G. Schubert: Sender muss Allgemeinheitsanspruch und Themenvielfalt bewahren
Der Österreicher Gerald Schubert war von 2002 bis Anfang 2015 für Radio Prag tätig. In dieser Periode war er kurzzeitig Chefredakteur der deutschen Redaktion und ab 2006 dann Chefredakteur aller Redaktionen von Radio Prag. Aus Anlass des 85. Geburtstages unseres Senders haben wir unseren ehemaligen Kollegen noch einmal vors Mikrophon gebeten.
Gerald, meine ersten Fragen gelten dir als gebürtigem Wiener. Was hat dir Radio Prag vor deinem Engagement im Tschechischen Rundfunk bedeutet? War der Sender schon da für dich eine feste Größe? Und: Was entnimmst du Radio Prag International jetzt, wo du wieder in Österreich lebst und arbeitest?
„In meiner persönlichen Wahrnehmung zu Radio Prag International hat sich eigentlich nichts geändert. Ich konnte bereits Tschechisch, bevor ich von Wien nach Prag kam und begann in der deutschen Redaktion zu arbeiten. Die Sprache hat es mir ermöglicht, ein breites Angebot an Nachrichtenquellen für mich und meine Arbeit zu nutzen. Ich glaube, dass Radio Prag International eine wichtige Quelle für die Zielgruppe ist. Das sind Menschen, die nicht tschechisch sprechen, aber trotzdem ein Interesse daran haben, was in dem Land passiert. Dabei ist es egal, ob die Gründe privat oder geschäftlich sind. Das durchschnittliche Nachrichtenangebot in Österreich oder Deutschland kann dieses Bedürfnis nicht befriedigen. Radio Prag International besetzt eine wichtige Nische, die damals genauso wichtig war wie heute.“
Kommen wir nun zu den Jahren, in denen du bei (damals noch) Radio Prag gearbeitet hast. Welche Entwicklung hat der Sender für dich in dieser Zeit genommen?
„Es hat sich viel verändert in den 13 Jahren, in denen ich im Sender tätig war. Als allererstes sind da natürlich die technischen Entwicklungen zu nennen, die wohl irgendwie jede Branche betroffen haben, zum Beispiel die Modernisierung der Webseite im Bereich Design und Benutzerfreundlichkeit. Natürlich gab es auch Entwicklungen, die wir nicht unterstützt haben. Das war die Einstellung der Kurzwelle, die zu einem gewissen Maß durch sogenannte Re-Broadcaster ersetzt wurde. Das sind Sendeanlagen, teilweise auch im Ausland, die unser Programm über Internet oder Satellit bezogen und sie dann auf ihren Frequenzen weiterausgestrahlt haben. Die klassische in Tschechien beheimatete Frequenz wurde gestrichen. Außerdem sind wir umgezogen vom historischen Gebäude in der Vinohradská-Straße, das aus den 1930er Jahren stammt, in das neue Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Studioräume hier sind natürlich technisch anspruchsvoller und moderner. Ich persönlich habe das bedauert, da ich die Architektur mochte und gerne die Zeichen der Geschichte spürte. Im Laufe der Zeit wurde das Budget immer weiter gekürzt. Was in meiner Zeit auch wichtig war, war die Entkopplung der Webseite von den Sendungen und Sendezeiten. Man muss beide Plattformen als eigenständige Medien verstehen. Eine Nachricht, die man geschrieben hat, muss veröffentlicht werden. Es gibt keinen Grund auf etwas zu warten. Im Internet gibt es keine Sendezeiten.“
Könntest du die Etappe unserer Geschichte, die du mitgeschrieben hast, mit ein, zwei Worten oder einen Titel definieren?
„Das ist schwierig. Die große Umbruchphase nach der Wende in den 1990er-Jahren war ja schon vorbei. Vielleicht kann man die Etappe als technische Evolution beschreiben, die nach den politischen Reformen kam.“
Welche Rolle würdest du Radio Prag International in Bezug auf die globale Medienwelt zuschreiben? Ist es nicht so: Wer sich allseitig über Tschechien informieren will, ist bei uns bestens aufgehoben? Das heißt, wir berichten nicht nur über Dauerthemen wie die Beneš-Dekrete oder das Akw Temelín, wie es andere Medien oft in den Nachbarländern tun…
„Wer die Sprache des Landes nicht beherrscht, ist auf ein fremdsprachiges Angebot angewiesen. Da spielt Radio Prag International eine wichtige Rolle, weil es hier eben nicht diese Einschränkung gibt. Tagesaktuelle Medien haben eher den Anspruch, das Weltgeschehen allgemein abzubilden. Mir ist bei meiner Arbeit entgegengekommen, dass man sich sehr stark auf Tschechien konzentrieren und sich so auf das Land einlassen kann. Das Angebot von Radio Prag International unterscheidet sich inhaltlich auch von dem Angebot, das andere fremdsprachige Medien bieten. Private Internetplattformen konzentrieren sich meist auf ein bestimmtes Segment, zum Beispiel englischsprachige Menschen, die in Prag leben. Oder auf Touristen. Da geht es dann verstärkt um Wirtschaft, Lifestyle, Gastronomie oder Tourismus. Bei Radio Prag International ist das nicht der Fall, da zählt der Allgemeinheitsanspruch. Die Redaktion deckt großflächig das Geschehen in Tschechien ab und macht es zugänglich für die Hörer und Leser. Aus meiner Sicht ist das ein Mehrwert, den sonst kein fremdsprachiges Medium bieten kann.“
Verfolgst du Radio Prag International auch heute noch? Oder lässt es dir deine Zeit als Redakteur bei der österreichischen Tageszeitung „Standard“ kaum noch zu?
„Ich konzentriere mich immer noch stark auf Tschechien, jedoch nicht nur. Ich bin in der Redaktion für Ost- und Mitteleuropa zuständig. In manchen Ländern haben wir Korrespondenten und in anderen nicht. Da eine Zeitungsredaktion nicht besonders groß ist, beschäftigt man sich dann schnell mal mit dem Geschehen auf der ganzen Welt. Ich muss die außenpolitische Berichterstattung koordinieren, da bleibt an manchen Tagen keine Zeit, sich nur auf Tschechien zu konzentrieren. Radio Prag International ist daher für mich ein Zusatzangebot zu den tschechisch-sprachigen Medien.“
Wenn du einen Blick in die Zukunft werfen könntest, wie würdest du Radio Prag International in 10 bis 15 Jahren sehen? Also zu der Zeit, in der wir hoffentlich auch noch unseren 100. Geburtstag feiern werden…
„Das eine ist die technische Entwicklung, die nicht vorhersehbar ist. Ich kann nicht einschätzen, auf welchen Plattformen die Nutzer in 15 Jahren die Programme der Medien konsumieren. Inhaltlich ist ganz wichtig, dass Radio Prag International weiterhin den Anspruch verfolgt, allgemeingültig zu sein und sich nicht zu sehr auf eine Zielgruppe konzentrieren sollte. Das breite Nachrichtenangebot sollte die Redaktion weiterhin liefern. Ich glaube, die Existenz unter dem Dach des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Rundfunks ist dafür ideal. Ein Auslandssender darf aber nie zum Sprachrohr der Regierung werden. Hörerinnen und Hörer würden das sofort merken und dann verliert der Sender sein Vertrauen. Ein Medium gewinnt Glaubwürdigkeit durch kritischen Diskurs.“
Zum Abschluss hätte ich noch eine etwas persönlichere Frage: Gibt es aus deiner Zeit bei Radio Prag vielleicht irgendeine Begebenheit oder eine nette Anekdote, an die du dich immer wieder gern erinnerst?
„Eine einzelne Begebenheit fällt mir spontan nicht ein, aber ich erinnere mich gern an das Gefühl, dass ich stark eingebunden bin in die lange Geschichte von Radio Prag. Ich war Teil der bewegenden Geschichte und habe die technische Entwicklung mitgestaltet. Die aufmerksamen Hörer wissen wahrscheinlich, dass immer am 5. Mai und am 21. August Kränze vor dem Funkhausgebäude niedergelegt werden, um an zwei Ereignisse zu erinnern. Und zwar an den Beginn des Prager Aufstandes 1945 und an den Einmarsch der Staaten des Warschauer Paktes 1968, durch den der Prager Frühling beendet wurde. An beiden Tagen gedenkt man der Opfer. Manchmal waren Schüler- oder Studentengruppen im Rundfunk zu Gast, die ich durch das Haus geführt habe. Wenn ich nach der Kranzniederlegung zur Arbeit kam, dann roch ich die Blumen schon von Weiten. Ich habe daher zu unseren Gästen gesagt, wenn sie wissen, warum es im Mai und August in dieser Straße Prags nach Blumen riecht, dann haben sie einen wichtigen Teil des Tschechischen Rundfunks und der Geschichte Europas verstanden. Ich glaube, das ist ganz gut angekommen und entspricht auch meinem eigenen Gefühl, dass ich hier immer nur Teil von etwas Größerem und Älterem war.“