangelische Kirchengemeinde im Prager Bezirk Dejvice organisiert. Sänger Vladimír Merta spendet außer dem Konzert noch ein von ihm gemaltes Bild. Es ist, zusammen mit vielen anderen Bildern, im Kirchraum ausgestellt.
Der Gottesdienstraum der evangelischen Kirchengemeinde hat sich vom 13. bis 25. April in eine Galerie der besonderen Art verwandelt. Aus der Idee, Bilder mit Behinderten und Kunst mit Kirche zu verbinden, entstand ein einzigartiges Projekt. Die Biennale für die Diakonie soll – bereits zum zweiten Mal - von Künstlern gestiftete Werke ausstellen und verkaufen. Der Erlös der Bilder kommt dem Ausbau der Behinderteneinrichtung für Kinder und Jugendliche in Prag-Stodůlky zugute, die von der Gemeinde unterstützt wird. Die geistig und körperlich behinderten Schüler der Spezialschule, der ergotherapeutischen Einrichtung und der Tagesstation rücken für einige Tage in den Mittelpunkt des Geschehens. Wie das Projekt zustande kam, erklärt der Kurator der Ausstellung, Ondřej Macek:
„Ursprünglich haben versucht, in das Projekt nur christliche Künstler einzubinden. Doch dann wurden es immer mehr und mehr, bis 250 Werke zusammenkamen.“
Unter den ausgestellten Bildern, finden sich auch Werke deutscher Künstler, wie Pfarrer Petr Hudec von der Gemeinde in Prag-Dejvice berichtet:
„Das sind Künstler aus Sachsen. Von diesen zehn sächsischen Künstlern haben wir insgesamt 35 Bilder ausgestellt, die bereits verkauft wurden.“
Viele Bilder drehen sich in ihren Motiven um biblische Themen. Das Werk des Malers Jan Taich etwa hat den Titel: „Psalm 139 – Wo soll ich hingehen vor deinem Geist“. Jiří Boháč wählte für sein aus Glas geschaffenes Bild den Titel „Demütige Suche I“. Und auf dem Bild von Gabriela Fialová, einer Klientin der ergotherapeutischen Werkstatt der Behinderteneinrichtung in Stodůlky, steht das Motto der Biennale aus dem 139. Psalm: „Auch die Nacht wird zum Licht.“ Ein Gemeindemitglied und Besucher der Biennale lobt das Konzept, das die Behinderten aus der Rolle der passiven Hilfsempfänger herausnimmt und sie als aktive Teilnehmer in die Aktion integriert:
„Hier um uns herum sind Fotografien und Informationen über unsere Behinderten. Sogar an den Veranstaltungen haben sie teilgenommen. Sie sind mittendrin. Außer den Werken der Künstler sind auch Bilder aus der Behindertenwerkstatt ausgestellt. Alle sind miteinander verbunden und das funktioniert gut.“
Dass die Integration der Behinderten in die Gesellschaft ein wichtiges Ziel der Biennale ist, bestätigt der Pfarrer der Gemeinde, Petr Hudec:
„Die Öffentlichkeit hat auf diese Art davon erfahren, dass es hier eine Gruppe von Menschen gibt, denen das Schicksal der Behinderten am Herzen liegt. Diesen Menschen liegt daran, den Behinderten zu helfen, mit ihnen zu leben und ihnen ein normales Leben zu ermöglichen.“
Die Behinderten aus der Isolation zu holen, Hilfsangebote für die Familien anzubieten und spezielle Schulen zu gründen ist ein riesiger Kraftakt. Denn die Diakonie der Evangelischen Kirche in Tschechien ist keine reiche Organisation. Sie ist auf finanzielle Hilfe des Staates, auf Sponsoren, Spender und freiwilligen Helfer angewiesen. Außergewöhnliche an dem Projekt ist daher vor allem der unermüdliche Einsatz der vielen Ehrenamtlichen. Sie unterstützten die Organisatoren beim großen Eingangskonzert mit Sänger Jaromír Nohavica und über 600 Besuchern genauso wie bei der anschließenden Auktion. Ohne diese Hilfe wäre auch das reichhaltige Begleitprogramm mit Vorlesungen, Lesungen und Konzerten undenkbar, so Pfarrer Petr Hudec:
„Das Bedeutende an dieser Aktion ist die Tatsache, dass sie von freiwilligen Helfern durchgeführt wird. Keiner ihrer Aktivitäten wird bezahlt. Von der Gestaltung der Internetseite bis hin zur Präsentation haben unsere Gemeindemitglieder alles alleine gemacht. Das Team der freiwilligen Helfer bestand in den Situationen, in denen am meisten Hilfe nötig war, aus 50 Personen.“
Ausstellungskurator Ondřej Macek, bekräftigt, dass die Behindertenarbeit für viele Menschen durch das Projekt einen neuen Stellenwert bekommen hat:
„Auf einmal begannen sich die Leute – auch aus der Gemeinde – für die Diakonie zu interessieren. Sie fuhren die Einrichtung besuchen und schlossen sich zu einer gemeinsamen Aktion zusammen. Wir machen hier etwas gemeinsam für andere. Das scheint mir an der ganzen Aktion das Beste. Und dass wir dabei so viel Geld einnehmen, halte ich für ein Wunder.“
Die fröhlichen Flötenklänge vom „Flötenensemble Dejvice“ unterstreichen den positiven Grundton, den die Biennale verbreitet. Über 800.000 Kronen, etwa 30.000 Euro, kommen durch den Verkauf der Bilder und Spenden zusammen. Kinder und Jugendliche der Behinderteneinrichtung in Stodůlky können sich freuen. Von dem Geld wird die neue Tagesstätte eingerichtet, in der sie in Zukunft einen normalen Alltag erleben können. Ist die Verbindung von Diakonie und Kunst gelungen? Ein Besucher dazu:
„Etwas Gutes zu tun und Leute mit Kunst anzusprechen, Künstler zu gewinnen und dazu jene, die die Kunst kaufen können, um damit der Diakonie zu helfen, das ist eine sehr gute Verbindung.“
Für Pfarrer Petr Hudec ist die „Biennale für die Diakonie“ ein erster Schritt, um behinderten Menschen den Weg zurück in die Mitte der Gesellschaft zu ebnen. Mit etwas Geduld, so sagt er, kann es gelingen:
„Es wird noch einige Jahrzehnte dauern, bis die Menschen in der Gesellschaft annehmen, dass auch behinderte Menschen Menschen wie du und ich sind. Trotz der körperlichen oder geistigen Einschränkungen sind es vollständige Menschen.“